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EDITORIAL : Es fehlt Vertrauen

16.09.2019
2023-08-30T12:36:27.7200Z
2 Min

Weitgehend unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung hat das Parlament kurz vor Ende der Sommerpause ein Jubiläumsdatum passiert: Vor 70 Jahren, am 7. September 1949, konstituierte sich der 1. Deutsche Bundestag. Es war der Start in eine turbulente Zeit, die am Nachmittag dieses Tages im Bonner Bundeshaus begann. Leidenschaftlich stritten Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Kommunisten über den Kurs der noch jungen Republik. Dass auch ehemalige NSDAP-Mitglieder auf den Plenarbänken Platz nahmen, machte die Atmosphäre nicht entspannter. Am Ende dieser ersten Legislaturperiode waren 17 Abgeordnete des Saales verwiesen worden, 40 Mal wurde Rednern das Wort entzogen. Zudem vermerkten die Protokolle der 282 Sitzungen sage und schreibe 156 Ordnungsrufe.

Trotz der oftmals aufgeheizten Stimmung, die gewiss auch einer sich erst entwickelnden Debattenkultur geschuldet war, war der Bundestag fleißig. Zwischen 1949 und 1953 wurden 545 Gesetze verabschiedet. Diese Zahl wurde seitdem nie wieder erreicht.

Und heute, 70 Jahre später? Der Bundestag arbeitet intensiv und effektiv. Allein: Diese Arbeit wird in der Bevölkerung zu wenig wahrgenommen und noch weniger goutiert. Darunter leidet das Image des Hohen Hauses. "Die Politiker", heißt es unerträglich oft, strebten einzig nach Machterhalt und persönlichem Vorteil statt den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Auch wenn dieses Urteil von der Realität weit entfernt ist, muss die Politik damit umgehen. Es gilt, mehr Vertrauen in die parlamentarische Arbeit zu vermitteln. Standpunkte müssen transparenter und überzeugender dargelegt werden. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Selbstkritik. Eine Tugend, die auf der politischen Bühne als Schwäche gilt und deshalb wenig ausgeprägt ist.

Hilfreich wäre darüber hinaus eine verbesserte Vermittlung objektiver Informationen. Es ist höchste Zeit, dass Medienkunde in den Schulen ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. Natürlich kann sich in einer freiheitlichen Gesellschaft letztlich jeder nach eigener Fasson mit Nachrichten versorgen. Das setzt aber voraus, dass die unterschiedliche Qualität von Informationsquellen und deren Chancen und Risiken bekannt sind.

Die vergangenen 70 Jahre deutscher Parlamentarismus sind eine Erfolgsgeschichte. Es ist nicht selbstverständlich, dass das so bleibt.