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HAUSHALT 2018 : »Schicksalsbuch der Nation«

Opposition vermisst Zukunftsperspektive im Etatentwurf. Scholz kündigt deutlich mehr Investitionen an

22.05.2018
2023-08-30T12:34:28.7200Z
5 Min

FDP-Haushälter Otto Fricke hatte eindeutig mehr vom neuen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erwartet. Es sei nun schon die 12. Haushalts-Einbringung, die er mitmache, aber noch nie habe er einen Finanzminister erlebt, der "so wenig Emotionen mit diesem so wichtigen Schicksalbuch unser Nation verbindet", beschwerte sich der Liberale. Das "Schicksalbuch" ist der über 3.000 Seiten und mehr als 20 Einzelpläne umfassende Haushaltsentwurf 2018 der Bundesregierung (19/1700), der am Dienstag von Scholz eingebracht wurde.

Auch Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) hatte mit dem kühlen Vortrag des Finanzministers so seine Probleme. Nach eigenem Bekunden musste er erst durch die Rede des Hamburg SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs gezeigt bekommen, dass Norddeutsche auch Reden halten können, "bei denen das Publikum nicht fast einschläft". Kahrs wiederum stellt sich vor seinen Minister und bescheinigte Scholz, dass seine Rede "für seine Verhältnisse relativ lebhaft" gewesen sei.

Und so wie Kindler und Fricke den Esprit in Scholz' Rede vermissten, so vermisste die Opposition grundsätzlich den Esprit im Haushaltsentwurf der wiederaufgelegten Großen Koalition. Ein "Haushalt ohne Zukunft" sei es, der "völlig falsche Prioritäten" setze, meinte Kindler. Gesine Lötzsch (Die Linke) fand, der Entwurf sei eine "Blamage" für Scholz, "fatal" für die Bürger, "rücksichtslos gegenüber nachfolgenden Generationen" und "schlecht für Europa". Fricke monierte, es gehe den Koalitionären nicht "um Neues, um Besseres, um die Zukunft", sondern nur um das "Gestalten der Gegenwart und das Abarbeiten der Vergangenheit". Peter Boehringer (AfD) warf der Bundesregierung vor, einen unvollständigen und irreführenden "Haushalt der Täuschung" vorzulegen, weil etwa die Risiken der Euro-Rettung nicht abgebildet würden.

Streit um Investitionen Der von Scholz vorgestellte Haushaltsentwurf sieht für das laufende Jahr Ausgaben In Höhe von 341 Milliarden Euro und Investitionen in Höhe von 37 Milliarden vor und soll erneut ohne neue Schulden auskommen. Sowohl Investitionen (+0,6 Milliarden Euro) als auch Ausgaben (+3,5 Milliarden Euro) liegen über den Ansätzen des Haushaltentwurfes der vorherigen Bundesregierung aus der vergangenen Legislaturperiode (18/13000), der nicht mehr beraten wurde. Gegenüber dem Haushalt 2017 sollen die Investitionen 2018 somit um drei Milliarden Euro und die Ausgaben um über zehn Milliarden Euro steigen.

Als leitende Prinzipien der Haushaltspolitik der Bundesregierung stellte Scholz Solidität, soziale Gerechtigkeit und Zukunftsorientierung vor. Das drückt sich laut dem Finanzminister auch in der Planung für die kommenden Jahre aus. Der Verzicht auf neue Schulden sei kein "Fetisch", sondern Ausdruck eines pragmatischen und sachgerechten Vorgehens. Die Haushaltsführung der vergangenen und künftigen Jahre werde zudem dazu führen, dass die Bundesrepublik dieses oder nächstes Jahr das Maastricht-Schuldenstandskriterium erfüllen werde. Nach der bisherigen Finanzplanung war dies erst für 2020 erwartet worden.

