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Raumfahrt : Kommerz im Kosmos

50 Jahre nach der Mondlandung ist das All zum Wirtschaftsstandort geworden

29.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
5 Min

Vor gerade einmal 62 Jahren schoss die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All, vor 58 Jahren mit Juri Gagarin, dem ersten Menschen. Nur acht Jahre später, am 21. Juli 1969, setzten um 3.51 Uhr mitteleuropäischer Zeit die ersten zwei Menschen, die US-Amerikaner Neil Armstrong und Buzz Aldrin, ihre Füße auf den Mond - gebannt verfolgt von weltweit rund 600 Millionen Zuschauern vor den Fernsehern. Astronauten wie Kosmonauten waren beseelt von den technischen Errungenschaften ihrer Zeit, die sie buchstäblich in neue Sphären hoben. Armstrongs Worte vom "riesigen Sprung für die Menschheit" erzählen von der verbreiteten Überzeugung, dass technische Möglichkeiten auch die Gesellschaft voranbringen würden - nicht zu Unrecht, wie sich erwies.

An Bord der Raumschiffe befanden sich aus damaliger Sicht ungeheuerliche Technologien. Zum Beispiel der erste auf kaum 30 Kilogramm verkleinerte Computer, der das Apollo-11-Kommandomodul "Columbia" mit bis dahin nicht gekannter Präzision zum Mond führte. Außerdem Brennstoffzellen, die aus Wasserstoff und Sauerstoff die nötige Energie und gleichzeitig Wasser für die Astronauten erzeugten. In den 1970er Jahren glaubten so auch viele in den Raumfahrtbehörden, dass Menschen bald täglich mit Fähren ins All starten, riesige Wohnanlagen im Orbit errichten, den Mond besiedeln und zum Mars aufbrechen würden. Doch es kam anders.

Zehn weitere Astronauten betraten bis 1972 den Mond. Danach blieb es lange still auf dem von der Erde nur 384.000 Kilometer entfernten Trabanten. Drei weitere geplante Mondlandungen wurden gestrichen, das Spaceshuttle, als es endlich flog, wurde ein lähmend teures und unsicheres Gefährt. Und auch die Haltung der Menschen änderte sich. Es entstand ein neues, globales Umweltbewusstsein und mit ihm Organisationen wie Greenpeace, Club of Rome und Friends of the Earth. Statt futurische Städte im All zu bauen, wurden Umweltsatelliten ins All befördert. Der erste europäische dieser Art, der ERS-1, wurde ab 1978 entwickelt, heute betreiben Europäische Raumfahrtorganisation (ESA) und Europäische Union eine Flotte aus gut einem Dutzend Satelliten, die jederzeit den gesamten Planeten im Blick haben. Die Daten des Copernicus-Erdbeobachtungsprogramms, die alles aufzeichnen von Feinstaubbelastung über Fluss-Pegelstände bis hin zu Schneehöhen und Wellengang, stehen Politik, Öffentlichkeit, Verwaltung, Wirtschaft und Forschung jederzeit zur Verfügung - und sind gerade angesichts der internationalen Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels von großer Bedeutung.

Wegbereiter für IT-Boom Das gerade drei Jahre währende Mondfahrtzeitalter der Menschheit hinterließ dennoch nicht nur monumentale und rostige Startanlagen im Kennedy Space Center, dem Raketenstartgelände der Raumfahrtagentur Nasa in Florida. Das Apollo-Programm von 1969 hat gezeigt, dass es sich lohnt, in die Raumfahrt zu investieren. Insgesamt 24 Milliarden Dollar an US-Steuergeldern flossen in die erste Mondlandung; auf den heutigen Geldwert umgerechnet wären das weit über hundert Milliarden Dollar. Dieses Geld hat die Nasa aber nicht sprichwörtlich auf den Mond geschossen. Es ebnete mit Entwicklungen wie dem legendären Apollo Guidance Computer unter anderem der US-Computerindustrie den Weg. Zwar betonen Kritiker des Mondfahrtprogramms zurecht, dass der Boom der IT-Industrie in den vergangenen 50 Jahren wohl auch ohne Mondlandung stattgefunden hätte. Der Vorsprung der US-Industrie gegenüber dem Rest der Welt wäre heute aber sicher kleiner. Unter anderem gründeten zwei Mitarbeiter eines damaligen Herstellers für neuartige Halbleiter, die beim Bau des Apollo-Bordrechners geholfen hatten, die Firma Intel, den heutigen Weltmarktführer für PC-Mikroprozessoren.

