WEIBLICHE SEXUALITÄT : Deutungshoheit über Vulva, Vagina, Klitoris und Co.
In ihren Comics zeichnen Katja Klengel und Liv Strömquist gegen sexistische Wissenschaftler und falsche Vorstellungen an
Sigmund Freud hatte eine insgesamt merkwürdige Sicht auf die weiblichen Geschlechtsorgane. Ganz grundsätzlich unterstellte der Begründer der Psychoanalyse Frauen einen Penisneid. "Es [das Mädchen] bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen", heißt es etwa in einer Schrift von 1925. Daraus entwickeln Mädchen Freud zufolge beispielsweise ein inzestuöses Verlangen auf den Vater, um den Mangel an Penis durch ein Kind zu ersetzen. Alles unbewusst natürlich.
Dass solche Vorstellungen weiblicher Sexualität - und Freud ist da nur einer unter vielen - mindestens problematisch, wenn nicht gar gleich komplett abstrus sind, ist schon länger Gegenstand feministischer Kritik. Vieles, was Mann einst über Anatomie und Lust der Frau dachte, hat sich inzwischen als komplett falsch erwiesen. Auch abseits der Wissenschaft arbeiten Aktivistinnen und Künstlerinnen daran, die Deutungshoheit über Vulva, Vagina, Klitoris und Co. zurückzugewinnen.
Viva la Vulva Dafür wird auch der Zeichenstift gezückt. "Viva la Vulva" heißt etwa eine der Comic-Kolumnen der Berliner Autorin Katja Klengel in ihrem jüngst erschienen Buch "Girlsplaining" (Reprodukt, 160 Seiten, 18 Euro). Darin greift Klengel neben seiner Penisneid-Behauptung auch einen von Freud popularisierten Mythos auf: die "Vagina dentata". Dabei handelt es sich um die quasi fleischgewordene Kastrationsangst, nämlich eine bezahnte Vagina. Klengel packt aber in ihrer Erzählung noch in ein bisschen moderne Mythologie darauf. Die "Vagina dentata" wird da zur Bedrohung für Voldemort, dem Erzbösewicht der "Harry Potter"-Reihe. Er fürchtet um seinen Zauberstab. Voldemort erfüllt in Klengels Erzählung aber noch eine zweite Funktion. Denn in der Zauberwelt von Harry Potter ist der gefürchtete Voldemort vor allem als "er, dessen Name nicht genannt werden darf" bekannt - und das trifft der Zeichnerin zufolge auch auf das weibliche Geschlecht zu, das "Untenrum", das "Duweisstschonwas". "Es ist schwer, über weibliche Genitalien und die Lust der Frau zu sprechen, wenn bereits aus unseren Geschlechtsorganen etwas Unaussprechliches gemacht wird", schreibt Klengel - und fordert: "Viva la Vulva!".
Und es geht ihr dabei nicht nur um korrekte Nomenklatur, sondern um die Konsequenzen für Mädchen und Frauen dieser Unaussprechlichkeiten. Anhand ihres gezeichneten Alter Ego schildert die 1988 geborene Klengel etwa die Schamkultur um die Menstruation. Sie habe einst gedacht, menstruieren sei "irgendwie eklig" und "unhygienisch". "Aus Scham habe ich mir anfangs immer Binden mit Blümchenduft gekauft. Und die allein wollen ja schon sagen: Weil deine Muschi stinkt!", heißt es dem entsprechende Panel. Andere Geschichten, die sich in der Kolumnen-Sammlung finden, beschäftigen sich etwa mit den Umgang mit Scham- und Beinbehaarung, den Umgang mit Sex und Lust oder Schwangerschaften.
Etwas weniger persönlich im Stil, aber nicht weniger eindringlich geht die schwedische Comic-Autorin Liv Strömquist das Thema an. Ihr vielbeachtetes, 2017 in Deutschland erschienenes Comic "Der Ursprung der Welt" (Avant-Verlag, 140 Seiten, 19,95 Euro) kommt als gezeichnete Kulturgeschichte der Vulva daher. Entsprechend fehlt es auch nicht an Quellenangaben. Pointiert nimmt sie sich etwa "Männer, die sich zu sehr dafür interessieren, was als 'das weibliche Geschlechtsorgan' bezeichnet wird" vor. Kirchenlehrer Augustinus´ Auffassung über die Sündhaftigkeit der Frau gerät so in den Blick der 1978 geborenen Zeichnerin, aber auch die "Typen aus Hexenprozessen".
So zeichnet sie nach, wie während dieser "Prozesse" die Richter unter anderem zwischen den Beinen ihrer Opfer nach sogenannten Teufelsmalen suchten - und sie vermeintlich fanden, aber wohl öfter einfach nur die Klitoris entdeckten. Das stieß bei den Betroffenen wenig überraschend auf Unverständnis. Strömquist zitiert dazu eine Frau namens Ernni Vuffiod, die einer solchen Prozedur im schweizerischen Kanton Fribourg zum Opfer fiel: "Wenn das ein Teufelsmal ist, wären viele Frauen Hexen." scr