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Berlin : Der Ruf nach Enteignung

Ein Volksbegehren will große private Wohnungsunternehmen enteignen. Gestritten wird über die Frage, ob das rechtlich überhaupt zulässig ist. Teuer würde es auch

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
3 Min

Für die Berliner Initiatoren war es ein erster großer Erfolg. Innerhalb weniger Monate sammelten sie 77.000 Unterschriften für das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen". Das von ihnen verfolgte Ziel sorgt weit über Berlin hinaus für Diskussionen: Die Initiative will alle privaten Wohnungsunternehmen, die in Berlin mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, enteignen und deren Wohnungsbestände in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführen. Betroffen davon wären etwa die börsennotierten Konzerne Deutsche Wohnen, Vonovia und TAG, aber auch das schwedische Wohnungsunternehmen Akelius und die zur Evangelischen Kirche gehörende Hilfswerk-Siedlung.

Hintergrund der Forderung sind die stark gestiegenen Wohnungsmieten. Eine Enteignung, schreiben die Initiatoren auf ihrer Internetseite, sei nötig, weil "die Auswüchse gegen Mieter in ihrer Gesamtheit keine tragischen Einzelfälle darstellen, sondern vielmehr Ausdruck eines strukturellen Problems einer rein profitorientierten Wohnraumbewirtschaftung sind".

Dass diese Einschätzung nicht nur von radikalen Kreisen geteilt wird, zeigen Reaktionen auf das Volksbegehren. Im Grundsatz dafür ausgesprochen haben sich mit Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zwei der drei Parteien, die den Berliner Senat bilden. Auch der Berliner Mieterverein unterstützt das Vorhaben. Entsprechende Ideen finden mittlerweile in anderen Städten Widerhall. Sogar in Jena forderten Demonstranten die Enteignung des lokalen Wohnungsunternehmens Jenawohnen, an dem neben den örtlichen Stadtwerken auch ein privater Investor beteiligt ist.

Zahlreich sind aber auch die Stimmen, die vor der Debatte warnen. "Brandgefährlich" seien die Sympathien für die Enteignungsbefürworter, sagt Michael Groschek, der frühere Bauminister von Nordrhein-Westfalen und jetzige Präsident des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, macht darauf aufmerksam, dass durch "derartige publikumswirksame Diskussionen die Bereitschaft von privaten Investoren, neuen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, im Zweifel deutlich reduziert" werde.

Dabei ist umstritten, ob eine Enteignung überhaupt rechtens ist. Die Befürworter stützen sich auf den (bisher nie angewandten) Artikel 15 des Grundgesetzes. "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden", heißt es darin. Dieser Artikel sei aber keine Grundlage für eine Vergesellschaftung von Wohnungen, schreibt der Verfassungsrechtler Helge Sodan in einem Gutachten. Er begründet dies unter anderem damit, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt auch durch mildere Mittel verbessern lasse.

Ebenfalls kontrovers diskutiert werden die Kosten der Enteignung. Während der Berliner Senat diese Kosten auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro beziffert, rechnen die Initiatoren mit einem deutlich niedrigeren Betrag. Für Maren Kern, Vorstand des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und eine der profiliertesten Gegnerinnen des Volksbegehrens, sind diese Kosten nicht zu verantworten, da durch die Kollektivierung keine einzige Wohnung zusätzlich entstehe.

Bis es möglicherweise tatsächlich zu einer Enteignung von Wohnungsunternehmen kommt, wird es aber auf jeden Fall noch dauern. Denn mit der erfolgreichen Unterschriftensammlung ist nur die erste von drei Stufen genommen. Im nächsten Schritt müssen die Initianten 170.000 Unterschriften zusammenbringen; danach kommt es zum eigentlichen Volksentscheid. Sollte auch dieser positiv ausgehen, müsste der Senat ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten, das dann mit Sicherheit juristisch angefochten würde.

Trotzdem zeitigt das Volksbegehren bereits Wirkung. So hat sich die besonders stark kritisierte Deutsche Wohnen im Juni freiwillig dazu verpflichtet, den Anteil des Nettoeinkommens, den ihre Mieter für die Bruttowarmmiete aufbringen müssen, auf 30 Prozent zu begrenzen. Vor allem aber hat der Berliner Senat die Eckpunkte für einen Mietendeckel beschlossen, der als inoffizieller Gegenvorschlag zum Volksbegehren betrachtet werden darf und ebenfalls bundesweit Schlagzeilen macht. Dieser Deckel legt fest, dass die Mieten von nicht preisgebundenen Wohnungen fünf Jahre lang nicht steigen dürfen. Auch gegen dieses Vorhaben gibt es heftigen Protest - und auch bei ihm streiten sich die Juristen bereits jetzt, ob das Land Berlin überhaupt die Kompetenz zu einem solchen Schritt hat.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.