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MONARCHIE : Der würdevolle Teil des Staates

Seit 68 Jahren »herrscht« Queen Elizabeth II. unangefochten über das Vereinigte Königreich

14.04.2020
2023-08-30T12:38:16.7200Z
5 Min

Es war eine ungewollte, aber verblüffende Parallelität der Ereignisse: Während sich Großbritanniens Premierminister Boris Johnson wegen einer Corona-Infizierung zur Behandlung ins Krankenhaus begeben muss, wendet sich Queen Elizabeth II. in einer Fernsehansprache an das britische Volk, um Mut und Zuversicht in der Krise zu verbreiten. Es ist erst das fünfte mal, dass sich die Monarchin in ihrer 68-jährigen Amtszeit veranlasst sieht, dies zu tun. Planmäßig spricht sie nur in ihrer jährlichen Weihnachtsbotschaft direkt zum Volk.

In ihrer ersten Ansprache musste sie Großbritannien 1991 auf den bevorstehenden Golfkrieg einstimmen, 1997 den Tod von Prinzessin Diana öffentlich betrauern, fünf Jahre später den Tod ihrer eigenen Mutter. In einer nur einminütigen Fernsehansprache dankt sie schließlich 2012 ihren Landsleuten für die Feierlichkeiten zum 60-jährigen Thronjubiläum.

Fernsehansprachen gehören zwar längst zum Standardrepertoire von Staatsoberhäuptern rund um den Globus, in Großbritannien sind sie jedoch zugleich auch jeweils ein Gradmesser für den inneren Zustand der Monarchie, die in ihrer speziellen Ausprägung zweifelsohne zu einer der ungewöhnlichsten Staatsformen weltweit gehört.

Einerseits blicken die Briten auf eine lange parlamentarische Tradition, bezeichnen ihre Nation gerne als Wiege der modernen Demokratie, anderseits halten sie seit gut tausend Jahren an der Monarchie fest - lediglich unterbrochen durch die knapp elfjährige republikanische Phase nach dem englischen Bürgerkrieg (1642-1648) und der Hinrichtung von König Karl II. (1649). Doch die ausgerufene Republik währte nicht lange, wandelte sich faktisch in eine Alleinherrschaft des Lord Protectors Oliver Cromwell. Nach dessen Tod kehrte England zur Monarchie zurück.

Bill of Rights Die "Glorious Revolution" und die Verabschiedung der "Bill of Rights" 1688/1689 sollten schließlich jene Staatsform in ihren grundlegenden Zügen schaffen, die bis heute gilt. Träger der Souveränität ist der Monarch seitdem nur noch in Verbindung mit dem Parlament. "King-in-Parliament" nennen die Briten dies. Die "Bill of Rights" sah unter anderem vor, dass der König das Parlament in regelmäßigen Abständen einberufen muss, Steuern und Abgaben nur mit dessen Zustimmung erheben darf. Ebenso garantierte sie den Abgeordneten im Parlament Immunität und das uneingeschränkte Recht auf freie Rede. Hundert Jahre später wurde die "Bill of Rights" zum Vorbild für die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) und die amerikanische Verfassung (1787).

Seit den Tagen der "Glorious Revolution" haben Parlament und Regierung die Machtbefugnisse der britischen Monarchen sukzessive weiter eingeschränkt. Als parlamentarische Monarchie wird diese Staatsform bezeichnet, die in Europa auch in Belgien, den Niederlanden, Spanien, Dänemark und Schweden anzutreffen ist. Ein wesentlicher Unterschied des britischen Systems ist jedoch der Umstand, dass Großbritannien bis heute über keine geschriebene Verfassung verfügt. Das Machtgefüge zwischen Krone, Regierung und Parlament ergibt sich durch Gesetze mit Verfassungsrang, Gewohnheitsrecht und juristische Präzedenzfälle. Der englische Verfassungstheoretiker Walter Bagehot bezeichnete 1867 in seinem grundlegenden Werk über die Verfassung die Monarchie als "den würdevollen Teil" des Staates, Regierung und Parlament als den "arbeitenden Teil". Er brachte die politischen Verhältnisse damit bildhaft und treffend auf den Punkt.

