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Berufliche Bildung : Der Meister als Bachelor

Bundestag beschließt Mindestvergütung und neue Abschlussbezeichnungen

28.10.2019
2023-08-30T12:36:29.7200Z
4 Min

Sie gilt als Erfolgsmodell: Die berufliche Bildung ist in ihrer Kombination aus Berufsschule und betrieblicher Ausbildung ein Exportschlager. In China, Afrika und Südamerika hat man sich davon viel abgeschaut. Dass die Jugendarbeitslosigkeit hierzulande deutlich niedriger ist als anderswo, wird ihr gutgeschrieben. Indes: Ohne Probleme ist die duale Bildung nicht. Viele Ausbildungsplätze bleiben jedes Jahr unbesetzt, der Nachwuchs strömt lieber an die Unis als an Werkbänke und in die Berufsschulen.

Eine Reform soll sie daher nun stärken. Der Bundestag hat dazu am vergangenen Donnerstag mit den Stimmen der Koalition den Gesetzentwurf zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung (19/10815, 19/12798) verabschiedet. Während AfD und FDP dagegen votierten, enthielten sich Linke und Grüne. Die Oppositionsfraktionen hatten diverse Anträge vorgelegt, die jedoch abgelehnt wurden.

Wesentlicher Kern der Novelle: Auszubildende erhalten ab 2020 eine Mindestvergütung von 515 Euro, sofern Tarifverträge es nicht anders regeln. Es gibt neue Vorgaben für Prüfungen, um diese weniger bürokratisch und besser zu organisieren. Zudem gibt es neue, ergänzende Bezeichnungen für Abschlüsse. Wer die erste Fortbildungsstufe abschließt, ist künftig "Geprüfter Berufsspezialist" Die Bezeichnung "Bachelor Professional" soll ergänzend zum Meister oder Fachwirt getragen werden können, "Master Professional" von etwa geprüften Betriebswirten. Das soll die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung sichtbar machen. Ob man damit die berufliche Bildung stärkt, ist umstritten. Die Hochschulrektorenkonferenz plädierte dafür, von der Einführung abzusehen, drohe doch die Verzerrung der Abgrenzung zwischen der akademischen und beruflichen Ausbildung.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sieht das anders. Mit den neuen drei Fortbildungsstufen stelle man "international Anschlussfähigkeit" her, sagte sie in der Debatte. Die "maßvolle" Mindestvergütung für Auszubildende, auf die sich die Sozialpartner geeinigt hätten, sei eine "Wertschätzung" der Leistung der Auszubildenden. Und die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung, die künftig als Option für alle offen stehe, werde "jeder familiären Situation" gerecht.

Union und SPD betonten, man mache so das duale System attraktiver. Die Tatsache, dass im vergangenen Jahr mehr als 531.000 neue Ausbildungsplatzverträge abgeschlossen worden seien, belege, dass es weiterhin "Erfolgsmodell" sei, so Bärbel Bas (SPD). Durch die Mindestvergütung würden mehr als 115.000 junge Menschen künftig mehr Geld bekommen.

Stephan Albani (CDU) verteidigte die neuen Titel: Sie würden die bisherigen Bezeichnungen nicht ersetzen. So könne jungen Leuten, die sich entweder für die berufliche oder akademische Bildung entschieden, besser vermittelt werden, dass ihre Abschüsse gleichwertig seien.

Deutliche Kritik äußerte Nicole Höchst (AfD): So würden bisher hoch angesehene und etablierte Fortbildungsbezeichnungen in Frage gestellt und "babylonische Zustände der Begriffsverwirrung" geschaffen. Durch die geplante Mindestvergütung würden Klein- und Kleinstbetriebe "ungebührlich belastet".

Für die FDP ist das Gesetz ein "Misstrauensvotum" gegenüber den in der beruflichen Bildung Tätigen, so Jens Brandenburg. Die Koalition zeichne das Bild von Arbeitgebern, die ihre Angestellten ausbeuteten - dies aber sei "Blödsinn". Das Gesetz sei "eine große Enttäuschung", weil es zu wichtigen Themen wie Digitalisierung, internationalem Austausch und den Belangen an- und ungelernter Arbeitnehmer kein Wort verliere. Gegen den Widerstand zahlreicher Experten und Beteiligten sei an die Fortbildungsstufen ein akademisches Etikett angeheftet worden - dies sei einmalig.

Die Linken-Abgeordnete Birke Bull-Bischoff sagte, die Mindestausbildungsvergütung sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sie komme aber viel zu wenigen Auszubildenden zugute. Das Minimum für Auszubildende müsse 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung betragen, denn sie müsse existenzsichernd für die Auszubildenden sein. Zudem müsse es ein Recht auf vollqualifizierende Ausbildung für alle Menschen geben, und es brauche zusätzliche Unterstützung für junge Menschen, die unter problematischen Umständen eine Ausbildung absolvieren. Zudem solle Schulsozialarbeit an allen Berufsschulen "die Regel" sein.

Herausforderungen Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, die berufliche Bildung stehe vor großen Herausforderungen wie etwa der Digitalisierung der Arbeitswelt, dem Fachkräftemangel und dem lebensbegleitenden Lernen. Man habe sich daher eine "umfassende Reform" gewünscht, die Regierung aber liefere nur "Mittelmaß". Von der Mindestausbildungsvergütung profitierten nur drei Prozent der Auszubildenden, viele würden weiterhin "mit 350 Euro abgespeist": Gerechtigkeit sehe "anders aus". Die neuen Abschlussbezeichnungen hätten für Kritik weit über das Parlament hinaus gesorgt; dies sei auch in der Anhörung in der vergangenen Woche erneut deutlich geworden. Man solle daher auf diesen "Schnellschuss" verzichten und stattdessen einen neuen Konsens suchen, "der den Namen verdient". Vernachlässigt werde auch das Themengebiet der Inklusion - dies beträfe all jene, die mehr Unterstützung benötigen. Susanne Kailitz