Strategische Bedeutung Längst gilt die Raumfahrt nicht mehr nur in den USA als Innovationsmotor. "Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat eine strategische Bedeutung für den Hightech-Standort Deutschland", heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, ihr Koordinator für Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU), sieht sie im Interview mit "Das Parlament" (siehe Seite 2) auf dem Weg zu einer "großen Industrie".

Vor allem Satelliten zur Telekommunikation sind zu einem milliardenschweren Geschäft geworden. Die fünf Automatischen Transfervehikel (ATV), die bis 2015 zur Internationalen Raumstation (ISS) flogen, um Ausrüstung, Treibstoff, Nahrung und Wasser in den Orbit zu bringen, wurden von der Raumfahrtsparte von Airbus in Bremen gebaut. Die dabei gesammelten Erfahrungen flossen wiederum in den Bau kommerzieller Satelliten "made in Europe" und sind bereits Teil der ersten bereits fertiggestellten Orion-Raumschiffe. Sie sollen ab 2023 Astronauten zu einer Raumstation bringen, die die Amerikaner mithilfe anderer Staaten im Orbit des Mondes errichten wollen. Airbus ist erneut mit dabei - die Firma baut das Servicemodul des Raumschiffes.

Auch zur Völkerverständigung hat die Raumfahrt manches beigetragen. Aus der ISS, einst 1984 unter US-Präsident Ronald Reagan als Raumstation westlicher Staaten ersonnen, entwickelte sich spätestens mit dem Einstieg Russlands im Jahr 1993 das wohl größte zivile Projekt der Menschheit. Mehr als 200 Astronauten aus 18 Staaten haben sie bis heute besucht. Als ab 2011 die ausrangierte Spaceshuttle-Flotte am Boden blieb, übernahm Russland mit seinen bewährten Sojus-Kapseln auch den Transport amerikanischer, europäischer oder japanischer Astronauten ins All - und das trotz aller internationalen Spannungen um die Annexion der Krim.

Der globale Wettbewerb setzt die europäische Raumfahrt jedoch auch zunehmend unter Druck: Die Raketenfirma SpaceX von US-Milliardär Elon Musk hat es dank eines Anreizprogramms der Nasa handstreichartig geschafft, den Startpreis für jedes ins All gestartete Kilogramm auf wenige tausend Euro zu drücken. Die mittlerweile im Zweiwochentakt startenden Falcon-Raketen von Musk haben den europäischen Weltmarktführer Ariane 5 abgehängt. Zwar soll ab Juli 2021 die neue Ariane 6 starten, die Europas Zugang zum All sicherstellen soll. Doch ohne eine gute Auslastung durch kommerzielle Kunden wird Europas neue Rakete dauerhaft hohe staatliche Zuschüsse brauchen.

Schattenseiten Obwohl die Raumfahrt heute klar den Menschen dient, werden ihre Schattenseiten zunehmend sichtbar. Wo ein immer dichteres Netz von Kommunikationssatelliten immer schnellere und günstigere Internetverbindungen in jedem Land der Welt ermöglicht, gehören militärische Kunden zu den wichtigsten Geldgebern der kommerziellen Systeme. Satelliten helfen nicht nur unseren Autos, ihren Weg zu finden, sie werden auch für militärische Aufklärung und Spionage genutzt und unterstützen völkerrechtlich fragwürdige Einsätze westlicher Drohnen in Syrien oder dem Iran. Und während sich die Fronten zwischen den geopolitischen Machtblöcken verhärten, wird immer deutlicher sichtbar, dass die Achillesferse jeder modernen Streitmacht längst im All liegt. Indiens öffentlichkeitswirksamer Abschuss eines eigenen Satelliten mittels einer ballistischen Rakete im März 2019 ist eines von vielen Anzeichen dieser Gefahr. Ein großer Teil der Trümmer, denen Satelliten im Orbit ausweichen müssen, stammt zudem von einem vergleichbaren Testabschuss, den China 2008 durchführte.

Die Verteidigung im und aus dem All wird angesichts dessen auch für die westlichen Großmächte immer bedeutsamer. Im Juni beschloss die Nato erstmals eine Weltraum-Strategie. Frankeich will bereits im September ein eigenes, von der Nato unabhängiges Verteidigungskommando für den Weltraum aufstellen. Und US-Präsident Donald Trump plant bis 2024 eine eigene "Space Force". Die Bewaffnung im Weltraum ist damit in vollem Gange. Allen sollte dabei klar sein: Ein heißer Konflikt im All kann den Orbit schlagartig unbenutzbar machen.

Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist mit Schwerpunkt Raumfahrt in Tübingen.