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EU-Haushalt : Milliarden gegen Skepsis

Nach den Wahlen steht die Finanzplanung an. Kommission und EP wollen mehr Geld

29.04.2019
2023-08-30T12:36:21.7200Z
5 Min

Die Posse um den Brexit, wirtschaftliche Unwägbarkeiten, der Aufstieg EU-skeptischer Rechtspopulisten, Zweifel am Rechtsstaatsverständnis in Polen oder Ungarn - die Herausforderungen für die Europäische Union sind groß. Geht es nach Willen der Kommission und des Europäischen Parlaments (EP) soll die Staatengemeinschaft mit finanzieller Aufrüstung darauf antworten. Ein Budget für eine "Union, die schützt, stärkt und verteidigt" gab die Kommission um Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) im Mai vergangenen Jahres bei der Vorstellung des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2021-2027 als Motto aus. Ziel des kräftigt aufgestockten Budgetvorschlags müsse sein, einen "echten europäischen Mehrwert" zu schaffen, sagte Oettinger.

Dieser Mehrwert muss den Mitgliedstaaten offenbar noch vermittelt werden. Die von der Kommission und vom EP gewünschte Deadline, den MFR vor den Europawahlen zu beschließen, ließen diese verstreichen. Zu komplex und strittig gestalteten sich die Verhandlungen, die nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums "vermutlich die schwierigsten in der Geschichte der Europäischen Union" werden dürften. Nun drängt und hofft die Kommission darauf, den MFR im Herbst 2019 über die Bühne zu bringen. Das ist aber einigermaßen fraglich, dürfte doch die Zusammensetzung von Parlament und künftiger Kommission nochmal zu erheblichen Verschiebungen der Prioritäten führen. Denn hinter dem MFR steht ein umfangreiches Verfahren. So müssen neben der MFR-Verordnung zahlreiche begleitende Rechtsakte durch Rat und Parlament gebracht und entsprechende Mehrheiten organisierten werden. Dazu laufen die Gespräche teils schon. Streitpunkte gibt es viele, etwa auch die Frage, ob und wie ein Eurozonen-Budget Teil der Finanzplanung sein könnte (siehe Text unten).

Im MFR schreibt die EU Obergrenzen für Ausgaben für die siebenjährige Haushaltsperiode fest. Konkret sieht der Kommissionsvorschlag vor, die Obergrenze der sogenannten Mittel für Verpflichtungen für die neue Haushaltsperiode auf insgesamt 1.279 Milliarden Euro (jeweils aktuelle Preise) zu erhöhen. Auf die Jahre runtergerechnet würden der EU für den Haushalt 2021 damit maximal 166,7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, 2027 wären es rund 196 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2019 beläuft sich auf 356,4 Milliarden Euro. Gegenüber dem MFR 2014-2020 fällt der Kommissionsvorschlag laut Darstellung des Bundesfinanzministeriums 18 Prozent höher aus. Rechne man den Teil der EU-Ausgaben raus, der aktuell dem Briten zugutekommt, dann ergebe sich aus dem Kommissionsvorschlag sogar ein Anstieg um 24 Prozent.

Höhere Beiträge Innerhalb des Rahmens will die Kommission neue politische Prioritäten angehen. Für unter anderem Forschung, Grenzschutz und Verteidigung sollen mehr als 100 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Die Kommission setzt dabei zur Finanzierung vor allem auf "frisches Geld": neue Eigenmittel und höhere Beiträge der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung hat sich zwar grundsätzlich zu höheren Beiträgen bereiterklärt. Allerdings übersteigt das von der Kommission vorgeschlagene MFR-Ausgabeniveau - die veranschlagten Mittel für Verpflichtungen würden 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU-27 betragen - diese Bereitschaft offenbar. Denn so könnten die deutschen EU-Beiträge von aktuell rund 30 Milliarden nicht um die bisher avisierte zehn, sondern um 15 Milliarden Euro auf durchschnittlich 45 Milliarden Euro jährlich steigen. "Das ist realistisch nicht darstellbar", warnte das Bundesfinanzministerium im Oktober. Selbst wenn der Ausgaberahmen bei einem Prozent des BNE der EU-27 verbleibe, sei die finanzielle Mehrbelastung für die Mitgliedsländer erheblich. Eine Auffassung, die auch von anderen Nettozahler-Staaten wie den Niederlanden oder Österreich geteilt wird. Die Forderung aus dem Bundesfinanzministerium war dann auch eindeutig: Am Volumen des MFR muss noch gedreht, die inhaltliche Ausrichtung noch stark verändert werden: Es könnten "nicht alle Wünsche erfüllt werden".

