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Kryptowährung : Gegenwind für Libra

Facebook-Projekt stößt auf Skepsis. Blockchain-Technologie hat Potentiale

30.09.2019
2023-08-30T12:36:28.7200Z
5 Min

Geht es nach Facebook, dann ist die von dem Konzern und einem Unternehmens-Konsortium für das kommende Jahre angekündigte Digital-Währung Libra eine sehr gute, eigentlich eine wohltätige Idee. Denn den 1,7 Milliarden Menschen, die laut Weltbank keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Finanzdienstleistungen haben, könnte so geholfen werden. Statt Bankkonto würde dann ein Smartphone mit Internetzugang reichen. Waren könnten einfach bezahlt, Geldbeträge - in Libra - einfach ausgetauscht werden, auch über Grenzen hinweg, was bisher mit Dienstleistern wie Western Union vergleichsweise teuer ist und lang dauert. Alles sicher, alles praktisch, alles einfach, verspricht die Libra Association. Also alles gut? Das sieht der Medienwissenschaftler Oliver Leistert anders: Dem "Kolonisierungsprojekt aus dem Silicon Valley" müsse Einhalt geboten werden. Mehr noch: Facebook gehöre zerschlagen und klein gehalten. In dieser Konsequenz stand Leistert vergangene Woche bei einem öffentlichen Fachgespräch im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestages zwar relativ allein da. Gegenüber dem Krypto-Projekt äußerten die meisten geladenen Sachverständigen jedoch Klärungs- und vor allem Regulierungsbedarf.

Breite Skepsis Überraschend ist das nicht. Schon unmittelbar nach der Ankündigung des Projekts Mitte Juni in Form eines konzeptionellen Whitepapers war Kritik auf das Konsortium eingehagelt. In den Staaten twitterte der Präsident persönlich gegen das Vorhaben, die G7-Finanzminister meldeten ebenfalls Bedenken an. Experten warnten, Libra könne als Ersatzwährung in instabilen Entwicklungsländern nationale Geld- und Währungspolitik unterlaufen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stellte klar, dass die Herausgabe von Währung ein Kernelement staatlicher Souveränität sei. "Wir werden sie nicht Privatunternehmen überlassen", schoss der Finanzminister in Richtung Libra. Vor dem Digital-Ausschuss bekräftige Benoît Coeuré, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), dass es viele regulative Fragen zu dem Vorhaben gebe. Eine international kohärente Regulierung müsse angestrebt werden. Die Libra-Pläne seien ein "Wake-Up-Call" für Regierungen und Zentralbanken gewesen, so der Zentralbanker. Grünes Licht klingt anders.

Startchancen Nun ist Libra nicht das erste Projekt, das unter dem Komplex Krypto-Währung diskutiert wird. Aber es könnte das erste richtig erfolgreiche sein. Um die digitalen "Münzen" zu verwalten, wird von Facebook mit Calibra eine "digitale Brieftasche" aufgebaut. Diese soll in Diensten wie dem Messenger, WhatsApp oder Instagram eingebettet werden. Diese Integration in bestehende Dienste liefert dem Projekt ideale Startvoraussetzungen: Allein Facebook hatte laut eigenen Angaben im zweiten Quartal 2,4 Milliarden monatlich aktive Nutzer, beim eigenen Messenger sind es 1,3 Milliarden, beim 2014 übernommenen Dienst WhatsApp 1,6 Milliarden.

Technisch lehnt sich Libra an andere auf Blockchain-Techniken aufbauende Krypto-Token wie Bitcoin und Ethereum an. Es wird auf eine zwischen verschiedenen Teilnehmer verteilte Datenbank (Distributed-Ledger-Technik) aufgebaut, in der alle Transaktionen des Netzwerkes eingetragen werden. Über ein bestimmtes Konsens-Verfahren wird sichergestellt, dass sich die Teilnehmer darauf einigen, welche Transaktionen in der Datenbank eingetragen werden und gültig sein sollen. Eine Manipulation soll praktisch ausgeschlossen sein. Anders als bei der bisher populärsten Blockchain-Anwendung Bitcoin ist die Zahl der Teilnehmer laut Libra-Whitepaper zunächst auf die 28 Mitglieder der Libra Association mit Sitz in der Schweiz beschränkt. Dazu gehören neben Facebook Zahlungsdienstleister wie PayPal, Mastercard und Visa, aber auch die Fahrdienstleistungs-Plattform Uber, eBay, diverse Risikokapitalgeber und Nichtregierungsorganisationen wie Women's World Banking. Durch den Verzicht auf komplette Dezentralisierung ist es dem Konzept zufolge möglich, Libra sofort für einen Masseneinsatz zu skalieren. Die Begrenzung biete den Vorteil, dass die Transaktions-Verifizierung deutlich ressourcenschonender vonstattengehen kann als bei Bitcoin, bei dem auf eine sehr rechenintensive Methode ("Mining") gesetzt wird. Zudem soll die Token-Menge bei Libra anders als bei Bitcoin nicht begrenzt und - als wesentliches Argument - im Wert stabil gehalten werden. Der Handelswert eines Bitcoin-Tokens schwankt erheblich, aktuell liegt er bei rund 9.900 US-Dollar. Es waren in diesem Jahr aber auch schon 4.500 US-Dollar. Bei Libra soll das nicht passieren. Dazu soll jeder einzelne Token mit bestimmten sicheren Währungen und Staatsanleihen hinterlegt werden.

