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RECHTER TERROR : Gefahr erkannt, nicht gebannt

Der Bundestag debattiert über Konsequenzen aus dem Mordfall Lübcke

01.07.2019
2023-08-30T12:36:24.7200Z
5 Min

Gleich zu Beginn der letzten Sitzungswoche des Bundestags vor der Sommerpause wählte Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vergangenen Mittwoch im Plenum deutliche Worte: "Das Machtmonopol des Staates ist dazu da, dass es auch angewendet wird - konsequent und durchschlagend", sagte der CDU-Politiker, als er an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erinnerte: "Sollten sich die Vermutungen der Bundesanwaltschaft über die Tatmotive bestätigen", wofür vieles spreche, habe man es mit einem "erschreckenden Ausmaß an rechtsextremistischer Gewalt zu tun". Es sei am Rechtsstaat, die weiteren Hintergründe zügig und umfassend aufzuklären, fügte Schäuble hinzu, "und an der Politik und den Sicherheitsbehörden, dafür zu sorgen, dass sich beweist, wovon beim Grundgesetzjubiläum so viel die Rede war: unsere wehrhafte Demokratie".

Die ist durch den Mord - auch das macht der Bundestagspräsident deutlich - offen herausgefordert: Lübcke sei offensichtlich erschossen worden, "weil er öffentlich für das eintrat, worauf unsere offene Gesellschaft aufbaut: Anstand, Toleranz und Menschlichkeit". Er sei ein Repräsentant des Staates gewesen, aber "kaltblütig ermordet wurde ein Mensch, für seine Nächsten der Ehemann und der Vater, der nahe Angehörige, für viele ein enger Weggefährte und Freund".

Zu den "beklemmenden Erfahrungen" der vergangenen Tage gehörten die "Abgründe an Häme und Hass inmitten unserer Gesellschaft gegenüber denen, die in unserem Land Verantwortung übernehmen, vielfach ehrenamtlich", fuhr Schäuble fort. Dabei sei menschenfeindliche Hetze auch heute der Nährboden für Gewalt bis hin zum Mord: "Wer diesen Nährboden düngt, macht sich mitschuldig." (Wortlaut siehe "Debattendokumentation")

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist es "Aufgabe des gesamten politischen Spektrums", sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen. Diese Abgrenzung müsse " im politischen Raum durchgesetzt werden", sagte die Regierungschefin im Anschluss an Schäubles Ausführungen bei der Befragung der Bundesregierung durch das Parlament. Darüber hinaus sei es "ganz wichtig, dass wir dort zusammenhalten, wo es um diese Abgrenzung geht", und "keine Lücken eröffnen, um überhaupt Gedanken zuzulassen, die solchen rechtsextremistischen Taten in irgendeiner Weise Legitimität verschaffen".

Sondersitzung Wenige Stunden zuvor war der Innenausschuss des Parlaments zu einer Sondersitzung zusammengekommen, um sich über den Ermittlungsstand im Fall Lübcke zu informieren; neben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) standen auch die Präsidenten des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Holger Münch und Thomas Haldenwang, sowie Generalbundesanwalt Peter Frank den Abgeordneten Rede und Antwort. Letzterer hatte dabei die wichtigste Neuigkeit im Gepäck: Der inhaftierte Tatverdächtige, teilte Frank dem Ausschuss mit, hatte am Vortag ein Geständnis abgelegt. Dass die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts durch die Einlassungen des tatverdächtigen Rechtsextremisten nicht entfallen ist, macht deutlich, dass hinter dem Mord ein politisches Motiv steht; nur dann ist die Tat ein Fall für die Bundesanwaltschaft.

Am Donnerstag beschäftigte der Mordfall erneut das Parlament. In einer Aktuellen Stunde mit dem Titel "Für den Schutz unserer Demokratie - Gegen Hass und rechtsextreme Gewalt" verurteilten Redner aller Fraktionen die Tat scharf und riefen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf - womit die Gemeinsamkeiten indes auch erschöpft waren.

Der Bundesinnenminister warnte, der Rechtsextremismus in Deutschland sei eine "hohe Gefahr für unser Land und die Bevölkerung". Seehofer bescheinigte zugleich den Sicherheitsbehörden, "äußerst professionell" zu arbeiten. Gleichwohl müsse man das eine oder andere in der Arbeit der Sicherheitsbehörden verbessern. Dazu zählten auch die analytischen Fähigkeiten, "das heißt, weit im Vorfeld durch Zusammenarbeit, durch Analyse nicht nur mögliche Einzeltäter im Blick haben, sondern auch die Netzwerke im Internet, die Zusammenarbeit, die Mitwisserschaft, die mögliche Mittäterschaft". Dies sei personalintensiv, sagte der Ressortchef, weshalb "auch personell und in der technischen Ausstattung eine weitere Verbesserung bei den Sicherheitsbehörden" gebraucht werde.

