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Mautausschuss : Scheuer muss die Suppe auslöffeln

Ex-Minister Ramsauer als Zeuge

17.02.2020
2023-08-30T12:38:13.7200Z
4 Min

Nein, Freunde werden sie in diesem Leben wohl nicht mehr, der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und der heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer (beide CSU). In seiner Vernehmung als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss ("PKW-Maut") machte Ramsauer jedenfalls unmissverständlich klar, wer für ihn der Hauptschuldige am Maut-Desaster ist: der frühere CSU-Chef Seehofer - und nicht etwa der derzeitige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).

Um seine These zu belegen, berichtete Ramsauer, der weiter Mitglied des Bundestags ist, seinen Kollegen im Ausschuss über Ereignisse in der Spätphase der schwarz-gelben Koalition. Damals, von 2009 bis 2013, war Ramsauer Verkehrsminister. Als zentrales Datum schilderte er den 6. November 2013. An diesem Tag einigte er sich in Brüssel mit dem damaligen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas auf Grundsätze für die deutsche PKW-Maut. Entscheidend waren demnach zwei Punkte: "Wir nehmen eine allgemeine Absenkung der KfZ-Steuer vor." Und: "Wir werden sicherstellen, dass diese Vorschläge europarechtskonform sind."

Dabei dürfe es "no linkage between tax and toll" (keine Verbindung zwischen KfZ-Steuer und Maut) geben, lautete damals die Festlegung. Außerdem müsse es bei den inländischen Fahrzeughaltern "winners and losers" (Gewinner und Verlierer) geben. Denkbar wäre laut Ramsauer etwa eine Differenzierung nach Kohlendioxidausstoß oder Wagengewicht gewesen, sodass manche Fahrzeughalter weniger bezahlt hätten als früher, andere mehr. Insgesamt hätten sich bei diesem Modell die Einnahmen aus der Maut und die Ermäßigungen bei der Kfz-Steuer ausgeglichen.

Genau dieses Modell aber konterkarierte nach Darstellung Ramsauers der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der damals verhandelt wurde. Darin wurde festgelegt, dass eine europarechtskonforme PKW-Maut eingeführt werden solle, wobei kein inländischer Fahrzeughalter höher belastet werden solle als vorher. Richtig gewesen wäre laut Ramsauer hingegen eine Formulierung, wonach inländische Fahrzeughalter insgesamt nicht stärker belastet worden wären, es also "winners and losers" gegeben hätte.

Die Festlegung im Koalitionsvertrag bezeichnete Ramsauer als "Hypothek" und "Crux" für seine Nachfolger, die mit der Umsetzung der Maut betraut waren. Ramsauer wurde 2013 nicht erneut zum Verkehrsminister ernannt. Seinen Nachfolger Alexander Dobrindt und den heutigen Verkehrsminister Andreas Scheuer (beide CSU) nahm Ramsauer ausdrücklich in Schutz: Sie hätten die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen andere eingebrockt hätten. "Andreas Scheuer", betont er, "blieb gar nichts anderes übrig, als die Dinge zu vollziehen."

Wie aber kam es zur Formulierung im Koalitionsvertrag? Ramsauer berichtete, die Parteivorsitzenden hätten im Laufe der Koalitionsverhandlungen Mitte November 2013 beschlossen, die strittige Maut-Frage aus der zuständigen Arbeitsgruppe herauszulösen und am Ende selbst zu verhandeln. "Merkel und Seehofer" - also die damaligen Vorsitzenden von CDU und CSU - "haben sehenden Auges diese europarechtliche Unmöglichkeit in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt", erklärte er. Aus Sicht von Angela Merkel und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sei dies nachvollziehbar gewesen, weil sie gar keine PKW-Maut gewollt hätten. Seehofer hingegen habe der Formulierung zugestimmt, obwohl Ramsauer ihn damals nach eigenen Worten darauf hinwies: "Horst, so geht das wahrscheinlich nicht." Später habe Seehofer ihm gegenüber erklärt, eine andere Lösung wäre ein Bruch des Wahlversprechens gewesen. "Seehofer wird gedacht haben: Irgendwie wird es schon gehen - auf Biegen und Brechen", mutmaßte Ramsauer.

Auf die Frage, ob seine Position zur PKW-Maut dazu beigetragen habe, dass er nach der Bundestagswahl von 2013 nicht erneut zum Minister ernannt wurde, sagte Ramsauer: "Die Frage müssen Sie dem Kollegen Seehofer stellen." Für ihn selbst habe gegolten: "Ich bin es meiner Verantwortung schuldig, eine Formulierung zu finden, die risikolos oder risikoarm ist." In einer vergleichbaren Situation würde er heute wieder genauso handeln.

Weniger eindeutig äußerte sich Ramsauer zur Frage, ob es von Scheuer nicht klug gewesen wäre, erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten und danach Verträge mit den Betreiberfirmen zu unterschreiben. Dazu wage er kein Urteil, sagte Ramsauer und wurde grundsätzlich: Seine langjährige politische Erfahrung habe ihn gelehrt, dass es niemals eine einzige Wahrheit gebe, sondern immer ein Sowohl-als-auch.

Nach diesem philosophischen Höhenflug musste sich der Ausschuss zurück auf den manchmal mühsam zu beackernden Boden der Detailfragen begeben. Er vernahm drei Beamtinnen von verschiedenen Ministerien, die zumindest einen Punkt erhellten: Es galt im politischen Berlin keineswegs als ausgemacht, dass die Klage Österreichs gegen die Maut vor dem EuGH scheitern würde.

"Es war immer ein offenes Verfahren", sagte Katharina G., Co-Leiterin des Referats "EU-Politik, EU-Recht, EU-Beihilfepolitik, Brexit" im Bundesverkehrsministerium. Fast wortgleich äußerte sich Sonja E., Referentin im Referat "Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vor den europäischen Gerichten" im Bundeswirtschaftsministerium. Dieses Referat ist für europarechtliche Verfahren fast aller Ministerien zuständig. "Ich wusste nicht, wie das Verfahren ausgehen würde", sagte E.. Wie G. lehnte sie es ab, das Prozessrisiko in Prozent zu beziffern. Das Verkehrsministerium schätzte hingegen laut Angaben im Ausschuss das Risiko eines negativen EuGH-Urteils auf lediglich 15 Prozent.