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umzug : Das große Schleppen

Nach der Bundestagswahl wird erst einmal umgeräumt und renoviert. Die Verteilung und Ausstattung der vielen Räume ist eine logistische Herausforderung

16.10.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
6 Min

Alle vier Jahre sind die Umzugswirren im Bundestag geregelte Normalität. In der SPD-Bundestagsfraktion werde derzeit "in einer Phase des Übergangs gearbeitet", sagt Sprecher Rüdiger Petz, "aber die Dinge laufen natürlich weiter". Dabei wird sich für die Fraktion in den nächsten Monaten vieles ändern: Sie geht in die Opposition, verliert damit auch viele Räumlichkeiten - und muss sich darüber hinaus von zahlreichen Abgeordneten und Mitarbeitern trennen (siehe Seite 8).

Das sei "einerseits parlamentarischer Betrieb as usual", sagt Petz, "aber natürlich sind das auch immer wieder sehr bittere Momente, wenn man sich dann endgültig verabschieden muss." Von 193 auf 153 Parlamentarier schrumpft die Fraktion, und mit ihnen verlieren auch viele Mitarbeiter ihre Jobs. "Das ist natürlich gewissermaßen das Berufsrisiko in unserem Job", meint Petz, "letztlich sind die Mitarbeiter mit Arbeitsverträgen für maximal vier Jahre immer befristet beschäftigt." Man habe, wie immer am Anfang einer Legislatur, einen Stellenpool eingerichtet, in den Mitarbeiter, deren Abgeordnete das Haus verlassen, ihre Bewerbungsunterlagen geben können. "Die neuen Abgeordneten, die noch keine Leute haben, sind dann gebeten, sich dort zuerst zu bedienen."

Nach und nach wird dann auch der Umzug in die neuen Räume organisiert. Beim notwendigen Kistenpacken ist die SPD natürlich nicht allein: Die Bundestagswahl am 24. September hat für ein mächtiges Stühlerücken im Bundestag gesorgt, wie es auch für erfahrene Parlamentsexperten ungewöhnlich ist. Weil der 19. Deutsche Bundestag mit 709 Abgeordneten größer denn je ist und hier künftig 79 Politikerinnen und Politiker mehr Platz nehmen werden, wird allein der Plenarsaal immensen Zuwachs bekommen: Fast 800 Stühle werden derzeit von den Handwerkern eingebaut.

Bonner System Damit jeder Abgeordnete gut sitzen kann, greifen die Organisatoren auf ein System zurück, das nach der Wiedervereinigung 1990 im alten Plenarsaal in Bonn entwickelt wurde, um das plötzliche Anwachsen des Bundestags um damals 159 DDR-Abgeordnete zu bewältigen: Seither bekommen nur die ersten sechs Sitzreihen Pulte, auf denen die Parlamentarier arbeiten und Materialien ablegen können. Aus der Verwaltung heißt es, man habe angesichts von 709 Abgeordneten "heftig geschluckt", denn bei der Einrichtung des Plenarsaals geht es nicht nur darum, dass alle Parlamentarier gute Sicht und Akustik haben, sondern auch um den Brandschutz und erforderliche Fluchtwege. Die Erarbeitung der entsprechenden Konzepte sei bei einem derart großen Bundestag eine echte Herausforderung.

Umstrittene Sitzordnung In dieser Woche nun, da die Sitzordnung entschieden ist, holen die Handwerker Pulte und Stühle aus dem Lager in Spandau und machen sich an den Umbau, der etwa fünf Arbeitstage in Anspruch nimmt. Dass es einen Platz im Plenarsaal für jeden Mandatsträger geben wird, ist natürlich klar. Umstritten war dagegen in den zurückliegenden Wochen, wer neben wem sitzen muss, soll oder darf. Schon lange vor der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober kabbelten sich die Fraktionen darum, wer künftig neben der AfD-Fraktion Platz nehmen wird. Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte vorgeschlagen, die Fraktion vom Rednerpult aus gesehen ganz rechts im Plenum zu platzieren und damit Widerspruch bei der FDP-Fraktion ausgelöst, die dem Plan zufolge links neben der AfD Platz nehmen soll. Dies entspreche nicht der Position der Partei im Parteienspektrum, hieß es von den Liberalen; die Partei sitze in sechs von neun Landtagen in der Mitte. Der Platz im Plenarsaal sei für die FDP von "großer symbolischer Bedeutung", der Platz in der Mitte werde "nicht kampflos" aufgegeben. Das letzte Wort in dieser Sache hat Lammert, der am vergangenen Freitag nach einer Sitzung des sogenannten Vor-Ältestenrates bekanntgab, dass es bei dem ursprünglichen Plan bleibe, also von rechts nach links: AfD, FDP, Union, Grüne, SPD und Linke. Lammert sagte: "Ich werde, wenn es denn nicht eine andere Vereinbarung für die konstituierende Sitzung gibt, die Platzierung vorgeben, die wir auch bei der Bundesversammlung hatten." Ein FDP-Sprecher kündigte an, die Partei werde die Sitzordnung zumindest für die konstituierende Sitzung akzeptieren. Er schloss aber nicht aus, dass die FDP nach der konstituierenden Sitzung beim Ältestenrat erneut eine Debatte über die Sitzordnung beantragen werde. Sollte sich dann eine Mehrheit für eine Änderung aussprechen, könnten die Sitze im Plenarsaal noch einmal neu gruppiert werden.