Scholz stellte sich entschieden gegen die Kritik, die Bundesregierung setze nicht genügend auf Investitionen. Bis 2022 seien Investition von rund 180 Milliarden Euro geplant, rund 23 Prozent mehr als zwischen 2013 und 2017. Dass diese Summen noch nicht komplett in der Finanzplanung abgebildet sind, habe haushaltstechnische Gründe. Zudem kündigte Scholz an, einen Teil der nach der jüngsten Steuerschätzung erwarteten Mehreinnahmen bis 2022 von 10,8 Milliarden Euro in Digitalinvestitionen stecken zu wollen.

Der Finanzminister betonte auch die Bedeutung Europas für Deutschland. Europa sei das "wichtigste nationale Anliegen" und stehe aktuell vor großen Herausforderungen. Deutschland müsse daher mit seiner Verantwortung "klug und vernünftig umgehen". In Hinblick auf die in der Koalition verabredete, aber strittig diskutierte Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) schlug Scholz ein zweiphasiges Vorgehen vor: Zunächst könne der ESM neu geformt werden und dann in einem zweiten Schritt ins Unionsrecht überführt werden. Zudem kündigte er eine Stärkung der Bankenunion an. Eine klare Absage erteilte Scholz allerdings einem Ansinnen des EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU). Dieser hatte vorgeschlagen, den Beitragssatz der Mitgliedsstaaten für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen der Union zu erhöhen. Scholz erklärte, Deutschland sei zwar bereit, mehr für den EU-Haushalt aufzuwenden, der aktuellen Satz reiche aber, "um einiges bewegen zu können" (siehe Seite 10).

Unterstützung für sein Bekenntnis zu Europa und seinen haushaltspolitischen Kurs bekam Scholz von seinem Parteifreund Johannes Kahrs. Der Minister habe einen fundierten und solide durchfinanzierten Haushalt vorgelegt, der nicht nur auf Investitionen setze, sondern auch etwas für Kind und Familien täte und zudem den Staat stärke, indem mehr Geld für die Polizei ausgegeben werde. "Beide Partner wollen regieren und werden regieren. Das sieht man diesem Haushalt auch an", sagte Kahrs. Ähnlich äußerte sich der Unions-Haushälter Eckhardt Rehberg (CDU). Der Haushalt zeichne sich durch den passenden und richtigen Dreiklang von "Entlastung, Solidität und Seriosität" aus, sagte der Christdemokrat. Rehberg hob hervor, dass bis 2021 Entlastungen der Bürger in Höhe von 64 Milliarden Euro geplant seien, etwa durch die Senkung von Sozialbeiträgen und die Reduzierung des Solis.

Schlussrunde Die Opposition folgte den Lobpreisungen der Koalition erwartungsgemäß nicht. Das zeigte sich auch am Freitag in der sogenannten Schlussrunde der Haushaltswoche, nach der der Entwurf zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen wurde. Peter Boehringer kritisierte erneut die Europapolitik der Bundesregierung. Es gebe eine "Groko-Blankoschecklogik", das sei ein "schlechter Verhandlungsstil".

Florian Toncar (FDP) resümierte, dass die Finanzpolitik voller Ungereimtheiten und Widersprüche bleibe. Deutschland sei in Europa "nicht sprechfähig", da die Große Koalition keine Vorstellung davon habe, was sie mit dem Regierungsmandat anfangen wolle.

Anja Hajduk (B90/Die Grünen) warf der Bundesregierung vor, teure Vorhaben des Koalitionsvertrags ans Ende der Wahlperiode zu schieben. Die Kosten würden damit der nächsten Bundesregierung vor die Füße gekippt. Das sei keine solide Haushaltsführung, sagte die Grünen-Abgeordnete.

Lötzsch fasste für die Linken die wesentlichen Forderungen der Fraktion für die kommenden Haushaltsberatungen zusammen und mahnte mehr Engagement der Koalition an: "Nehmen Sie endlichen den Fuß von der Investitionsbremse."

Vor den Haushältern stehen arbeitsreiche Monate. Im Juli soll der Haushalt für dieses Jahr beschlossen werden. Nach der Sommerpause geht es dann gleich weiter: Dann steht der Entwurf für 2019 auf der Tagesordnung. Sören Christian Reimer