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WAHLRECHT : Parteien sollen die Hälfte der Mandate für Frauen reservieren

Paritätsregelungen wie in Brandenburg und Thüringen stoßen bei Kritikern auf verfassungsrechtliche Bedenken

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
4 Min

Jetzt sind es schon zwei: Am vorletzten Freitag verabschiedete auch der Thüringer Landtag mit den Stimmen von Linken, SPD und Grünen ein Paritätsgesetz, das die Parteien verpflichtet, ihre Listen zur Landtagswahl künftig abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen. In Kraft treten soll es Anfang 2020 und damit erst für die übernächste Landtagswahl gelten.

Vorreiter Bundesweiter Vorreiter in Sachen Paritätsgesetz war Brandenburg, in dessen Landtag SPD, Linke und Grüne bereits Ende Januar ein Paritätsgesetz durchsetzen. Es soll Mitte 2020 und damit ebenfalls erst nach der nächsten Landtagswahl in Kraft treten. Über entsprechende Initiativen diskutiert wird auch im Rest der Republik, von Hamburg über Berlin bis München; im Bund machte man sich ebenfalls bereits daran, Chancen für ein Paritätsgesetz auszuloten. Im April lehnte Bayerns Landtag Gesetzentwürfe von SPD und Grünen für Paritätsregelungen klar ab. In Sachsen-Anhalt, wo CDU, SPD und Grüne im Koalitionsvertrag die Prüfung eines Paritätsgesetzes vereinbarten, legte Die Linke einen entsprechenden Gesetzentwurf vor.

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts soll nach dem Willen der Initiatoren der Paritätsregelung der mangelhaften Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden. Nicht zuletzt der Rückgang des Frauenanteils im Bundestag bei der Wahl 2017 um 5,6 Punkte auf nur noch 30,9 Prozent, den niedrigsten Wert seit 1998, hat die Debatte belebt. Dass seit Herbst 2018 für drei ausgeschiedene männliche Abgeordnete drei Frauen nachgerückt sind und so den Frauenanteil auf 31,3 Prozent angehoben haben, macht es nicht wirklich besser.

Sehr unterschiedlich ist der Frauenanteil in den Fraktionen: Bei den Grünen stellen derzeit Frauen 58,2 Prozent aller Fraktionsmitglieder, bei den Linken 53,6, bei der SPD 42,8. Bei der FDP machen die Frauen 23,8 Prozent der Gesamtfraktion aus, bei der CDU/CSU 20,7, bei der AfD 11,0.

In den Landesparlamenten schwankt der Frauenanteil zwischen 40,6 Prozent in Thüringen und 24,5 Prozent in Baden-Württemberg, wie die dortige Landeszentrale für politische Bildung angibt. Danach unterbietet die Hälfte aller Landesparlamente noch den aktuellen Bundestag-Wert. Kein Wunder also, dass sich die Initiativen zur Stärkung des weiblichen Elements häufen. Dabei halten auch die meisten Kritiker von Paritätsgesetzen einen höheren Frauenanteil für wünschenswert, bringen aber zahlreiche verfassungsrechtliche Bedenken gegen Paritätsgesetze wie in Brandenburg und Thüringen vor.

Für den FDP-Wahlrechtsexperten Stefan Ruppert etwa wäre es ein "durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in die Freiheit der Wahl", wenn Frauen und Männern verwehrt würde, Parteien mit einem stärkeren Anteil eines Geschlechts zu wählen. Andere monieren Verstöße gegen das Demokratieprinzip und das Prinzip der Gleichheit der Wahl. Auch auf eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs von 2018 wird verwiesen, wonach ein Parlament "kein möglichst genaues Spiegelbild" der Bevölkerung darstellen müsse. Andernfalls, argumentieren Kritiker, könnten auch Quoten für Herkunft oder Alter festgelegt werden. Ohnedies würden die Abgeordneten laut Verfassung das gesamte Volk und nicht nur einzelne Gruppen vertreten.

Neben Artikel 38 des Grundgesetzes also, der zu den Wahlgrundsätzen die freie und gleiche Wahl zählt und die Abgeordneten als "Vertreter des ganzen Volkes" sieht, wird von Gegnern der Paritätsregelungen auch an den Grundgesetz-Artikel 21 erinnert: "Die Parteien", heißt es da, "wirken bei der politischen Willensbildung des Volks mit. Ihre Gründung ist frei." Die hierdurch gewährleistete Chancengleichheit der Parteien sieht etwa der Wissenschaftlichen Dienst des Thüringer Landtages in einem Gutachten über das inzwischen beschlossene Gesetz durch die Neuregelung verletzt, weil sie "Parteien mit relativ einseitigem Mitgliederbestand benachteiligt" gegenüber Konkurrenten mit einem ausgewogenem Frauen- und Männeranteil. Ebenfalls moniert wird in dem Gutachten unter anderem ein Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Parteien, "autonom und ohne staatliche Vorgaben ihre Kandidaten für die Wahl aufzustellen".

Kritiker gesetzlicher Paritätsregelung sehen zudem das im Grundgesetz-Artikel 3 verankerte Verbot verletzt, Menschen aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren, wenn sie nur noch auf jedem zweiten Listenplatz kandidieren können.

Auch wenn es noch eine Reihe weiterer Einwände gegen Paritätsgesetze gibt, können sich deren Verfechter doch ebenfalls auf das Grundgesetz berufen. Dort heißt es in Artikel 3 Absatz 2: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin". Ein klarer Verfassungsauftrag, finden die Befürworter. Frauen stellten schließlich keine Minderheit, sondern 51,2 Prozent der Deutschen.

Vor Gericht Anders sieht das aus, wenn man von ihrem Anteil an den jeweiligen Parteimitgliedern ausgeht. Dann sind sie etwa im Bundestag teilweise sogar überrepräsentiert, wie der Parteienrechtler Martin Morlok im Februar vorrechnete. Danach sind bei den Grünen 39,8 Prozent der Mitglieder Frauen, bei der Linken 36,5, der SPD 32,5 und der FDP 21,9. In deren Bundestagsfraktionen sind die weiblichen Parteimitglieder also überproportional vertreten, bei der Union mit 26,3 Prozent weiblicher Parteimitglieder und bei der AfD mit 17 Prozent dagegen unterrepräsentiert.

Am Ende dürften Verfassungsgerichte über die Zulässigkeit von Paritätsgesetzen entscheiden. Gegen die Brandenburger Regelung haben die Piraten-Partei und die NPD bereits Verfassungsklage erhoben.