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TERRORISMUS : Von der Theorie zur Gewalt

Die Rote Armee Fraktion und ihre geistigen Verbindungslinien zur Protestbewegung von 1968

08.01.2018
2023-08-30T12:33:47.7200Z
5 Min

Am Ende war von der Studentenbewegung explizit zwar keine Rede mehr, wohl aber vom Zeitgeist der 68er: Als die Rote Armee Fraktion (RAF) am 20. April 1998 ihre Auflösung erklärte, schrieben die Linksterroristen, die RAF sei entstanden "als Konsequenz aus den Diskussionen Tausender, die sich in der BRD am Ende der sechziger und den beginnenden siebziger Jahren mit dem bewaffneten Kampf als Weg zur Befreiung auseinandersetzten" und habe "etwas Neues in die Gesellschaft gebracht: Das Moment des Bruchs mit dem System und das historische Aufblitzen von entschiedener Feindschaft gegen Verhältnisse, in denen Menschen strukturell unterworfen und ausgebeutet werden und die eine Gesellschaft hervorgebracht haben, in der sich die Menschen selbst gegeneinander stellen".

Geht es um die bedeutendste deutsche Terrorgruppe der Nachkriegszeit, ihr Entstehen und Wirken, ist man thematisch immer dicht bei der 68er-Protestbewegung. Der Linksterrorismus der RAF und anderer Gruppierungen gilt vielen als ihre schlimmste Folge; als Geist, den die studentischen Vordenker wortreich beschworen hatten und dann nicht mehr einfangen konnten. Tatsächlich scheint die RAF nicht ohne die Studentenbewegung denkbar - auch wenn ihr Gründungspersonal sich nicht wirklich aus deren Reihen rekrutierte. So studierten zwar Gudrun Ensslin und Thorwald Proll Ende der 1960er Jahre, aber sowohl Andreas Bader als auch Ulrike Meinhof und Horst Mahler kamen nicht aus dem Hochschulmilieu - letztere waren vielmehr als Journalistin und Anwalt längst beruflich etabliert. Zu den führenden Denkern des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der damals als Sprachrohr der Protestbewegung galt, gehörten sie nie.

Das heißt jedoch nicht, dass man nicht viele Gedanken teilte: Die Protestbewegung war aus einer Gemengelage von Gründen entstanden. Hier sammelte sich der Protest gegen den Krieg der USA in Vietnam, dazu kamen in Deutschland die Auseinandersetzung mit verkrusteten Strukturen an den Hochschulen und das Unbehagen mit der 1966 geschlossenen Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU). Die Verabschiedung der Notstandsverfassung im Mai 1968 führte zu einem Erstarken der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO), die in den Gesetzen für den Fall innerer Unruhen den Beleg dafür sah, dass das Parlament ohnehin keine wirkliche Bedeutung mehr habe und man in einem repressiven Staat lebe, in dem der Faschismus fortwirkt.

Die gefühlte Gegnerschaft zum "System" war für viele junge Menschen bereits durch den Tod Benno Ohnesorgs belegt: Der Student war am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs erschossen worden - ein Akt, der zu einer deutlichen Radikalisierung der studentischen Protestbewegung geführt hatte. Immer wieder war in den Reihen des SDS seither über die Frage diskutiert worden, ob man in der Auseinandersetzung mit dem als faschistisch und gewalttätig deklarierten Staat nicht auch zu Gewalt greifen solle - primär angeheizt durch Rudi Dutschke, der nach außen als einer der wichtigsten Sprecher des SDS auftrat. Bereits 1967 sprach Dutschke unter Berufung auf den kubanischen Revolutionär Che Guevara von der Notwendigkeit einer "Stadtguerilla": "Die ,Propaganda der Schüsse' in der ,Dritten Welt' muss durch die ,Propaganda der Tat' in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht." Dutschke, der selbst im April 1968 bei einem Attentat schwer verletzt wurde, redete einer Gewalt das Wort, die legitime Gegengewalt zu der des Staates sei. Er sprach von einer "sich steigernden Gegengewalt" und einer "Eskalationsstrategie", wenngleich er parallel den individuellen Terror ablehnte und feststellte: "Wir kennen nur einen Terror - das ist der Terror gegen unmenschliche Maschinerien. Die Rotationsmaschinerie von Springer in die Luft zu jagen und dabei keine Menschen zu vernichten, das scheint mir eine emanzipierende Tat."

Während Dutschke und seine studentischen Mitstreiter über Gewalt theoretisierten, schritten die RAF-Gründer zur Tat: Am 2. April 1968 legten Andreas Baader, Grundrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein in zwei Frankfurter Kaufhäusern Feuer. In ihrem Gerichtsprozess sagte Ensslin aus, mit den Anschlägen habe die Gruppe gegen "die Gleichgültigkeit protestieren" wollen, "mit der die Menschen in der Bundesrepublik den Krieg in Vietnam hinnehmen" würden. Nach ihrem Abtauchen in den Untergrund nach der Befreiung Andreas Baaders gab die RAF eine Erklärung ab: "Der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch" und "natürlich kann geschossen werden".

Zwar distanzierte sich der SDS von diesem Terror und es wurde ein großes Entsetzen innerhalb der Studentenbewegung über den Terror immer wieder manifest. Dies setzte sich fort angesichts der Bombenanschläge, die die RAF im Mai 1972 verübte und bei denen vier Menschen getötet wurden, sowie bei den Versuchen der zweiten Generation der RAF, ihre Gründungsmitglieder mittels einer Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm zu befreien. Doch der Bruch mit den einstigen Weggefährten blieb oft halbherzig: So rief Dutschke beim Begräbnis des RAF-Terroristen Holger Meins im November 1974 mit erhobener Faust: "Holger, der Kampf geht weiter."

Insgesamt kostete der RAF-Terror 34 Menschen das Leben. Auch die Bewegung 2. Juni setzte im Namen des Widerstands gegen den Staat auf Bombenattentate, Banküberfälle und Entführungen. Sie ermordete 1974 den Präsidenten des Berliner Kammergerichts Günter von Drenkmann und erpresste durch die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 die Freilassung mehrerer Terroristen. Sie löste sich im Juni 1980 auf und erklärte, den Kampf in der RAF fortführen zu wollen.

Bis in die 1990er Jahre aktiv blieben die Revolutionären Zellen, die im Gegensatz zu den Terroristen der RAF nicht im Untergrund agierten, sondern sich an der Diskussion innerhalb der Linken beteiligen wollten. Sie lehnten die Tötung von Menschen zwar ab, führten aber Attentate durch, bei denen ihre Opfer schwer verletzt werden sollten. Der Tod des hessischen Wirtschaftsministers Heinz-Herbert Karry 1981 durch die Gruppe wurde von ihr als Unfall dargestellt. Kleine Band- und Sprengstoffanschläge gehen auf das Konto der Tupamaros West-Berlin bzw. Tupamaros. Letztere sind nach Ansicht des Historikers Wolfgang Kraushaar verantwortlich für den Brandanschlag auf ein Münchner Altenheim im Februar 1970, bei dem sieben Menschen starben.

Allen linken Terrorgruppen ist eine Bezugnahme auf das Konzept der Stadtguerilla gemein - eine zumindest geistige Verbindungslinie zur Studentenbewegung ist damit deutlich gegeben.

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Dresden.