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gesundheit : Halbe-halbe

Die Beitragsparität kommt 2019 zurück

22.10.2018
2023-08-30T12:34:36.7200Z
4 Min

Nach jahrelangem Streit wird 2019 die vollständige paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge wieder eingeführt. In der vergangenen Woche billigten Union, SPD und Grüne das sogenannte Versichertenentlastungsgesetz (19/4454; 19/5112) und machten damit den Weg frei für die Parität. So werden künftig auch die Zusatzbeiträge, die bisher von den Versicherten allein getragen wurden, je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt. Dies allein wird die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um rund 6,9 Milliarden Euro pro Jahr entlasten.

Je nach Perspektive ist die faire Lastenteilung damit erreicht oder auch nicht. Die Linke moniert, die Versicherten müssten jedes Jahr Zuzahlungen in Milliardenhöhe leisten und blieben etwa auf den Kosten für Brillen und Zahnersatz sitzen. Die Arbeitgeber führen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an, die zu ihren Lasten gehe. Die FDP votierte auch deshalb gegen die Novelle, während AfD und Linke sich enthielten, was mit Skepsis gegenüber den übrigen Regelungen des üppigen Gesetzentwurfs zu tun hat, der insgesamt eine Entlastung von rund acht Milliarden Euro jährlich bringen soll.

Selbstständige So sieht die Novelle auch Hilfen für geringverdienende Selbstständige vor, die sich in der GKV versichern wollen. Demnach wird der monatliche Mindestbeitrag für Selbstständige ab 2019 mehr als halbiert. Der Gesundheitsausschuss verständigte sich darauf, die sogenannte Mindestbemessungsgrundlage stärker abzusenken, als ursprünglich geplant, auf 1.015 Euro (1.038 Euro 2019). Viele Selbstständige von heute, merkte unlängst der DGB an, seien ehemalige Ich-AGs, Solo-Selbstständige, Scheinselbstständige oder Crowdworker im Internet mit wenig Einkommen. Selbstständigenverbände forderten eine noch stärkere Absenkung der Mindestbemessung, damit die Beiträge auch für Teilzeit-Selbstständige erschwinglich werden. Andernfalls würden viele Fachkräfte, vor allem Frauen, an der Erwerbstätigkeit gehindert.

Die gesetzlichen Krankenkassen werden mit dem Gesetz dazu verpflichtet, "passive" Mitgliedschaften auch rückwirkend zu beenden, um eine Anhäufung von Beitragsschulden zu verhindern. Experten gehen davon aus, dass bei den Krankenkassen bis zu 300.000 "Karteileichen" geführt werden, Mitglieder, die weder Beiträge zahlen, noch Leistungen in Anspruch nehmen, für die aber Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds fließen. Das sind zum Beispiel Saisonarbeiter, die nach Ende ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit in ihr Heimatland zurückkehren. Angesichts der zum Teil hohen Rücklagen sollen die Kassen außerdem ihre Finanzreserven systematisch zurückführen.

Soldaten Schließlich wird ehemaligen Zeitsoldaten ab 2019 ein einheitlicher Zugang zur GKV ermöglicht. Die Soldaten erhalten ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung in der GKV. Der Ausschuss beschloss auf Bitten des Bundeswehrverbandes eine befristete Regelung für wenige "Altfälle". Es handelt sich um Zeitsoldaten, die nach dem Dienstende 55 Jahre alt waren und von der Neuregelung nicht erfasst worden wären. Nun sollen sie entscheiden dürfen, ob sie in die GKV wechseln.

SPD und Grüne werteten die Novelle als Meilenstein. Karl Lauterbach (SPD) sagte, mit der Parität werde die GKV zukunftsfest gemacht angesichts der zu erwartenden immensen Kostensteigerungen. Ohne dieses Gesetz müssten die Arbeitnehmer die Mehrkosten alleine zahlen. "Das hätte schleichend zu einer dauerhaften Privatisierung des Gesundheitssystems geführt", sagte Lauterbach und wertete den Beschluss als "historisch". Mit Blick auf die Wahlmöglichkeit der Zeitsoldaten fügte er hinzu, es wäre sinnvoll, wenn das für alle gelten würde, denn viele ältere privat Versicherte fühlten sich "gefangen und würden gerne wechseln".

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte unwirsch auf die SPD und merkte mit Blick auf die Parität an: "Es ist Ihr Erfolg und jetzt höre ist schon wieder, was alles fehlt." Rund 56 Millionen Versicherte könnten mit mehr als 200 Euro Entlastung pro Jahr rechnen. Taxifahrer, Kioskbesitzer oder Webdesigner profitierten von sinkenden Beiträgen für Selbstständige. Das sei eine gute und konkrete Botschaft.

Nach Ansicht von FDP und Linken hätte die Bemessungsgrundlage für Selbstständige auf 450 Euro gesenkt werden sollen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) argumentierte, die GKV-Beiträge müssten nach dem tatsächlichen und nicht nach einem fiktiven Einkommen bemessen werden. Unter der jetzigen Regelung litten vor allem Frauen, die aus familiären Gründen keine Vollzeitjobs verrichten könnten.

Achim Kessler (Linke) monierte, das Gesetz sei ein "Flickwerk", das die sozialen Ungerechtigkeiten nicht beseitige. Immerhin würden überfällige Korrekturen vorgenommen. Bei der Mindestbeitragsbemessung müsse das reale Einkommen herangezogen werden. Und das für alle freiwillig Versicherten, auch für Rentner und Studenten und nicht nur für Selbstständige.

Rücklagen Detlev Spangenberg (AfD) forderte den Bund auf, endlich kostendeckende Beiträge zur Krankenversicherung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern zu zahlen. Die aktuelle Deckungslücke liege bei 8,7 Milliarden Euro pro Jahr. Das sei nicht in Ordnung.

Maria Klein-Schmeink (Grüne) lobte, mit dem Gesetz sei eine echte Entlastung verbunden. Dies sei ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung der GKV. Problematisch sei die Regelung zur Auflösung von Kassenrücklagen. Dabei könnten leicht "Schieflagen" entstehen. Karin Maag (CDU) sagte, die Versicherten könnten nun teilhaben an der positiven Wirtschaftsentwicklung. Für die Arbeitgeber werde ein Anreiz gesetzt, sich wieder mehr für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen einzusetzen.