Aus Sicht der Finanzwirtschafts-Expertin Michaela Hönig von der Frankfurt University of Applied Science sollte dieser Aspekt nicht unterschätzt werden: "Durch den geplanten Reserve-Fonds könnte die Libra Association innerhalb kürzester Zeit, vielleicht innerhalb weniger Tage, zu einem der größten Vermögensverwalter und Player auf der Finanz- und Kapitalmarkt werden und viele Staatsanleihen kaufen. Damit würde die Association quasi über Nacht systemrelevant und das wäre für die Finanz- und Realwirtschaft mit Risiken behaftet", sagte Hönig im Gespräch mit dieser Zeitung.

Von einem Libra-Verbot hält Hönig, die ebenfalls als Sachverständige im Ausschuss geladen war, nichts. Libra müsse vielmehr "den gleichen aufsichtsrechtlichen Normen unterliegen und diese erfüllen wie Kreditinstitute oder Zahlungsverkehrsdienstleister". Allein in Deutschland gebe es dafür unzählige Vorgaben und Gesetze, in Europa greife zum Beispiel auch die Datenschutzgrundverordnung. Ähnlich hatte sich in dem Fachgespräch auch EZB-Vertreter Coeuré geäußert: Es müsse das Prinzip "same business, same risk, same rules" gelten, sagte der Zentralbanker. Hönig plädiert für einen offenen Dialog mit der Libra Association, um vor dem Start Regel festzusetzen. Im Nachhinein zu regulieren, sei immer schwieriger. "Wenn Libra nicht kommt, dann kommt eine andere Digitalwährung. Und vielleicht ist es dann ein chinesischer Konzern, dann wird das Regulieren schwieriger", warnt die Wissenschaftlerin.

Blockchain im Fokus Mit den Libra-Plänen rückt auch die Blockchain-Technologie wieder in ein prominenteres Licht - wobei das Thema schon länger auch außerhalb der Tech-Szene intensiv diskutiert wird. Die Bundesregierung hat die lang angekündigte Blockchain-Strategie jüngst vorgelegt (siehe Text unten). Der Technologie mit ihren unterschiedlichen Anwendungsfeldern werden fast schon revolutionäre Potentiale bescheinigt. Start-ups sprießen gerade im FinTech-Bereich aus dem Boden. Schon wird von den unzähligen Möglichkeiten einer Token-Ökonomie gesprochen. So möchte die Unions-Fraktion - statt Libra und Co. - einen "digitalen-Euro" als "seriöse Schnittstelle" zur Token-Ökonomie einführen. Die FDP-Fraktion schlug jüngst vor, den Emissionshandel über einen Krypto-Token namens "Arbil" anzukurbeln. "Niemand hat wirkliche eine Idee davon, was mit Blockchain auf uns zukommt. Das ist ein bisschen wie 1995, als das Internet für die breite Masse nutzbar wurde", sagte Veronika Kütt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Blockchain Center der Frankfurt School of Finance and Management (FSFM), im Gespräch mit dieser Zeitung. "Die Möglichkeit, digitale Werte schnell und billig über die Blockchain-Strukturen zu transferieren, wird sich auf jeden Lebensbereich auswirken." Dass es den Finanzsektor als erstes betreffe, liege einfach daran, dass Bezahlsysteme die erste funktionierende Anwendung sein werden. Kütts Einschätzung nach ist Libra auch gar nicht so revolutionär, es handle sich eigentlich nur um ein "Streamlining" aktueller Prozesse: "Letztlich ist es nach wie vor ein zentralisiertes System, das an das bestehende Finanzsystem gekoppelt wird."

Die Ungewissheit, wie sich die Blockchain-Technologie auswirken werde, wird laut Kütt dadurch ergänzt, dass Blockchain häufig nur ein Platzhalter für Digitalisierung im Allgemeinen, Automatisierung und Künstliche Intelligenz sei. Das mache verständlicherweise vielen Menschen Angst. "Die Entwicklung wird eine Geschwindigkeit annehmen, die jenseits von dem ist, was wir uns vorstellen können. Die vergangenen 25 Jahre haben viele schon digital zurückgelassen. Das war aber erst der Anfang. Es geht gerade erst richtig los", prognostiziert die Blockchain-Expertin. Sören Christian Reimer