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AUSSENPOLITIK : Gullivers Reisen

Mit dem Versprechen eines »Global Britain« will die britische Regierung alte Allianzen neu beleben

14.04.2020
2023-08-30T12:38:15.7200Z
3 Min

Dass die Briten im Zweifel lieber in größeren Kategorien denken, kennt man aus ihrer Geschichte: Von einem "Great Britain" war auf der Insel schon die Rede, lange bevor es in seiner heutigen Gestalt als Vereinigtes Königreich 1707 durch die Union der Parlamente von Westminster und Edinburgh überhaupt die Weltbühne betrat. Auch der Austritt des Landes aus der EU beflügelt heute manche Phantasie. Aus dem Brexit könne ein "Global Britain" hervorgehen, das über die historischen Verbindungen zu den englischsprachigen Ländern USA, Kanada, Australien und Neuseeland zu neuer, weltumspannender Strahlkraft finden werde. Mit der Formel, dass ein neues "Global Britain" das alte "Great Britain" ersetzen könne, wollten seinerzeit Premierministerin Theresa May und ihr damaliger Außenminister Boris Johnson der Sorge entgegentreten, dass das aus der EU ausscheidende Land zu klein sein werde, um sich in der Welt zu behaupten. Kann es eine Nation mit der Größe und der Geschichte Großbritanniens gelingen, durch die Wiederbelebung alter Empire-Allianzen und einem Netz bilateraler Freihandelsverträge globaler, einflussreicher und schlagkräftiger zu werden? Oder könnte die britische Politik eher früher als später mit einem ganz anderen Szenario konfrontiert sein? Dass nämlich London global Handlungsspielräumen verliert, weil es nicht mehr am EU-Tisch mitredet, sondern allenfalls noch entscheiden kann, ob es sich den dort getroffenen Beschlüssen anschließen möchte. Den Briten könnte es mit dem Brexit so ergehen wie Jonathan Swifts Romanfigur Gulliver: Soeben glücklich von den Fesseln in Liliput befreit, folgt das Erwachen in Brobdingnag, dem Reich der Riesen.

Fürsprecher Von dem in der Gegenwart vor allem mit sich selbst beschäftigten Land gingen in aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Fragen kaum Initiativen aus - von der Ukraine-Krise bis hin zu den Konflikten in Syrien, Libyen und Jemen. Auch für die "special relationship", die historisch besonders engen Beziehungen zwischen dem Königreich und den USA, die auch im Brexit-Lager weiter hoch im Kurs sind, steht ein Belastungstest aus. Großbritannien könnte genau in dem Augenblick an Bedeutung für den transatlantischen Partner einbüßen, in dem es nicht mehr am EU-Verhandlungstisch sitzt. Mit der britischen Stimme verliert Washington nämlich einen wichtigen Fürsprecher an diesem Tisch.

Große Hoffnungen richtet man im Brexit-Lager auf ein Freihandelsabkommen mit den USA, das sozusagen als Flaggschiff vergleichbarer Abkommen mit Partnern auf der ganzen Welt verstanden wird. Dass von Augenhöhe kaum die Rede sein kann, zeigt aber die einfache Frage, welche Seite einem solchen Abkommen überhaupt eine besondere handelspolitische Dringlichkeit einräumt.

Hinzu kommt die Tatsache, dass sich die britische Politik beim Klimaabkommen, beim Iran-Abkommen und bei der Frage der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem nicht wie die "Cousins" in Amerika, sondern wie die Europäer positioniert hat. Auch in anderen zentralen sicherheitspolitischen Fragen liegen Großbritanniens Interessen oftmals näher an den Interessen der Europäer als jenen der USA - das gilt für die Herausforderungen der Nachbarschaft mit Russland ebenso wie für die Nachbarschaft mit dem Nahost- und dem Mittelmeerraum oder auch die Frage der europäischen Integration der Westbalkanländer. Statt eines "Global Britain" könnte die britische Politik mit einer Wirklichkeit konfrontiert sein, in der sich das Land nach einem Brexit paradoxerweise nicht weniger, sondern noch stärker nach Europa orientiert. Unbestritten dürfte sein, dass das Nato-Mitglied als Atommacht, als UN-Vetomacht und mit einer anerkannt schlagkräftigen Armee seinen Anspruch auf eine Führungsrolle weiterhin untermauern kann - im Rahmen der Nato, aber auch in europäischen militärischen Bündnissen außerhalb der EU-Strukturen (Europäische Interventionsinitiative), auch in informellen europäischen Gruppen wie die "Northern Group", wo Großbritannien etwa Führungsanspruch für den Nordseeraum demonstrieren könnte. Aber: Gemessen an den Ambitionen eines "Global Britain" fallen solche Initiativen eher europazentriert aus.

Oder haben die Brexit-Befürworter am Ende doch das Commonwealth vor Augen, in dem die ehemalige Zentrale des Empire das Ruder übernimmt? Kann dieser heterogene und lockere Staatenbund von 54 Ländern ein außen- und sicherheitspolitischer Akteur werden? Selbst wer in der britischen Politik diese Frage mit Ja beantwortet, müsste dann ehrlicherweise auch skizzieren, welche Gründe etwa der kanadische Premier Justin Trudeau oder die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern haben sollten, sich einem "Global-Britain"-Anspruch von Downing 10 und Foreign Office zu beugen.