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BOSNIEN-HERZEGOWINA : Separatisten Arm in Arm

Wahlen könnten die Desintegration des Landes beschleunigen

01.10.2018
2023-08-30T12:34:35.7200Z
3 Min

Eines der kompliziertesten politischen Systeme Europas ruft an diesem Sonntag seine Bürger auf, es erneuern. Für die Abstimmung sind 3,3 Millionen Wähler dazu aufgerufen, die Mitglieder der Präsidentschaft, die Abgeordneten des Parlaments des Gesamtstaates und die der Teilstaaten Republika Srpska und Föderation Bosnien und Herzegowina zu wählen. Sowohl in der Föderation wie auch in der Republika Srpska sind Präsidenten, Vizepräsidenten und indirekt die Regierungen zu bestimmen. Hinzu kommen noch die Kantonsparlamente in der Föderation sowie die Wahl für das Parlament des eigenständigen Bezirks Brcko. Insgesamt werden 14 separate Parlamente, fünf Präsidenten, hunderte politische Vertreter, unter ihnen 136 Minister, neu bestimmt.

Und doch gibt es ein paar große Linien, die für die Zukunft entscheidend sein können. Seit die beiden "starken Männer" der Serben und Kroaten, Milorad Dodik und Dragan Covic, eng miteinander kooperieren, ist sogar zu befürchten, dass sich nach siegreich gestalteten Wahlen für die Präsidentschaft die Desintegration des Landes fortsetzen könnte.

Loslösung Dodik verkündete in den letzten Jahren mehrmals seinen Wunsch, die serbischen Teilrepublik Republika Srpska vom Gesamtstaat loslösen zu wollen. Covic fordert dagegen vehement die Etablierung einer dritten kroatisch dominierten Entität und damit die Auflösung der 1994 in Washington gegründeten "Föderation Bosnien und Herzegowina" (bosniakisch-kroatische-Föderation). Dodik und Covic haben sich jeweils als die Kandidaten ihrer Volksgruppe (konstitutiven Nation) für die Präsidentschaft des Landes aufstellen lassen. Sollten sie gewinnen, könnten sie gemeinsam das dritte, bosniakische Mitglied des Staatspräsidiums, überstimmen.

Doch der Sieg beider ist keineswegs sicher. Dodik wird nicht nur durch eine Oppositionsfront unter Führung der Serbisch Demokratischen Partei (SDS) bekämpft, sondern hat mit dem bisherigen Mitglied im Staatspräsidium, dem Liberalen Mladen Ivanic, einen potenten Gegenkandidaten. Hinzu kommt, dass die seit Monaten wöchentlich bis zu 10.000 Menschen mobilisierende parteiunabhängige Demonstrationsbewegung "Gerechtigkeit für David" - die eine Aufklärung des Mordes an dem jungen David Dragicevic unter Führung seines Vater Davor fordert - das gesamte etablierte System der Republika Srpska in Frage stellt.

Auch der Sieg Dragan Covics ist gefährdet. Zwar kann seine konservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft HDZ-BiH über eine komfortable Mehrheit in den Kroatengebieten der Westherzegowina und den kroatischen Enklaven Zentralbosniens rechnen, doch das Wahlgesetz gibt auch Muslimen (Bosniaken) die Möglichkeit, bei den Präsidentschaftswahlen der Kroaten mitzumachen. Als Gegenkandidat steht der in Sarajevo lebende Kroate Zelko Komsic bereit, Covic zu schlagen. Der Gründer der sozialdemokratischen Demokratischen Front ist ein Gegner der kroatischen Nationalisten und tritt für einen Bürgerstaat ein. Die HDZ versuchte in den letzten Monaten vergeblich das Wahlgesetz zu verändern. Sie beklagt, dass mit der Wahl Komsics kein "echter Kroate", also kein Repräsentant der HDZ, im Staatspräsidium sitzen würde.

Bei den Bosniaken zeichnet sich ein Sieg des konservativen SDA-Kandidaten Sefik Dzaferovic ab, sein sozialdemokratischer Gegenkandidat von der SDP leidet unter dem Umstand, dass viele Bosniaken statt seiner den Kroaten Zelko Komsic von der Demokratischen Front wählen dürften. Sabia Izetbegovic, die Ehefrau des bisherigen Amtsinhabers Bakir Izetbegovic, zog ihre Kandidatur angesichts der Kritik in der Partei zurück, tritt aber bei den Parlamentswahlen an.

Überraschungen Bei diesen Wahlen für die Parlamente der Teilstaaten und die der Kantone sind Überraschungen durchaus möglich. Abspaltungen von den großen Parteien wie die "Narod i Pravda" von der SDA oder die nichtnationalistische Partei Nasa Stranka könnten in Sarajevo für Furore sorgen. In Tuzla, Zenica und Bihac bleiben die Sozialdemokraten stark, in vielen Kantonen kandidieren angesichts der Korruption in den Parteien Bürgermeister auf den Listen von Unabhängigen. In der serbischen Teilrepublik dürfen die etablierten Eliten sich ihres Sieges nicht mehr absolut sicher fühlen. Angesichts dieser Lage wird vor allem aus der Republik Srpska und aus der Westherzegowina von Wahlbeobachern schon jetzt berichtet, dass ein Wahlbetrug möglich ist. So sollen Wahlzettel für Verstorbene oder längst in Europa lebende Personen ausgegeben worden sein.

Der Autor berichtet als freier Korrespondent aus Sarajevo.