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Wer kann Klagen : Ab nach Karlsruhe? Nicht so schnell

Nur 2,3 Prozent der Verfassungsbeschwerden sind erfolgreich

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
2 Min

Über zu wenig Arbeit können sich die Karlsruher Verfassungsrichter nicht beklagen: Seit 1951 waren vor den beiden Senaten insgesamt 238.048 Verfahren (Stand: 31. Dezember 2018) anhängig. Davon waren zum Stichtag 234.812 erledigt und 3.236 noch offen. Gingen in den ersten Jahren bis Ende der 1960er bis zu 2.000 Verfahren beim Gericht ein, sind es inzwischen mehr als 5.000 pro Jahr.

Der Großteil der Verfahren, die auf den Schreibtischen der Richter landen, sind Verfassungsbeschwerden. Die kann gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 4a Grundgesetz jeder Bürger erheben, der sich von der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten oder einigen anderen in der Verfassung normierten Rechten verletzt sieht. Das kann sich auf Gerichtsurteile beziehen, auf Akte der Verwaltung oder auf verabschiedete Gesetze. Einfach ist die Beschwerde nicht, denn in der Regel muss zunächst der Rechtsweg ausgeschöpft werden. Gesetze oder Verordnungen direkt anzugreifen, setzt meist eine schwer begründbare unmittelbare Betroffenheit des Klägers voraus. Trotz der Hürden gingen seit 1951 beim Gericht 226.804 Verfassungsbeschwerden ein. Nur 5.186 davon (2,3 Prozent) waren erfolgreich.

Verfassungsrecht ist keine einfache Materie. Mal scheitert die Klage an der Zulässigkeit, mal ist sie unbegründet. Und manchmal sind Verfassungsbeschwerden so offensichtlich unsinnig, dass die Karlsruher Richter eine Missbrauchsgebühr von bis zu 2.600 Euro verhängen. Seit 1962 wurde diese Gebühr 3.089 Mal auferlegt und summierte sich seitdem auf insgesamt 681.516 Euro.

Nicht nur die Bürger können klagen. Über die abstrakte Normenkontrolle können gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 ein Viertel der Mitglieder des Bundestages oder eine Landes- beziehungsweise die Bundesregierung beantragen, Bundes- und Landesrecht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu überprüfen. Solche Verfahren sind seltener, aber politisch bedeutsam. In der Vergangenheit ging es etwa um den Länderfinanzausgleich oder auch Schwangerschaftsabbrüche. Insgesamt gab es seit 1951 3.861 Normenkontrollverfahren, zu denen auch die konkrete Normenkontrolle gehört. Diese kann von Gerichten angestrengt werden, wenn in laufenden Verfahren Zweifel daran bestehen, ob eine gesetzliche Grundlage verfassungskonform ist.

Für die parlamentarische und politische Praxis sind zudem Organstreitverfahren gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 1 relevant. Parteien, Fraktionen oder auch der Bundestag können dadurch die Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte anprangern. Dabei ging es in der Vergangenheit etwa um parlamentarische Mitwirkungsrechte während der Euro-Rettung oder die Art und Weise, wie die Bundesregierung Kleine Anfragen der Opposition beantwortet.

Parteiverbot Sehr selten, weil politisch komplex und im Ergebnis einschneidend, sind Parteiverbotsverfahren. Bundesregierung, Bundesrat oder Bundestag können dieses Verfahren anstrengen. Zwei Parteien wurden so durch Karlsruhe bisher verboten. 1952 traf es die SRP, eine NSDAP-Nachfolgeorganisation, und 1956 die KPD. Zwei Verbotsfahren gegen die NPD scheiterten 2003 und 2017 hingegen. Sören Reimer