Piwik Webtracking Image

HUMBOLDT FORUM : Schloss Centsoucis

Nach 30 Jahren voller Debatten über die Gestaltung der historischen Mitte Berlins soll Ende des Jahres nun endlich die Eröffnung gefeiert werden. Gestritten wird…

24.08.2020
2023-08-30T12:38:21.7200Z
5 Min

Alles an diesem Gebäude ruft Widerspruch hervor: Seine Geschichte, seine Architektur, seine städtische Einbindung, seine Symbolik, seine Bestimmung. Die Kosten von 644 Millionen Euro sowieso. Zumindest der im Vergleich zu anderen Berliner Bauprojekten annähernd eingehaltene Fertigstellungstermin hebt sich wohltuend ab. Die ursprünglich anvisierte Eröffnung im vergangenen Jahr anlässlich des 250. Geburtstags von Alexander von Humboldt konnte zwar nicht realisiert werden und die Corona-Pandemie führte zu einer weiteren Verzögerung, aber Ende des Jahres soll es dann doch soweit sein: Das Humboldt Forum öffnet seine Pforten - allerdings in Etappen.

Über kaum ein anderes Bauvorhaben in der Mitte Berlins ist seit der Wiedervereinigung so leidenschaftlich und heftig gestritten worden. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Da war zum einen die Entscheidung über den Abriss des Palasts der Republik, der sich einst dort erhob. Während die Befürworter eines Abrisses die Chance zur Wiederherstellung der historischen Mitte sahen, auf mangelnde Nutzungskonzepte für den Palast und seine symbolische Bedeutung als Bau der SED-Diktatur hinwiesen oder auch ästhetische Gründe geltend machten, argumentierten die Gegner eines Abrisses mit der emotionalen Bindung vieler Ostdeutscher zum Palast und seiner historischen Bedeutung als Sitz der letzten Volkskammer der DDR, die 1990 als einzige demokratisch gewählt worden war und den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen hatte. Die Debatte war emotional stark überlagert vom Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschen im vereinigten Deutschland. Das Wort von der "Siegermentalität" der Wessis machte die Runde. Vor allem die PDS beziehungsweise Linkspartei stemmte sich vehement gegen den Abriss.

Eng verknüpft mit dem Abriss-Streit war die Diskussion über eine mögliche Rekonstruktion des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses, das das Areal auf der Spreeinsel einst dominiert hatte. Für diese Idee rührte vor allem der Landmaschinen-Fabrikant Wilhelm von Boddien kräftig die Trommel und initiierte 1992 den Förderverein Berliner Schloss.

Bund und Hauptstadt Da der Palast der Republik mit dem Einheitsvertrag in den Besitz des Bundes übergegangen war, wurde dieser gleichsam zum Akteur in der Frage nach der Ausgestaltung der historischen Mitte der deutschen Hauptstadt. In dieser Frage hat er über die Hauptstadtkulturförderung ohnehin ein Wort mitzureden.

Schließlich orientierte sich der Bundestag 2002 an den Vorschlägen der von Bundesregierung und Berliner Senat eingesetzten Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlin. Der Palast sollte abgerissen werden, das Humboldt Forum in der kubischen Form des Stadtschlosses errichtet und dessen barocke Nord-, West- und Südfassade rekonstruiert werden, ebenso wie der Schlüterhof im Innern. Beschlossen wurde auch, dass das Humboldt Forum die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen ausstellen soll. In den kommenden Jahren wurde dieses Konzept erweitert: So soll der Bau eine Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums und das Humboldt-Labor der Humboldt-Universität beheimaten. Außerdem sollen in der von der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss getragenen Institution Wechselausstellungen und Veranstaltungen stattfinden.

Die Idee ist durchaus bestechend. Zusammen mit dem Alten Museum, dem Neuen Museum, der Alten Nationalgalerie, dem Bode-Museum, dem Pergamonmuseum und der 2019 eröffneten James-Simon-Galerie als Besucherzentrum entsteht in der Mitte Berlins eine Museumslandschaft und ein kulturelles Zentrum, das weltweit seinesgleichen sucht. Der Komplex der fünf Museen auf der Museumsinsel gehört seit 1999 bereits zum Unesco-Weltkulturerbe. Und doch, der Ärger wird nicht kleiner.

