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Parlamentarisches Profil : Die Behindertenstreiterin: Ulla Schmidt

15.04.2019
2023-08-30T12:36:20.7200Z
3 Min

I ch kenne viele Menschen mit Down-Syndrom, und ich habe noch keinen gesehen, der gesagt hat: Es wäre besser, ich wäre nicht auf der Welt. Und ich kenne keine Eltern, die sagen: Das Kind wäre besser nicht geboren worden." Ulla Schmidt weiß, wovon sie spricht. Sie ist seit 2012 ehrenamtliche Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, eines Selbsthilfevereins für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien. 14 Jahre lang hat die Aachenerin als Lehrerin für Sonderpädagogik und für Rehabilitation lernbehinderter und erziehungsschwieriger Kinder gearbeitet, bevor sie 1990 in den Bundestag gewählt wurde, dem sie seitdem angehört und dessen Sitzungen sie in der vergangenen Legislaturperiode als Vizepräsidentin leitete. Jetzt ist sie federführend in der SPD-Fraktion für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik tätig.

In der derzeitigen Diskussion um Bluttests würden die Perspektiven der Betroffenen "viel zu wenig aufgenommen", beklagt Schmidt. Menschen mit Down-Syndrom schmerze das. Sie sagten: "Ich finde mein Leben gut, so wie es ist, ich lebe gerne. Ich bin auch nicht behindert, ich brauche vielleicht manchmal ein bisschen Unterstützung, aber wer braucht die nicht." Diese Menschen wehrten sich dagegen, dass durch einen Bluttest, der allen Schwangeren angeboten wird, "praktisch ein Leben mit Down-Syndrom als vermeidbar gesehen wird". Den Eltern gehe die Diskussion ebenso nahe, berichtet Schmidt. Auch heute noch, obwohl Vieles besser geworden sei, sähen sie sich vorwurfsvollen Blicken ausgesetzt und der Frage, ob "das nicht hätte vermieden werden können". Diese Eltern pochten darauf, dass es nicht nur ein Recht auf Wissen gebe, sondern auch auf Nichtwissen. Wenn Bluttests auf Down-Syndrom zur normalen Kassenleistung würden, steige der Druck auf Schwangere, sie auch durchzuführen, um nicht später schief angesehen zu werden.

Als Bundesgesundheitsministerin von 2001 bis 2009 hatte Ulla Schmidt mitzuentscheiden, worum es jetzt auch geht: Was von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt wird. "Wenn ich befürchte, ich könnte erkrankt sein, werden mir auch nicht reihenweise Voruntersuchungen bezahlt", sagt Schmidt. Es müssten schon Indikationen, also Anhaltspunkte, vorliegen. So sei es auch hier. Wenn es bei der normalen Schwangerschaftsuntersuchung Auffälligkeiten gebe oder die Frau zu einer Risikogruppe gehöre, wenn daraufhin eine Pränataldiagnostik von qualifizierten Ärzten durchgeführt werde, dann, betont Schmidt, "ist es überhaupt keine Frage, dass das auch von der Kasse bezahlt werden soll". Im Übrigen schreibe das Gendiagnostikgesetz "genau für diese Fälle vor, dass es keine Untersuchung geben darf ohne medizinische Beratung von hoher Qualität". Und, fügt sie an, "wir brauchen auch soziale Beratung." Keinesfalls dürfe es Reihenuntersuchungen geben, "um mal festzustellen, kommt ein Kind mit Down-Syndrom, will ich es oder nicht". So etwas "kann nicht die Krankenkasse bezahlen, das ist kein therapeutischer Test", betont die Abgeordnete. Therapeutische Tests, etwa ob eine Anämie vorliegt oder Schwangerschafts-Diabetes droht, Krankheiten also, die der Arzt auch behandeln kann, sie würden zurecht von der Kasse bezahlt. Aber Trisomie 21, die das Down-Syndrom verursacht, sei keine Krankheit, sondern eine genetische Veranlagung.

Die Sozialdemokratin lässt deshalb auch nicht das Gerechtigkeits-Argument gelten, es dürfe nicht sein, dass den Bluttest nur bekomme, wer sich die 120 Euro leisten kann. "Die Frage ist", wird sie hier deutlich, "in welcher Gesellschaft wollen wir leben? Gibt es ein Recht auf ein perfektes Kind? Ich sage Ihnen: Niemand kann uns ein perfektes Leben versprechen, niemand, was auch immer das heißt, ein perfektes Kind". Wenn man sehe, welche anderen molekulargenetischen Untersuchungsmethoden es heute noch gibt, dann drohe Eltern ein wachsender Druck, "dass sie sich nur dann für ein Kind entscheiden sollen, wenn es keine Abweichungen aufweist. Für die, die das nicht wollen, wird die Situation immer schwieriger, und für die Menschen mit Behinderung wird es auch schwieriger."