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EMPIRE : Weltreich unterm Union Jack

Das Vereinigte Königreich beherrschte die Weltmeere und war größte Kolonialmacht der Geschichte

14.04.2020
2023-08-30T12:38:15.7200Z
6 Min

Der Großvater von Queen Elisabeth II. konnte den Anspruch erheben, über das größte Kolonialreich der Menschheitsgeschichte zu herrschen. Vor nicht einmal 100 Jahren umfasste das britische Empire eine Fläche von knapp 34 Millionen Quadratkilometern und damit etwa ein Viertel der Landteile der Erde. 458 Millionen Einwohner waren zu diesem Zeitpunkt Untertanen King Georges V., bei dessen Krönung die Royal Navy vor der Küste Hampshires eine 1912 Flottenrevue abgehalten hatte und der als erster gekrönter Monarch nach Britisch-Indien gereist war, wo ihm tausende indische Fürsten und Würdenträger die Huldigungen entgegengebracht hatten. Das Empire war wie zuvor das Spanische Kolonialreich ein "Reich, in dem die Sonne nie untergeht". Aber anders als etwa das Römische Reich war es kein abgeschlossener Großraum, sondern ein "Gebilde mit knotenhaften Verdickungen und unkontrollierten Zwischenräumen", wie es der Historiker Jürgen Osterhammel beschrieben hat. Aus Überseebesitzungen, Handelsposten, kolonialen Eroberungen und Straf- und Siedlerkolonien wuchs ein Netz von Kronkolonien, Protektoraten und Dominions, das von Kanada bis nach Australien, von Indien bis nach Südafrika reichte.

Pax Britannica Wie konnte der Archipel der Angelsachsen in der Nordsee zur weltumspannenden Kolonialmacht werden, die sich im 19. Jahrhundert der "Pax Britannica" auf die Fahnen schreiben konnten, "über die Wellen zu herrschen"? Die Briten waren über Jahrhunderte Teil des europäischen "Konzerts der Mächte", aber sie mieden enge Bündnisse, die sie im Kriegsfalle zu Beistand verpflichtet hätten, betrachteten das europäische Geschehen aus ihrer insularen Halbdistanz. Im 19. Jahrhundert gab es dafür sogar einen eigenen Begriff: "splendid isolation" - die "wunderbare Isolation".

Am Anfang des Aufstiegs zur Seemacht steht im 16. Jahrhundert eine Figur wie Francis Drake, ein Abenteurer, Entdecker und Weltumsegler, vor allem aber ein Freibeuter mit Kaperbrief im Dienste der Königin, der mit seinen Überfällen die Vorherrschaft der Spanier und Portugiesen auf den Weltmeeren streitig machte und der einen Anteil daran hatte, dass eine spanische Invasion der britischen Inseln scheiterte.

Im 17. Jahrhundert konzentrierten sich englische Kaufleute und Siedler zunehmend darauf, selbst eigene Gebiete und Handelsstützpunkte in der Karibik und in Amerika in Besitz zu nehmen. Begünstigt wurde der Aufstieg zu Seemacht von vielen Faktoren: Die Lage des Archipels am Ostrand des Atlantiks, Erfahrungen mit Küstenschifffahrt und Schiffsbau, eine Kaufmannschaft, die zur Finanzierung des Fernhandels das Geschäft mit Anleihen zu nutzen wusste, eine Regierung, die früh die Bedeutung einer schlagkräftigen Marine für den Überseehandel erkannte. Auch ein ausgeprägtes protestantisches Sendungsbewusstsein, Pioniergeist und die Bereitschaft, sich eine neue Heimat jenseits des Meeres zu suchen, spielten eine Rolle - wovon die "Mayflower", mit der die "Pilgerväter" 1620 nach Amerika aufbrachen, Zeugnis ablegt.

Als 1688 mit Wilhelm von Oranien ein Niederländer den englischen Thron bestieg, teilten sich beide Nationen das profitable Geschäft in Asien. Die Niederländer übernahmen den Gewürzhandel im indonesischen Archipel, England den Textilhandel mit Indien - wobei sich dieses Geschäft als viel profitabler erweisen sollte. Lukrativ wurde zunehmend das Geschäft mit Zuckerrohr und Baumwolle, für das die 1672 gegründete Royal African Company Millionen Afrikaner versklavte und auf die Plantagen in der Karibik und Amerika verschleppte.

In der Glorious Revolution 1688/1689 setzten sich die Gegner des Absolutismus auf der Insel endgültig gegen das englisch-schottische Stuartkönigtum durch. Im Unterschied zu den europäischen Mächten herrschte fortan kein Monarch nach eigenem Gutdünken auf dem Thron, sondern ein Staatsoberhaupt, das sich mit einem selbstbewussten Parlament und eine unabhängigen Justiz zu arrangieren hatte. Der Philosoph Thomas Hobbes hatte in seinem "Leviathan" 1651 postuliert, dass sich die Macht der Krone nicht aus dem Gottesgnadentum herleite, sondern in einem Vertrag zwischen Herrschenden und Beherrschten gründe.

Im Wettstreit mit den europäischen Mächten, etwa in der Konfrontation mit Frankreich im britisch-französischen Kolonialkrieg, entwickelte sich diese Staatsauffassung zu einem entscheidenden Vorteil: Wo sich etwa französische Monarchen in die Verschuldung stürzten, um Kriegszüge und Verbündete zu finanzieren, garantierte in London ein Parlament für Rückzahlungen durch den englischen Staat. Nach 1800 hatte London Paris nicht nur bei der Zahl der Einwohner den Rang abgelaufen, es wurde mit Gründung der Börse als wichtigster Markt für Staatsanleihen und Aktien zum Motor britischer Expansion und zur globalen Schaltzentrale, in der sich die Geld- und Warenströme kreuzten, bis diesen Platz rund 150 Jahre später New York einnahm.