Zumindest theoretisch verfügt Queen Elisabeth II. neben ihrer repräsentativen Funktion als Staatsoberhaupt jedoch durchaus über eine ganze Reihe von Rechten. So benötigen die durch das Parlament beschlossenen Gesetze ihrer Zustimmung. In der gelebten Realität verweigert sie diesen "Royal Assent" jedoch nicht. Sie kann allerdings die Einbringung und Beratung von Gesetzen im Parlament unterbinden, die das Leben britischer Staatsbürger gefährden könnte. 1999 machte die Queen von diesem Recht Gebrauch, als ein Abgeordneter ein Gesetz forderte, dass Militärschläge gegen den Irak vorsah.

Die Königin ist es auch, die nach jeder Parlamentswahl einen Premierminister ernennt und ihn mit der Bildung einer Regierung in ihrem Namen beauftragt. Unter britischen Verfassungsrechtlern ist es durchaus umstritten, wie frei die Queen bei dieser Entscheidung ist. In jedem Fall aber ist sie zur strikten parteipolitischen Neutralität verpflichtet und soll sich auch nicht zu tagespolitischen Themen äußern. Nirgends zeigt sich dies deutlicher als im Verlesen der Regierungserklärungen der Premierminister vor dem Unterhaus durch die Monarchin. Elizabeth II. vollzieht dieses Ritual stets mit absolutem Gleichmut, keine Gesichtsregung lässt erkennen, was sie von den politischen Plänen ihrer jeweiligen Regierungschefs hält.

Enges Korsett Elizabeth II. ist klug und erfahren genug, sich sehr genau an die engen Spielräume zu halten, die ihr das System aus gelebten politischen Traditionen vorgibt. Ein Ausbrechen aus dem Korsett würde Großbritannien zweifelsohne in eine handfeste Verfassungskrise stürzen und den Bestand der Monarchie gefährden. Selbst als Premierminister Johnson im Herbst 2019 dem Unterhaus eine fünfwöchige Zwangspause verpassen will, um weitere Debatten über den angestrebten Austritt aus der Europäischen Union zu verhindern, segnet die Queen dies ab, obwohl Johnson sie damit in arge Verlegenheit bringt. Vor allem deshalb, weil der Vorwurf laut wird, er habe der Königin die Zwangspause für das Parlament unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verkauft - ein verfassungsrechtlich schwerwiegender Vorwurf. Denn das Recht auf Suspendierung des Parlaments liegt bei der Königin.

Premierminister Johnson bekam dann auch vom Supreme Court die Quittung. Einstimmig stellten die elf Richter des höchsten Gerichts fest, dass Johnsons Vorgehen verfassungswidrig gewesen und die Aussetzung des Parlaments über einen so langen Zeitraum nichtig sei. Um so erstaunlicher war es dann, dass sich Johnson allen Rücktrittsforderungen widersetzte.

Recht auf Information Zu den unbestrittenen und praktizierten Vorrechten des britischen Monarchen gehört es, regelmäßig über die Absichten des Premierministers informiert zu werden und ihm dazu auch ihre Ansichten unterbreiten zu dürfen. Über die vertraulichen Treffen zwischen der Queen und ihre Premierminister dringt so gut wie nichts in die Außenwelt. Bescheinigt wird ihr aber immer wieder, dass sie politisch höchst versiert ist. Die wenigsten Premierminister dürften deshalb den Rat des dienstältesten Staatsoberhaupt der Welt leichtfertig ignorieren. An dieser Schnittstelle dürfte wohl auch der größte, wenn auch rein informelle Machtfaktor der Queen liegen.

In ihrer langen Amtszeit hat Elizabeth II. alle politischen Untiefen und unzählige Skandale im Königshaus überlebt. Die Zustimmung zur Monarchie liegt in Umfragen bei bis zu 80 Prozent. In Bedrängnis brachte die Königin die Monarchie nur einmal: Ihre anfängliche Weigerung, den Tod der extrem beliebten Prinzessin Diana öffentlich zu betrauern und in ihrer Sommerresidenz Balmoral zu verbleiben, drohte zum Fiasko zu werden. In Umfragen sank ihre Beliebtheit bei den trauernden Briten dramatisch. Abwenden konnte sie die Entfremdung zwischen Volk und Monarchin durch ihre Live-Fernsehansprache vom Balkon des Buckingham Palace am Abend vor Dianas Beerdigung. In diesem Augenblick präsentierte die Queen wieder den von Bagehot propagierten würdevollen Teil des Staates.