Die neue Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) drängte darauf, den Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden auf Rechtsextremisten "massiv" zu erhöhen. Viel zu lange hätten viele den "braunen Sumpf" nicht sehen wollen. Dabei habe man es mit einer "echten rechtsterroristischen Bedrohung zu tun" und müsse "alles tun, um diesem widerwärtigen Treiben ein Ende zu bereiten". Auch die Aufklärung der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) sei "noch lange nicht zu Ende. Keine NSU-Akte darf verschlossen sein", fügte Lambrecht hinzu. Man solle aber nicht "zulasten der Freiheit vor dieser rechten Gewalt einknicken" und müsse sich nicht immer neue Einschränkungen einfallen lassen. Vielmehr gehe es "hauptsächlich darum, das bestehende Recht durchzusetzen".

Auch Stephan Thomae (FDP) mahnte, den "Feinden der offenen Gesellschaft" entschlossen entgegenzutreten. Man könne aber den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht schützen, indem man die Freiheitsrechte der Menschen einschränkt. "Unser Rechtsstaat ist doch nicht wehrlos", betonte Thomae. Seine Instrumente seien geeignet und ausreichend. Er warne davor, jetzt "zu versuchen, eine Verfassungsschutzgesetzreform voranzubringen, die vorschnell wäre".

Gottfried Curio (AfD) sagte, gegen Rechtsextremismus müsse "entschlossen gekämpft werden". Das Entsetzen über den Mord sollte aber "nicht zur Instrumentalisierung verleiten, etwa um einen politischen Konkurrenten zu verleumden". Dies geschehe jedoch, "wo bewusst die Grenze verwischt werden soll zwischen rechtsextrem - was demokratiefeindlich ist - und rechts, was wie links und liberal eine politische Richtung im demokratischen Spektrum ist", fügte Curio hinzu. Im ersten Quartal dieses Jahres habe es 217 Straftaten gegen Repräsentanten von Parteien gegeben, davon 114 gegen die AfD. Die "Verfemung der politischen Rechten" schlage "der Demokratie ins Gesicht", sagte der AfD-Abgeordnete.

André Hahn (Linke) beklagte dagegen, in den "sogenannten sozialen Medien" werde "von Rechten und Rassisten hemmungslos gegen jeden gehetzt, der nicht in ihr krudes Weltbild passt". Auf den Hass im Internet folgten nicht selten Taten auf der Straße, fügte Hahn hinzu und warf der AfD vor, sie habe "mit ihren rassistischen und revisionistischen Äußerungen einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung". Hahn beklagte zugleich, dass der Terror von rechts lange Zeit "verharmlost und bagatellisiert" worden sei. "Mindestens 197 Todesopfer rechter Gewalt gibt es in Deutschland seit 1990", sagte er. Die Bundesregierung habe jedoch bis heute einen Teil dieser Verbrechen nicht offiziell als rechtsmotiviert anerkannt.

Konstantin von Notz (Grüne) sagte, es stehe die Frage im Raum, "ob altbekannte rechtsextremistische Strukturen wie die des NSU" bis heute fortbestehen. "Die Hinweise verdichten sich stündlich", fügte er hinzu. "Die hohe Anzahl, die Verwebungen, die Kontinuitäten, die Militanz dieser Netzwerke und Gruppen" müsse "hochgradig alarmieren". Notwendig sei eine "Task Force", die sofort "die Defizite analysiert und abstellt, Expertise bündelt" sowie "Unterstützung und Hilfe für die von rechtem Hass und Terror Betroffenen" leiste.

Marian Wendt (CDU) schilderte, wie er selbst mehrfach massiv bedroht wurde, und machte für diese Bedrohung wie für den Mord an Walter Lübcke "die AfD mitverantwortlich: Sie tragen zur Radikalisierung in diesem Land bei und fördern diese durch Ihre Sprache und Hetze", sagte der CDU-Parlamentarier und fügte hinzu: "Ihre Sprache von der AfD erzeugt nur Hass, Drohungen, Gewalt und schlussendlich Mord."

Der SPD-Abgeordnete Sigmar Gabriel warf der AfD gleichfalls vor, sich "mitverantwortlich gemacht" zu haben. Eine Partei sei auch verantwortlich für das politische Klima, und da sei die AfD "Haupttäter und nicht etwa Opfer". Auch Gabriel erinnerte daran, dass seit 1990 fast 200 Menschen "Opfer fanatisierter Rechtsterroristen" geworden seien. Es gebe auch Gewalt von links und islamistische Gewalt, die nicht zu rechtfertigen sei und auf Widerstand treffen müsse, aber "massenhaft gemordet in diesem Land wurde von rechts", sagte er: "Der Feind der Demokratie steht heute nicht irgendwo, sondern rechts".