Unabhängigkeit Einen Wendepunkt bildet das Jahr 1776: Unter dem Motto "No taxation without representation" pochten die englischen Siedlerkolonien in Amerika auf politische Mitsprache und erklärten schließlich - mit tatkräftiger Unterstützung aus Frankreich - ihre Unabhängigkeit, die die Briten 1783 anerkannten. Umso mehr verlagerte sich die Aufmerksamkeit nun auf den pazifischen Raum. Das "britische Jahrhundert", die unbestrittene Hegemonie des Empires auf den Weltmeeren, währte von der Eroberung Indiens 1798 bis zum Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898, mit dem die USA die Weltbühne betraten. Auf dem indischen Subkontinent baute das Empire einen professionell verwalteten Kolonialstaat auf, dessen Generalgouverneure im Range eines britischen Vizekönigs amtierten.

1807 erklärte das britische Parlament den Sklavenhandel (nicht aber die Sklaverei) für illegal. Das hatte weitreichende Folgen: Die britische Navy erhielt den Auftrag, Sklavenhandel auf den Weltmeeren zu unterbinden und auch solche Schiffe aufzubringen, die nicht unter britischer Flagge segelten. Die "maritime Straßenpolizei" (Joseph Schumpeter) diente im britischen Selbstverständnis jedoch nicht nur imperialen Interessen, sondern sollte allen zugutekommen. Das Empire betrachtete sich als Ordnungsmacht auf den Weltmeeren, die Wege frei- und Piraten fernhielt, Freihandel ermöglichte. Doch verstanden sich britische Diplomaten und Militärs ebenso darauf, Drohkulissen aufzubauen und Kanonenboote aufzubieten, um britischen Forderungen Nachdruck zu verleihen oder, wie in den Opiumkriegen mit China, militärisch einzugreifen, wenn sie auf Widerstand gegen die eigene Freihandelsdoktrin stießen.

Die britische Expansion im "imperialen Jahrhundert" fiel mit der industriellen Revolution zusammen - mit der Verbreitung der Dampfmaschinen und der Mechanisierung in den Fabriken, der Beschleunigung des Verkehrs und der Verdichtung der Kommunikation. Die Leistungsfähigkeit der britischen politischen Institutionen und die Dynamik der britischen Wirtschaft, die weltumspannenden Handelsaktivitäten und die Überwindung der Sklaverei beförderten ein imperialistisches Selbstverständnis, als fortschrittlichste Nation auch eine Zivilisationsmission zu erfüllen. Als "weltumspannendes System kapitalistischer Ermöglichung" (Osterhammel) schuf das Empire im 19. Jahrhundert wesentliche Grundlagen der auf Freihandel beruhenden kapitalistischen Weltordnung - mit ihren Vorzügen und ihren Schattenseiten.

Abstieg Vor dem Ersten Weltkrieg zeigten sich die Grenzen imperialer Herrschaft der Briten. Neue Mächte wie die USA, Japan und Deutschland holten bei Industrialisierung und Welthandel auf und rüsteten ihre Flotten hoch. Nachdem Kanada sich bereits seit 1867 selbst verwaltet hatte, erhielten nun auch andere Kolonien wie Australien und Neuseeland als Dominions mehr Beinfreiheit. Mit der Übertragung der Mandatsgebiete ehemals deutscher und osmanischer Herrschaft durch den Völkerbund erreichte das britische Empire schließlich nach 1918 seine größte territoriale Ausdehnung.

Der Zweite Weltkrieg, in dem sich es sich in einem Akt der Selbstbehauptung gegen das nationalsozialistische Deutschland stemmte, brachte das Empire nahe an den Staatsbankrott. Nach Jahrhunderten der europäischen Expansion zeichnete sich mit der Rivalität der neuen Supermächte USA und Sowjetunion nunmehr eine neue Weltordnung ab. Das verkomplizierte die Beziehungen zu den Kolonien, in denen schon seit längerem der Ruf nach Unabhängigkeit laut geworden war. 1947 verfügte London die Teilung der Kolonie Britisch-Indien in zwei Staaten, die Indische Union und die Islamische Republik Pakistan. Beschleunigt wurde der britische Rückzug nach der Suezkrise 1956, die der Welt vor Augen führte, dass die einstige Weltmacht ihre Interessen nicht mehr gegen die USA durchsetzen konnte. In der Phase der Dekolonisierung zwischen 1945 und 1965 sank die Zahl der Untertanen der britischen Krone außerhalb des Insel-Königreichs auf fünf Millionen Menschen. Im Gegensatz etwa zu anderen Kolonialmächten verlief dieser Prozess - nicht immer und nicht überall - weitgehend friedlich. Den Schlusspunkt markierte die Zeremonie bei der Rückgabe Hongkong an China 1997, die Prince Charles als das "Ende des Empires" bezeichnete.

Die Tatsache, dass heute rund um den Globus 380 Millionen Menschen Englisch als ihre Muttersprache bezeichnen, das Englische als Lingua franca schlechthin gilt, ist ein Erbe des britischen Weltreiches. Ein anderes ist, neben der Idee des Freihandels, die Verbreitung die Errungenschaften der englischen politischen Kultur, die sich mit den Begriffen Rechtsstaat und Gewaltenteilung beschreiben lassen. Bei dieser Verfassungstradition können die Inselbewohner auf eine eng beschriebene Urkunde verweisen, die König Johann Ohneland auf einer Wiese an der Themse besiegelte und die den Titel Magna Carta Libertatum trug. Das war freilich im Jahre 1215, lange bevor das Land der Angelsachsen sich anschickte, ein Weltreich werden zu wollen.