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BUNDESTAG : Ein Akt tätiger Reue

»Welt«-Journalist Robin Alexander mit Medienpreis Politik ausgezeichnet

26.03.2018
2023-08-30T12:34:26.7200Z
4 Min

September 2015: Die Große Koalition will die Einreise Zigtausender Migranten stoppen. Alles ist bereit, die Bundespolizei wird in Bussen und Helikoptern zur österreichischen Grenze gebracht. Doch dann geschieht - nichts. Minutiös schildert Robin Alexander die Abläufe in den Tagen, als sich die Flüchtlingskrise zuspitzt. Für seinen Artikel "Das Bild, das es nicht geben sollte", erschienen am 5. März 2017 in der "Welt am Sonntag", hat ihm Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der vergangenen Woche den mit 5.000 Euro dotierten Medienpreis Politik 2017 des Bundestages verliehen.

Alexanders Report endet mit den Sätzen: "Aus der Ausnahme der Grenzöffnung wird ein monatelanger Ausnahmezustand, weil keiner die politische Kraft aufbringt, die Ausnahme wie geplant zu beenden. Die Grenze bleibt offen, nicht etwa, weil es Angela Merkel bewusst so entschieden hätte, oder sonst jemand in der Bundesregierung. Es findet sich in der entscheidenden Stunde schlicht niemand, der die Verantwortung für die Schließung übernehmen will."

Claudia Nothelle, freie Journalistin und Mitglied der siebenköpfigen Jury des Medienpreises, rückte die Rechercheleistung Robin Alexanders in den Vordergrund: "Eine Recherche mit vielen Protagonisten und noch mehr losen Enden. Eine der Recherchen mit Sprengkraft, von denen es nicht viele gibt." Akribisch und kleinteilig sei sie gewesen, ein spannendes Stück Zeitgeschichte. Dem Autor sei eine "journalistische Sternstunde" gelungen.

Jurymitglied Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, fügte hinzu, dass Robin Alexanders Text zugleich das erste Kapital seines Buches "Die Getriebenen" bildet, das 2017 eines der erfolgreichsten Sachbücher gewesen sei. Alexanders Recherche habe nicht nur Politik beschrieben, sondern auch Politik gemacht - ein Lob, das beim Autor allerdings auf Vorbehalte stieß: "Wir sollten uns auf die Beobachtung konzentrieren. Für Politik haben wir kein Mandat."

Nach Angaben Schaustens haben sich 94 Autoren mit Print-, Radio-, Fernseh- und Online-Beiträgen um das Urteil der Jury beworben, darunter auch "Neues und Überraschendes von außerhalb der Berliner Blase". Zuvor hatte der Bundestagspräsident darauf hingewiesen, dass es in der 25-jährigen Geschichte des Medienpreises noch nie so viele Einsendungen von so vielen Bewerbern gegeben habe, fast die Hälfte davon Printveröffentlichungen: "Beteiligt haben sich in diesem Jahr viele junge Journalisten, die stärker als früher in Autorenteams oder Redaktionen zusammengearbeitet haben."

Schausten stellte auch die beiden weiteren für den Preis Nominierten vor: Helene Bubrowski, stellvertretende Nachrichtenchefin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", für ihren Artikel "Der Preis der Macht", erschienen am 27. April 2017, und die Politik- und Nachrichtenredaktion der "Badischen Zeitung", vertreten durch Dietmar Ostermann, für ihre Artikelserie "Wahlgeschichte(n)".

Helene Bubrowski ging der Frage nach, wie Kandidaten für den Bundestag oder das Europaparlament ihren Wahlkampf finanzieren. Auf die Frage Schaustens, ob unter den Wahlbewerbern einer Partei Chancengleichheit herrsche, sagte Bubrowski, es habe sich herausgestellt, dass bereits im parteiinternen Wettbewerb Kandidaten "nach vorne geschoben werden, von denen man weiß, dass sie die erforderlichen Mittel zur Verfügung haben". Wolfgang Schäuble ergänzte, dass es eine Beteiligung der Kandidaten an den Wahlkampfkosten durchaus gebe. Einen Preis für ein Mandat zu verlangen, würde hingegen "mein Verständnis übersteigen".

Unter der Überschrift "Wahlgeschichte(n)" hatte die "Badische Zeitung" im vergangenen Sommer an die Bundestagswahlen seit 1949 erinnert und dazu Abgeordnete sowie andere Zeitzeugen befragt. Die 19-teilige Artikelserie erschien zwischen dem 22. Juli und dem 11. August 2017. Schäuble, damals noch Bundesfinanzminister, hatte sich der Freiburger Redaktion selbst als Interviewpartner zur Verfügung gestellt und sich zur Bundestagswahl 1990 geäußert. Bettina Schausten würdigte die Artikelserie der "Badischen Zeitung" als "Beitrag gegen Geschichtsvergessenheit".

Legitimationszwang Der Parlamentarismus steht nach Schäubles Ansicht unter einem neuen Legitimationszwang. Die repräsentative Demokratie sei nicht so selbstverständlich, dass man sie nicht immer neu beweisen müsste, sagte Schäuble. Der Bundestag müsse besser werden in der Themensetzung, im Führen wichtiger Orientierungsdebatten. Die Abgeordneten hätten es in der Hand zu entscheiden, wie attraktiv das Parlament wahrgenommen werde.

Zugleich müssten sich die Medien gegen wachsende Konkurrenz im Netz behaupten und der Informationsflut mit journalistischer Qualität entgegentreten. Die Medien als entscheidendes Scharnier zwischen Bürgern und Politik konkurrierten mit einem Phänomen, das manche als "fünfte Gewalt" beschrieben: Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten. Manchmal habe man das Gefühl, so Schäuble, "Fake News" hätten Wettbewerbschancen: "Eine neue Kommunikationsethik können wir uns vielleicht nur selbst verordnen." Der "mediale Hochfrequenzhandel" werde sich nicht aufhalten lassen, doch: "Konstruktiver Journalismus filtert und ordnet ein, was geschieht oder nicht passiert."

Es sei auch Aufgabe der Politik, Entscheidungen verständlich zu machen, sagte Schäuble. Im härter gewordenen Wettbewerb sei die Vermittlung und Verwendung von Informationen noch wichtiger. Die "schwierige Balance" des Journalisten zwischen Vertrautheit mit der Politik und Distanz zur Politik zu halten, sei dem scheidenden Vorsitzenden der Medienpreis-Jury, dem freien Journalisten Thomas Kröter, gelungen, dem Schäuble dankte. Kröter hatte der Jury seit 2006 angehört und war seit 2013 deren Vorsitzender.

Preisträger Robin Alexander merkte kritisch an, dass es die Debatte über die Ereignisse im September 2015 nicht gegeben hat, dass es sie aber hätte geben müssen: "Die Mehrheit wäre bei der Regierung gewesen." Eine große Parlamentsdebatte hätte aber "Gift aus der Öffentlichkeit genommen". Auch die Journalisten hätten die Debatte nicht geführt. Sein erst eineinhalb Jahre später veröffentlichter Text habe daher etwas von "tätiger Reue". Sein Appell: "Ran an die Debatte!"