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ASYL : »Wir müssen noch ganz, ganz dicke Bretter bohren«

Im Streit über die europäische Flüchtlingspolitik liegen die Vorstellungen der Bundestagsfraktionen weit auseinander

21.12.2020
2023-08-30T12:38:28.7200Z
4 Min

Im laufenden Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bis einschließlich November 93.758 Asylerstanträge verzeichnet. Das ist nicht nur weit entfernt von den 722.370 Anträgen des Jahres 2016, sondern auch deutlich weniger als die 142.509 im gesamten Vorjahr. Dabei sind die jüngsten Asylzahlen freilich "unter den Bedingungen der Corona-Pandemie zu sehen", wie das Bamf auf seiner Website formuliert.

Das gilt sicher nicht nur für die Bamf-Statistik, sondern etwa auch für das Flüchtlingslager Mavrovouni auf der griechischen Insel Lesbos, über das die Bundesregierung jüngst in ihrer Antwort (19/25072) auf eine Grünen-Anfrage berichtete. Danach befanden sich Anfang dieses Monats rund 7.600 Menschen in dem vorübergehenden Zeltlager auf dem Militärgelände Kara Tepe bei Kapazitäten für bis zu 10.000 Personen. Positiv auf Covid-19 Getestete würden isoliert in einem Quarantänebereich untergebracht; die Einhaltung der üblichen Schutzmaßnahmen im Lager erscheine "nach aktuellem Stand überwiegend möglich", heißt es in der Antwort weiter.

Die Lage in dem nach der Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria errichteten Ersatzlager kam auch in der Bundestagsdebatte über die europäische Asylpolitik zur Sprache: In dem Lager fehle es "an allem", beklagte Luise Amtsberg (Grüne): "Wasser, Essen, warme Kleidung für den Winter, Duschen, Toiletten, Öfen". Man sehe "Bilder von überfluteten Zelten und Kindern in durchnässter Kleidung", fügte Amtsberg hinzu und konstatierte, die griechischen Inseln seien "mittlerweile zum Symbol einer gescheiterten europäischen Asylpolitik geworden". Zwar habe die Bundesregierung Hilfsgüter entsandt und Menschen eine Aufnahme in Deutschland ermöglicht, doch stehe "diese Unterstützung in keiner Relation zur vorherrschenden Not".

Ulla Jelpke (Linke) kritisierte, Flüchtlinge säßen seit Jahren "in Lagern der EU und insbesondere auf den griechischen Inseln im Elend fest". Die häufigsten Verletzungen von Kindern auf Lesbos kämen durch Rattenbisse zustande, fügte sie hinzu. Die EU wolle indes "diese Lager der Inhumanität" nicht auflösen; vielmehr solle das Hotspot-Konzept ausgeweitet werden. Noch im November habe sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zuversichtlich gezeigt, bis Ende des Jahres eine Verständigung über Grundsätze der europäischen Migrationspolitik zu erreichen. Dieses Vorhaben sei indes "krachend gescheitert", konstatierte Jelpke und verwies darauf, dass Die Linke in ihrem zu der Debatte vorliegenden Antrag (19/22125) "faire Asylverfahren für alle Schutzsuchenden. und eine solidarische Umverteilung in der EU" fordere.

Die Linken-Vorlage wurde indes ebenso wie ein Antrag der Grünen-Fraktion "für einen solidarischen und menschenrechtsbasierten Neuanfang in der europäischen Flüchtlingspolitik" (19/18680) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD und FDP abgelehnt.

Detlef Seif (CDU) monierte, dass in beiden Anträgen von "den" Schutzsuchenden die Rede sei. Von den in den vergangenen Jahren EU-weit durchschnittlich 600.000 Antragstellern pro Jahr seien jedoch rund 400.000 nicht schutzberechtigt. Im Ergebnis nehme man "die Kapazitäten genau den Menschen weg, die sie nötig haben, nämlich den tatsächlich Verfolgten". Wichtig seien eine "Stärkung des Grenz- und Küstenschutzes Frontex; beschleunigte Grenzverfahren mit Freiheitsbeschränkung; klare und dauerhafte Zuständigkeit eines Mitgliedstaates" sowie der Ausbau von Partnerschaften mit Herkunfts- und Drittstaaten, "die eine konsequente Abschiebung ermöglichen", betonte Seif, der zugleich einräumte, "dass wir hier noch ganz, ganz dicke Bretter bohren müssen".

Christian Wirth (AfD) plädierte für eine "resolut geschlossene Tür für jede Form illegaler Einwanderung". Wer aus einem EU-Nachbarland fliehe, habe "an einem anderen EU-Grenzübergang nichts zu suchen; er befindet sich schon in einem sicheren Land", argumentierte Wirth. Wenn er von diesem sicheren Land weiter nach Deutschland reisen wolle, sei er "nicht Flüchtling, sondern Einwanderer".

Linda Teuteberg (FDP) betonte, dass man auch zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft von "nachhaltigen Lösungen europäischer Flüchtlingspolitik entfernt" sei. Man brauche eine Reform des europäischen Asylsystems, bei der man gegenüber wirklich Schutzbedürftigen seine humanitären Pflichten erfülle, aber sich darüber hinaus selbst aussuche, "wen wir einladen, in unser Land einzuwandern, wenn kein Asylanspruch besteht". Deutschland müsse "den Kompromiss mit den Partnern suchen, die eine gemeinsame europäische Migrationspolitik wollen", und dürfe "diejenigen, die sich dem verweigern, nicht durch eigene Alleingänge aus der Verantwortung entlassen".

Helge Lindh (SPD) wandte sich sowohl gegen eine "komplette Politik der Abschottung" als auch gegen einen Ansatz, "der mit einem moralischen Absolutismus Grenzöffnungen verficht" und Konflikte einfach ausblende. Dies führe ebenso nicht weiter wie ein "Ansatz, der rein sicherheitspolitisch argumentiert". Angesichts der Lage auf den griechischen Inseln müsse man in den nächsten Wochen und Monaten beweisen, dass humanitäre Lager möglich seien. Gebraucht würden auch zusätzliche legale Wege der Migration, Rückführungsabkommen sowie Perspektiven für Drittstaaten, in denen gegenwärtig "Millionen von Geflüchteten sind".