Das sieht das EP anders. Die Parlamentarier präsentierten vergangenen November eine eigene Wunschliste. Das Parlament sei "der Auffassung, dass es der EU auf der Grundlage des vorgeschlagenen Umfangs des MFR nicht möglich sein wird, ihren politischen Verpflichtungen nachzukommen und auf die wichtigen bevorstehenden Herausforderungen zu reagieren", heißt es in der entsprechenden Entschließung. Gegenüber dem Kommissionsvorschlag will das EP weitere 215 Milliarden Euro drauflegen und die Obergrenze auf 1,3 Prozent des BNE der EU-27 anheben. So will das EP bei den traditionellen Ausgabeschwerpunkten Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und Strukturpolitik gegenüber dem Kommissionsvorschlag mehr Mittel zur Verfügung stellen. Dieser hatte eigentlich vorgesehen, beispielsweise bei der GAP die Direktzahlungen moderat zu kürzen. Auch den Europäischen Sozialfonds (120,5 statt rund 101,2 Milliarden Euro) und das Programm "Erasmus+" (46,8 statt 30 Milliarden Euro) wollen die Parlamentarier besser ausstatten als die Kommission. Das gilt ebenso für den Forschungsbereich: Das "Horizont 2020"-Programm soll bis zu 135,2 statt 94,1 Milliarden Euro verausgaben dürfen.

Wie auch die Kommission will das Parlament die Finanzierungsbasis der EU erweitern und so den Anteil der BNE-Beiträge der Mitgliedsstaaten mittelfristig reduzieren. Aktuell bezieht die EU ihre jährlichen Haushaltsmittel aus einem Teil der in den Mitgliedsstaaten erhobenen Mehrwertsteuer sowie aus Zöllen. Den Großteil der Mittel machen aber die BNE-Beiträge der Mitgliedstaaten aus. So führt die Bundesrepublik laut Finanzplan des Bundes (19/3401) in diesem Jahr insgesamt 36,54 Milliarden Euro als Eigenmittel ab, davon werden 28,65 Milliarden Euro als BNE-Beitrag erhoben.

Die Kommission schlägt neben einer Vereinfachung der Mehrwertsteuer-Abführung sowie geringeren Erhebungskostenanteilen bei den Zöllen drei neue Eigenmittelkategorien vor: Demnach soll die EU an den jeweiligen nationalen Einnahmen aus dem Emissionshandel beteiligt werden. Auch eine Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffverpackungen sowie eine Beteiligung an der vorher noch zu harmonisierenden Körperschaftssteuer kann sich die Kommission vorstellen. Bis zu 22 Milliarden Euro sollen so künftig zusätzlich jährlich in die Kassen der EU fließen. Hinter diese Vorschläge stellt sich auch das EP, geht aber noch darüber hinaus. So bringen die Parlamentarier die schon lange diskutierte Finanztransaktionsteuer und die gezieltere Besteuerung von Internet-Unternehmen ins Spiel sowie ein neues CO2-Grenzausgleichsystem; Vorschläge, die nicht unumstritten und deren Einführung gerade im Steuerbereich fraglich sind - mit entsprechenden Folgen für jedwede Finanzplanung.

Für Verstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und Zoff im Wahlkampf sorgt zudem die Frage, inwiefern EU-Mittel aufgrund von Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien einbehalten werden können. Geht es nach der Kommission, soll ihr künftig ein Instrumentarium an die Hand gegeben werden, um bei festgestellten Verstößen, Mittel einzubehalten oder auszusetzen. "Nur wenn in allen Mitgliedstaaten eine unabhängige Justiz die Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit wahrt, ist letzten Ende garantiert, dass Gelder aus dem EU-Haushalt ausreichend geschützt sind", schreibt die Kommission dazu mit einem deutlichen Fingerzeig nach Warschau, Budapest und Bukarest. Dort kommt diese Idee - die grundsätzlich im westlichen Europa auf Unterstützung trifft - allerdings weniger gut an. Sie warnen vor einer übergriffigen EU. Fest steht: Am Ende müssen die diversen gordischen Knoten - Volumen, Programme, Eigenmittel, Sanktionsmechanismen - mit viel Verhandlungsgeschick im Konsens zerschlagen werden. Denn der MFR erfordert Einstimmigkeit. Den Staatschefs dürften lange Nächte bevorstehen. Sören Christian Reimer