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Westminster : Der Tradition verpflichtet

Wo der Speaker zum Stuhl gezerrt wird

14.04.2020
2023-08-30T12:38:16.7200Z
2 Min

Die Befragung der Bundesregierung gehört nicht zu den Highlights der Sitzungswoche. Trotz einiger Reformen samt Kanzlerinbefragung sehnt sich manch Abgeordneter und manch politische Kommentatorin nach britischen Verhältnissen. Denn wenn im Westminster Palace in London der Regierungschef zur "Prime Minister's Questions" antritt, dann fliegen sehr unterhaltsam und rhetorisch hochwertig die Fetzen.

Die Insel blickt auf eine jahrhundertelange Geschichte des Parlamentarismus zurück, der sich in Abhängigkeit und Abgrenzung zur Monarchie entwickelte. Das ist bis heute institutionell im Oberhaus (House of Lords) oder in gewöhnungsbedürftigen Ritualen zu beobachten. Beginnt beispielsweise eine neue Sitzungsperiode, fahren die Briten die Queen, zeremoniellen Pomp und eine Durchsuchung des Kellers von Westminster auf. Letztere hat ihren Ursprung in dem erfolglosen Versuch britischer Katholiken, während der Parlamentseröffnung am 5. November 1605 den protestantischen Monarchen - samt Parlament - in die Luft zu jagen. Seitdem lässt die Krone Vorsicht walten.

Rabiat geht es zu, wenn ein Speaker gewählt wird: Er (oder - sehr selten - sie) wird von Abgeordneten zum Stuhl gezerrt, weil der Amtsinhaber einst die undankbare Aufgabe hatte, den gern zornigen Monarchen die Position des Parlaments zu vermitteln. Dabei hat der Speaker ein hohes Maß an Autorität - um Reden zu dürfen, bemühen sich die Abgeordneten durch ein zügiges Aufstehen im richtigen Momente seine Aufmerksamkeit zu bekommen ("Catching the Speaker's eye"). Dabei hilft es angeblich, den relativen rigiden Dresscode des Parlaments einzuhalten.

Bedeutsamer Kolben Die Macht des Monarchen wirkt auch gegenständlich: Das Unterhaus kann überhaupt nur tagen und Gesetze verabschieden, wenn ein besonderer Streitkolben ("The Mace"), der jeden Sitzungstag in einer feierlichen Prozession in den Saal getragen wird, auf dem dazu passenden Tisch liegt. Nimmt ein Abgeordneter das dekorative Kriegsgerät von seinem Platz, gibt es Tumult. Zuletzt griff der Labour-Abgeordnete Lloyd Russell-Moyle Ende Dezember 2018 aus Protest gegen die Regierungspolitik während einer Brexit-Debatten beherzt nach dem Objekt. Er wurde für den Sitzungstag ausgeschlossen.

So viel Skurrilität lädt eigentlich britischen Humor geradezu ein. Das ist aber verboten. Fernsehbilder aus dem Parlament dürfen grundsätzlich nicht satirisch verarbeitet werden. scr