Da ist diese Familienanekdote von den zwei Brüdern, die sich - an einem Marinestandort aufgewachsen - im Pensionsalter über ihre neuen Autos stritten: Der Ältere hatte ein mittleres Modell aus der Produktpalette einer deutschen Nobelmarke erworben, der Jüngere das Top-Modell eines ausländischen Herstellers. Beide Fahrzeuge waren obere Mittelklasse und in Größe, Leistung und Preis nicht allzu unterschiedlich, weshalb andere Kriterien beantworten mussten, welches mehr Prestige brachte. Schließlich spielte der Jüngere den scheinbar ultimativen Trumpf aus: Sein Wagen sei immerhin das Flaggschiff der ausländischen Firma, während der des Bruder beim Blick auf die Fahrzeugflotte der deutschen Premiummarke eher einer Fregatte entspreche. Hier endete der Disput, dessen Fortsetzung der Ältere verweigerte, tief beleidigt ob des schmählichen Vergleichs seines stolzen Straßenkreuzers mit einer Fregatte; erst nach Monaten fand ihr Verhältnis zu alter Herzlichkeit zurück.
Das Auto als Statussymbol seines Besitzers ist oft besungen worden, zumal hierzulande, wo es doch als "des Deutschen liebstes Kind" gilt. Unvergessen etwa ist der bald 30 Jahre alte Werbespot, in dem ein Vater seinem Sohn die familieneigene Mittelklassekarosse als Renommier-Objekt empfiehlt, mit dessen Image sich ebenso prahlen lasse wie die Mitschüler mit Pferden, Booten und Swimmingpool ihrer Eltern. "Nichts bewegt die Deutschen wie das Auto: Das Kraftfahrzeug ist das wichtigste Verkehrsmittel in Deutschland. Gleichzeitig berührt es die Gefühle der Menschen. Es steht für Freiheit und Dynamik, für Status, Lebensstil und Macht", schreibt das Bonner "Haus der Geschichte der Bundesrepublik" zu seiner Ausstellung "Die Deutschen und ihre Autos", die seit März bereits mehr als 170.000 Besucher zählt. Daneben machte die Kunsthalle Emden mit der Ausstellung "Das Auto in der Kunst" auf sich aufmerksam - die Faszination für die Motorkutschen scheint ungebrochen in dem Land, in dem Carl Benz seinen Dreirradwagen zum Patent anmeldete - die "Geburtsstunde des modernen Automobils" -, in dem die Blechkisten ebenso für die Wirtschaftskraft der Nation auf dem Weg zum Exportweltmeister standen wie für den persönlichen Aufstieg im Wirtschaftswunderland, der sich einst im privaten Wechsel vom VW-Käfer über den Opel Rekord zum Mercedes manifestierte.
Autoland Deutschland Das deutsche Straßennetz ist eines der dichtesten weltweit, auf 41 Millionen Privathaushalte kommen knapp 46 Millionen Pkw, der größte Verein hierzulande ist ein Automobilclub, der im August die 20-Millionen-Mitglieder-Marke übersprungen hat. Die deutsche Automobilindustrie zählt rund 800.000 Beschäftigte und einen Umsatz, der mit zuletzt mehr als 400 Milliarden Euro das Ausgabenvolumen des laufenden Bundeshaushaltes um fast ein Fünftel übersteigt.
Da wundert es kaum, dass sich nicht nur Wirtschaftskapitäne und Spitzenpolitiker um die Folgen des Abgasskandals der Branche sorgen, der nach einer Umfrage vom August 57 Prozent der Deutschen ihr Vertrauen in die Autoindustrie geraubt hat. Zwar hatten schon Klimawandel und Feinstaubbelastung am automobilen Image gekratzt, doch konnte das etwa dem Siegeszug der umweltschädlichen "SUV" keinen Abbruch tun, die auf Deutschlands Straßen zusammen mit Geländewagen mittlerweile fast jedes zehnte Auto stellen.
Gleichwohl scheint der Deutschen Zuneigung zu den Vehikeln abzukühlen. Eine "gewisse Automüdigkeit" bescheinigte ihnen im Sommer Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research an der Uni Duisburg-Essen, und verwies in einem Interview darauf, dass "der Wunsch, immer das nagelneueste Modell zu fahren", deutlich abgenommen habe: 9,3 Jahre seien die Autos auf unseren Straßen im Schnitt, "so alt wie seit den 1980er Jahren nicht mehr". Dazu passt, dass die Autokäufer immer älter werden - bei Neuwagen nach den Worten des "Autopapstes" von 1995 bis 2017 im Durchschnitt um 14,5 Prozent auf 52,8 Jahre, bei Gebrauchtwagen gar um 19,4 Prozent auf 44,8 Jahre. "Es sieht ganz danach aus, als würden die jungen Menschen die Lust am eigenen Auto verlieren", resümiert Dudenhöffer in der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst".
Dieses Urteil unterlegt auch eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach vom vergangenen Jahr: Nur noch 23 Prozent der Männer ab 18 Jahren (nach 31 Prozent im Jahr 2000) interessieren sich danach besonders für Autos; der Anteil der Autofahrer mit Pkw im Haushalt ist in den Altersgruppen der 20- bis 39-Jährigen in den zurückliegenden drei Jahrzehnten um bis zu 17 Prozentpunkte gesunken; der Anteil derer, die Interesse an Car-Sharing bekunden, ist seit 2012 um mehr als ein Drittel gestiegen. Und bei einer im Frühjahr veröffentlichten Studie des Bundesumweltministeriums vertraten gar 91 Prozent der Befragten die Ansicht, dass das Leben besser werde, wenn der Einzelne nicht mehr auf das Auto angewiesen sei. Die Zeichen stehen also, so scheint es, auf Liebesentzug für "des Deutschen liebstes Kind".
Eigentlich müsste es sowieso "des deutschen Mannes" liebstes Kind heißen - ist doch nach der Allensbach-Untersuchung der Anteil der Frauen, die sich besonders für Autos interessieren, von 2000 bis 2016 um ein Viertel zurückgegangen: von vier auf nunmehr drei Prozent.
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