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Die erste Frau am Rednerpult

21.01.2019
2023-08-30T12:36:14.7200Z
2 Min

Es sind nur vier Minuten, aber sie sind historisch, denn noch nie zuvor hatte eine Frau eine Rede vor einem demokratisch gewählten Parlament gehalten. Als die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz (1879-1956) am 19. Februar 1919 ans Rednerpult trat, löste ihre Anrede "Meine Herren und Damen" zwar noch "Heiterkeit" im Hohen Haus aus, aber davon ließ sich die Sozialdemokratin nicht beirren. Sie war es gewohnt, für ihre politischen Ziele zu streiten. Als Sozialpolitikerin und geschiedene Mutter von zwei Kindern setzte sie sich schon seit Jahren für die Belange von Frauen ein und trat auch deshalb, sobald das möglich war, nämlich 1908, in die SPD ein. Von ein paar plaudernden Herren, die ihre Rede offensichtlich nicht so interessant fanden, ließ sich die spätere Gründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) also nicht aus der Ruhe bringen: Selbstbewusst würdigte sie das neue Frauenwahlrecht: "Ich möchte hier feststellen (...), dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinn Dank schuldig sind. (...) Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."

Natürlich war Juchacz realistisch genug, um zu wissen, dass der Kampf der Frauen damit nicht zu Ende war. "Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist." So forderte sie den Zugang für Frauen zu allen Ämtern des öffentlichen Dienstes. Frauen müssten sich außerdem vor allem im Bereich der Volksbildung und Sozialpolitik engagieren, da dies Gebiete seien, "für welche das weibliche Geschlecht ganz besonders geeignet ist".

Sie selbst unterstrich in ihrer ersten Rede durch die Analyse der Kriegsfolgen, dass sie sich nicht nur auf Sozialpolitik beschränken wollte: "Es ist weiter von Herrn Graf von Posadowsky gefragt worden, warum wir uns diesen Waffenstillstand gefallen lassen. Der Herr Graf von Posadowsky und seine Freunde wissen ganz genau, warum wir uns diesen Waffenstillstand gefallen lassen müssen. Weil dieser Krieg durch ihre Politik bis zum moralischen Zusammenbruch unseres Volkes geführt hat. Ja, meine Herren, Sie werden diese Revolution nicht verstehen als das, was sie ist, eine geschichtliche Tatsache, die herauswachsen musste aus den Verhältnissen, zu denen Sie getrieben haben."