Für Streit sorgt vor allem der Umgang mit jenen Teilen der ethnologischen Sammlung, die im Verdacht stehen, während der Kolonialzeit nicht legal erworben worden zu sein. Dass Kulturgüter mit solchen kolonialen Kontexten nun ausgerechnet hinter den Fassaden jenes Schlosses gezeigt werden sollte, deren ursprünglichen Hausherren - die Hohenzollern - tief in den Kolonialismus und Imperialismus verstrickt waren, sorgte nicht nur für eine erneute hitzige Debatte über das Humboldt Forum, sondern auch über den prinzipiellen Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten in Deutschlands Museen.

Freiheits- und Einheitsdenkmal Für weiteren jahrelangen Streit sorgte die Diskussion über die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals. Der Bundestag hatte zwar 2007 die Errichtung eines solchen Denkmals als Erinnerungsort an die Friedliche Revolution in der DDR und an die Deutsche Einheit beschlossen, aber die inhaltliche und architektonische Gestaltung blieben ebenso umstritten wie die Frage des Standorts. Schließlich entschied man sich für den Entwurf "Bürger in Bewegung". Die bewegliche und begehbare Schalenkonstruktion errang schnell den zweifelhaften Spitznamen "Einheitswippe" und soll vor dem Hauptportal des Humboldt Forums errichtet werden. Einst stand dort die Reiterstatue von Kaiser Wilhelm I.. Im Mai dieses Jahres erfolgte der erste Spatenstich für das Denkmal auf dem historisch so schwierigen Baugrund.

Die vorerst letzte Runde im Dauerstreit wurde ausgetragen um das 310 Kilogramm schwere goldene Kreuz, das seit Mai dieses Jahres die Kuppel des rekonstruierten Schlosses ziert.

Die Debatten über das Humboldt Forum stehen in gewissen Sinne ganz in der historischen Tradition. Bereits als Brandenburgs Kurfürst Friedrich II. 1443 den Grundstein für einen ersten Schlossbau auf der Spree-Insel setzen ließ, weil er seinen Hof in die Doppelstadt Cölln-Berlin verlegen wollte, stieß er auf den erbitterten Widerstand eines selbstbewussten Bürgertums, der als "Berliner Unwille" in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Gebaut wurde trotzdem und in den kommenden Jahrhunderten durchlief das Schloss verschiedene Bauzustände bis zwischen 1698 bis 1713 jener wuchtige Bau nach Plänen des Architekten und Bildhauers Andreas Schlüter entstand, dessen barocke Fassaden jetzt wieder zu bewundern sind.

Wohl fühlten sich allerdings nicht alle Hausherren im Schloss. Friedrich der Große zog es vor, in seinem Schloss Sanssouci (französisch: ohne Sorge) nahe Potsdam zu residieren. Angeblich soll er es zunächst ironisch "Cent soucis" (hundert Sorgen) genannt haben. Diese Bezeichnung wäre sehr passend für das Stadtschloss, den Palast der Republik und das Humboldt Forum, die wie Symbole für die vielen Sorgen in der deutschen Geschichte stehen.

Am 9. November 1918 rief Karl Liebknecht vor dem Schloss die "freie sozialistische Republik Deutschland" aus, während der Weimarer Republik diente es unter anderem als Heimstätte für das Kunstgewerbemuseum und im Schlüterhof fanden Konzerte der Berliner Philharmoniker statt.

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs brannte das Schloss nach einem schweren Luftangriff auf das Berliner Stadtzentrum am 3. Februar 1945 bis auf den Nordwestflügel aus. Nach dem Krieg setzten die sozialistischen Machthaber im Osten Deutschlands der Geschichte des Schlosses ein vorläufiges Ende: Die SED-Führung unter Walter Ulbricht hatte keine Verwendung für preußische Schlösser und ließ die Ruine 1950 sprengen. Zwischen 1973 und 1976 entstand unter der Ägide Erich Honneckers schließlich der Palast der Republik, der mit seinen großflächigen, bronzefarbenen Glasfassaden die Mitte Berlins bis zu seinem Abriss in den Jahren 2006 bis 2008 entscheidend prägte.

Es mag sein, dass sich die Geister auch in Zukunft am Humboldt Forum und der Ausgestaltung der Mitte Berlins scheiden werden. Aber man muss kein Prophet sein, um dem Humboldt Forum zumindest in seiner kulturellen und musealen Funktion eine Erfolgsgeschichte vorherzusagen. Auch vor seinen Pforten werden sich lange Schlangen von Besuchern bilden. Und die Hauptstadt wird um einen touristischen Hotspot "reicher" sein. Und die Berliner? Ihnen - egal ob alteingesessen oder zugezogen - sagt man nach, dass sie diese Hotspots gerne meiden und in ihrem Kiez bleiben. Der ist ja vielleicht auch das wahre Herz Berlins.