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pflege : Fragen und Risiken

Mit dem Sofortprogramm soll die Pflegekrise entschärft werden. Die Opposition hat Zweifel

01.10.2018
2023-08-30T12:34:35.7200Z
4 Min

In der Pflegekrise hat sich viel Frust aufgestaut. Pflegekräfte reagieren inzwischen dünnhäutig, wenn aus der Politik Lösungswege proklamiert werden, die aus ihrer Sicht gar nicht taugen, um die Belastungen im Alltag zu lindern. So bezog unlängst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für einen eigentlich naheliegenden Vorschlag viel Prügel in öffentlichen Kommentaren, als hätte er sich dafür stark gemacht, das Pflegepersonal kurz vor dem Burnout noch für die Gestaltung der Klinikgärten zu verpflichten. Tatsächlich hatte Spahn lediglich die Hoffnung ausgedrückt, dass die vielen Pflegekräfte, die in Teilzeit arbeiten, unter verbesserten Bedingungen bereit wären, ein paar Stunden draufzulegen. Die Reaktionen fielen so vernichtend aus, dass Spahn sich gezwungen sah, zur Mäßigung aufzurufen.

Fachkräftemangel Mit dem in der vergangenen Woche erstmals beratenen Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) soll nun die Grundlage gelegt werden für mehr Entspannung im Pflegealltag, wobei allen klar ist, dass sich per Gesetz nicht sofort Heerscharen von Fachkräften zum Dienst melden, denn der Markt ist, wie Spahn wiederholt einräumen musste, wie "leer gefegt". Der Entwurf (19/ 4453) sieht vor, dass ab 2019 in der stationären Altenpflege 13.000 neue Stellen geschaffen werden. Die Pflegepersonalkosten der Krankenhäuser werden ab 2020 aus den Fallpauschalen (DRG) herausgenommen und auf eine krankenhausindividuelle Vergütung umgestellt. Zudem wird ab 2020 erstmals in Kliniken ein Pflegepersonalquotient ermittelt, der das Verhältnis der Pflegekräfte zum Pflegeaufwand beschreibt. Damit soll eine Mindestpersonalausstattung erreicht werden. Jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle im Krankenhaus wird ferner von den Kassen refinanziert. Bereits 2018 sollen rückwirkend auch Tarifsteigerungen für Pflegekräfte in Kliniken übernommen werden.

Der Gesetzentwurf beinhaltet auch Regelungen, um die Attraktivität des Pflegeberufes unmittelbar zu verbessern. So sollen die Krankenkassen jährlich zusätzlich mehr als 70 Millionen Euro in die Gesundheitsförderung von Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen investieren.

Spahn erklärte, die gesetzlichen Neuerungen brächten Hilfe im konkreten Alltag. Er räumte ein, dass die psychische und physische Belastung der Pflegekräfte teilweise zu groß sei. Zu einer Dauerbelastung komme es in Kliniken und in der Altenpflege. Spahn erneuerte seinen Wunsch, ausgestiegene Pflegekräfte und solche aus Teilzeit zurückzugewinnen. Dies sei möglich, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbesserten. Mit der Novelle werde "ein starkes Signal" gesendet.

Stiefkind Altenpflege Die Opposition kritisierte die aus ihrer Sicht unzureichenden Verbesserungen in der Altenpflege. Mehrere Redner äußerten zudem die Befürchtung, die Altenpflege könnte Fachpersonal an die attraktiveren Kliniken verlieren. Axel Gehrke (AfD) monierte handwerkliche Fehler und nannte als Beispiel die Kostenregelung für die medizinische Behandlungspflege in Pflegeheimen, die zu einem hohem Eigenanteil der Bewohner führe. Die Mehrbelastungen seien ungerecht und müssten abgeschafft werden.

Kordula Schulz-Asche (Grüne) monierte, die Vorlage beinhalte viele offene Fragen und Risiken. Für die Personaluntergrenzen in Kliniken gebe es keine nachvollziehbaren Kriterien. Die Altenpflege werde derweil benachteiligt und "zum Stiefkind" gemacht. Sehr bedenklich sei auch, dass Pflegehilfskräfte eingestellt werden könnten, wenn keine Fachkräfte verfügbar seien. Pflegen könne aber nicht jeder.

Harald Weinberg (Linke) erinnerte daran, dass sich inzwischen Pflegekräfte und Ärzte in Krankenhäusern zur Wehr setzten und damit eine neue "Dynamik" entstanden sei. Es gebe ein breites Bündnis aus Pflegeverbänden und Ärzteverbänden gegen den Pflegenotstand. Mit der jetzigen Novelle und der Rechtsverordnung zur Schaffung von Personaluntergrenzen in Kliniken sei ein Personalverschiebebahnhof zu befürchten. In der Altenpflege seien keine Verbesserungen zu erwarten, die 13.000 Stellen deckten nicht ansatzweise den Bedarf. Dafür sei eine Abwanderung von Pflegekräften von der Altenpflege in die Krankenhäuser wahrscheinlich.

Auch Nicole Westig (FDP) sagte, die Vorlage sei "gut gemeint, aber nicht gut gemacht". Niemand könne sagen, woher die zusätzlichen Fachkräfte jetzt kommen sollten. In der Altenpflege würden Auszubildende voll eingesetzt und damit ausgenutzt. Im Wettbewerb um Pflegekräfte seien Kliniken gegenüber der Altenpflege im Vorteil.

Fallpauschalen Karl Lauterbach (SPD) räumte ein, dass die Fallpauschalen im Krankenhaus die Probleme tendenziell verschärft hätten. Über viele Jahre habe die Krankenhauspflege bei der Abrechnung zu höheren Kosten geführt, daher seien Pflegestellen abgebaut worden. Nun werde ein "Neuanfang" in der Krankenhauspflege eingeleitet. Die Kliniken könnten künftig Pflegekräfte einstellen, ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden. Lauterbach versprach: "Die Löhne, aber auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege werden sich dramatisch verbessern." Allerdings gelte es in der Altenpflege, den Ersatz von Fachkräften durch Assistenzkräfte zu stoppen.

Roy Kühne (CDU) warnte davor, die Gesetzesinitiativen schlechtzureden. Mit der Novelle werde ein erster Schritt getan. Er betonte: "Die Wege, die wir jetzt gehen, sind gut." Wichtig sei in der Pflege die persönliche Hinwendung. In der Vergangenheit sei Empathie verloren gegangen, das solle sich nun wieder ändern, sagte er auch mit Blick auf die hohe Drop-out- und Krankheitsrate in dem Beruf.