Noch schwieriger gestaltet sich das Platzproblem außerhalb des Plenarsaals. Denn die vielen neuen Abgeordneten brauchen Büros. Und die sind traditionell knapp: Eine eigene Bau- und Raumkommission des Ältestenrats berät schon lange darüber, wie alle Abgeordneten und ihre Mitarbeiter so untergebracht werden können, dass sie in akzeptablen Büros in relativer Nähe zum Reichstagsgebäude arbeiten können. Schon lange soll deshalb das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, eines der drei großen Funktionsgebäude in direkter Nachbarschaft zum Altbau, erweitert werden. Dort aber machen schwere Baumängel seit Jahren Sorgen und verhindern, dass die dort geplanten Büros bezogen werden können.

Fachleute überrascht Obwohl die Verwaltung vor der Wahl auf dem Schirm hatte, dass die Zahl der Abgeordneten wohl steigen würde, waren die für die Raumplanung zuständigen Fachleute von dem tatsächlichen Zuwachs dann doch überrascht - mehr als 700 Parlamentarier habe sich keiner vorstellen können, hieß es aus der Verwaltung kurz nach der Wahl.

Dennoch habe man das Problem im Griff, ließ der Bundestag wissen. Es würden "ausreichend Büroräume zur Verfügung" gestellt, versprach eine Sprecherin und fügte hinzu: "Zur kurzfristigen Unterbringung der neuen Fraktionen" sei "mit Hilfe der Fraktionen der 18. Wahlperiode ein Raumkontingent leerstehender, vormöblierter Räume" gebildet worden. Möglich macht das auch die Tatsache, dass es derzeit für viele Verwaltungsmitarbeiter Kisten packen heißt. Die Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten hat die Verwaltung beauftragt, Gebäude in der Schadowstraße, die auch zum Regierungsviertel gehört, "zeitnah" freizuziehen, damit diese von Abgeordneten genutzt werden können. Fast 90 Mitarbeiter, die bis vor kurzem in der Schadowstraße gearbeitet haben, sind jetzt nach Alt-Moabit umgezogen.

Gleichzeitig sind die Raumplaner des Bundestags fieberhaft auf der Suche nach Immobilien, die angemietet werden können - keine einfache Aufgabe angesichts des extrem angespannten Berliner Immobilienmarkts, auf dem auch Gewerbeflächen knapp sind. Gleichzeitig wird gebaut: In der Dorotheenstraße, die dicht am Reichstag liegt, soll im Rahmen des "Raumprogramms" des Bundestages ein weiterer Neubau entstehen.

Auf Spontanität setzen die Liberalen: Die haben die konstituierende Sitzung der Fraktion kurzerhand in der Parteizentrale veranstaltet und "Coworking Spaces" eingerichtet, um die Zeit zu überbrücken, bis Büros für alle Abgeordneten zur Verfügung stehen.

Lob von der AfD Voll des Lobes für die Arbeit der Bundestagsverwaltung beim Start der neuen Legislatur ist die AfD. Für den ganz praktischen Einzug in den Bundestag hat die Fraktion einen Vorbereitungsstab eingerichtet, dessen Kopf der Berliner Landes-Abgeordnete Hans-Joachim Berg ist. Er kennt sich im Parlament bestens aus. Berg hat selbst mehr als drei Jahrzehnte in der Bundestagsverwaltung gearbeitet und kann nun seinen noch unerfahrenen Kollegen nützliche Tipps geben. Derzeit würden Büros eingerichtet und Mitarbeiter eingestellt, sagt Berg. Dass es Jobangebote bei der AfD gibt, werde über einen "Aushang am schwarzen Brett" verkündet, sagt Berg und fügt hinzu: "Wir wissen ja, dass durch die Mandatsverluste bei anderen Fraktionen dort Mitarbeiter nun auf Jobsuche sind." Berührungsängste gebe es im Grunde nicht, aber man müsse dann "in Einzelgesprächen klären, ob Mitarbeiter, die zuvor in anderen Fraktionen gearbeitet haben, zur loyalen Zusammenarbeit mit unserer Fraktion bereit sind".

Die AfD sei bei allen Formalitäten begeistert von der "extremen Hilfsbereitschaft der Verwaltungsmitarbeiter: Wir fühlen uns hier sehr gut aufgehoben." Inzwischen habe man sich in Gesprächen mit der Verwaltung und der neuen FDP-Fraktion darauf geeinigt, dass die AfD übergangsweise Räume in der Dorotheenstraße beziehe. Dieses sogenannte Schnellkontingent stelle sicher, dass die Abgeordneten arbeitsfähig seien, sobald der neue Bundestag die Arbeit aufnehme.

Die Diskussion über die Fraktionsräume und die Sitzordnung im Plenarsaal nimmt Berg entspannt: "Uns ist vollkommen egal, wo wir sitzen - und wir haben diese Frage auch nicht thematisiert." Es werde sicher eine gute Lösung geben.