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POLITISCHE KULTUR : »Ein Demokratieproblem«

Bundestag debattiert über Meinungsfreiheit - und ihre Grenzen

28.10.2019
2023-08-30T12:36:29.7200Z
4 Min

Im thüringischen Wahlkampf erhalten Spitzenkandidaten wie Mike Mohring (CDU) und Dirk Adams (Grüne) Morddrohungen. In Berlin werden die Fensterscheiben des Bürgerbüros des Bundestagsabgeordneten Jan-Marco Luczak (CDU) eingeschlagen. Beim Göttinger Literaturherbst verhindern Demonstranten eine Lesung des ehemaligen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) aus seinem Buch und an der Universität Hamburg hindern Studenten den ehemaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke, seine Vorlesung in Makroökonomie zu halten.

Für Wolfgang Kubicki (FDP) sind solche Vorkommnisse "keine Lappalien". Im Gegenteil: Es sei Aufgabe der Abgeordneten des Bundestages, "deutlich zu machen, dass sie Rechtsbrüche im politischen Meinungskampf nicht tolerieren, nicht gutheißen, dass es keine klammheimliche Freude gibt, sondern dass sie solche Sachen klar verurteilen, egal welche Person oder welche Parteizentrale gerade angegriffen wird". Für Kubicki steht nicht weniger als die Meinungsfreiheit in Deutschland auf dem Spiel. Und deswegen hatte seine Fraktion in der vergangenen Woche das Thema in Form einer Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung des Parlaments setzen lassen.

Eine Demokratie zeichne sich dadurch aus, "dass sie Vielfalt zelebriert und nicht andere Meinungen pauschal abqualifiziert oder Menschen niedergebrüllt werden", führte Kubicki aus. Mit Blick auf eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach fügte er hinzu: "Wenn mehr als zwei Drittel der Menschen in unserem Land glauben, man können seine Meinung zu bestimmten Themen nicht frei äußern, dann haben wir ein Demokratieproblem."

Der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt hatte ebenfalls eine Umfrage zur Hand. So würden laut der Shell-Studie 68 Prozent der Jugendlichen die Aussage bejahen, man dürfe nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne als Rassist beschimpft zu werden. Die "Verantwortlichen für den Verlust an Meinungsfreiheit" verortete Reichardt im Bundestag in den Reihen der SPD, der Linken und Grünen. "Sie sind die Gesinnungstotalitaristen, die im jakobinischen Wahn jeden als ,Rassisten' und ,Nazi' diffamieren, der Kritik an Masseneinwanderung oder Migrationsfolgen oder schlicht an ihrem totalitären Weltbild übt", polterte der AfD-Politiker lautstark. Das "linke Establishment" sehe wohlwollend zu, wenn Fahrzeuge abgefackelt und Menschen bedroht werden, "sofern es sich bei diesen um sogenannte Rechtspopulisten handelt". Gewalt sei Teil der linken politischen DNA, befand Reichardt.

Die Sozialdemokratin Saskia Esken gab Reichardts Vorwürfe umgehend an die AfD zurück. Mit einer Partei, die Online-Portale zur Denunziation unliebsamer Lehrer einrichte und schwarze Listen mit Namen unliebsamer Journalisten aufstelle, "rede ich nicht über Meinungsfreiheit", stellte sie lapidar fest. Die Meinungsfreiheit werde durch die Verfassung garantiert. Niemandem in Deutschland drohe für seine geäußerte Meinung ein Maulkorb, ein Berufsverbot, eine Gefängnisstrafe oder andere staatliche Repressionen, sagte Esken. Lediglich Volksverhetzung, die Leugnung des Holocausts, Verleumdungen und Beleidigungen seien nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Diese wenigen Beschränkungen aber seien gesellschaftlicher Konsens, befand die Sozialdemokratin. Das Grundgesetz räume jedoch nicht die Möglichkeit ein, dass man eine Meinung ohne Widerspruch und Kritik äußern könne.

Hart ins Gericht ging Esken auch mit Renate Köcher, Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach. Wenn sie unter Berufung auf die Umfrage behaupte, die Meinungsfreiheit sei in Deutschland in Gefahr, dann bediene sie rechte Ressentiments, befand Esken.

Manuela Rottmann (Grüne) schloss sich der Argumentation Eskens an. Die Meinungsfreiheit umfasse nicht das Recht, andere zu beleidigen und zu bedrohen, an der Äußerung ihrer Meinung zu hindern durch Nötigung und Drohung. Und sie umfasse auch nicht den Anspruch, "dass einem gefälligst nicht widersprochen werde". Ohne Recht auf Widerspruch gebe keine Meinungsfreiheit, sagte Rottmann unter dem Beifall aller Fraktionen - außer der AfD. Rottmann ließ zudem keinen Zweifel daran aufkommen, dass nach ihrer Meinung die Weigerung der Universität Hamburg, dem FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner einen Raum für eine Veranstaltung mit der Liberalen Hochschulgruppe zur Verfügung zu stellen, keine Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar der Wissenschaftsfreiheit darstelle. An dieser Stelle klatschten dann nur noch die Abgeordneten der Grünen, der SPD und der Linksfraktion.

Thomas de Maizière (CDU) hielt Rottmann entgegen, Lindner habe vielleicht keinen Anspruch auf eine solche Veranstaltung, aber es würde "dem Geist der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit" entsprechen. Die Verweigerung der Uni sei "kleinkarriert". Und Konstantin Kuhle (FDP) fragte: "Wollen wir in Universitäten Persönlichkeiten heranziehen, die beim ersten Kontakt außerhalb ihrer Filterblase vor Empörung zusammenbrechen, oder wollen wir Persönlichkeiten, die in der Lage sind, im Zweifelsfall auch in harter Diskussion die freiheitlich demokratische Grundordnung im Meinungskampf zu verteidigen?"

Friedrich Straetmanns (Die Linke) warnte vor dem "Hang zur brachialen Polarisierung" und der "Brutalität und Lautstärke" in der politischen Debatte. "Wir sollten alle etwas runterfahren und nicht mit dem Finger aufeinander zeigen", mahnte Straetmanns. Er würde sich auch von der eigenen Fraktion "Dinge anders wünschen". Mit dem Finger zeigte der Abgeordnete dann aber doch - in Richtung der AfD, aber auch der Union und der FDP: Die Diskussionskultur werde von der AfD vergiftet. Ihr werde "der Raum gegeben, mit ihrem Geschrei und wüsten Gepöbel unsere Debatten hier im Haus zu prägen". Diese Verrohung werde erst aufhören, "wenn die bürgerliche Mitte aufhört, ihr immer wieder nachzugeben, wie auch hier heute in der Debatte".

De Maizière befürchtet indessen, dass man "es in Zukunft noch mit viel mehr extremen und polarisierenden Meinungen" zu tun haben werde. Deshalb müssten rechtsstaatliche Wege gesucht werden, um herauszufinden, wer im Internet die Meinungsfreiheit missbraucht.