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MEDIEN : Schöne neue Welt

Bundestag novelliert Jugendschutzgesetz. Opposition bewertet es als untauglich. Es löse die Probleme bei der Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche nicht

08.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
3 Min

Durchschnittlich zwei bis drei Stunden sind Deutschlands Jugendliche zwischen neun und 17 Jahren online und surfen durch die schöne neue Datenwelt. In Zeiten von Corona und Lockdown dürften der Medienkonsum eher angestiegen sein. Dort treffen sie allerdings nicht nur auf Informationen und Bildungsangebote, altersgemäße Filme oder Spiele, sondern auch auf die eher dunklen Seiten der virtuellen Welten: Überzogene Gewaltdarstellungen, Pornographie, sexuelle Belästigung oder Mobbing. So haben nach Angaben des Bundesfamilienministeriums mehr als 40 Prozent der zehn- bis 18-Jährigen bereits negative Erfahrungen im Internet gemacht, 800.000 seien bereits beleidigt oder gemobbt worden, 250.000 von Erwachsenen mit dem Ziel sexuellen Missbrauchs kontaktiert worden.

Seit Jahren mahnen deshalb Jugendschützer eine Anpassung des Jugendschutzes an die moderne Medienwelt an. Ein Unterfangen, dass allein deshalb schon nicht so einfach ist, weil der Ausflug ins Netz die Jugendlichen in schöner Regelmäßigkeit auf die Plattformen ausländischer Plattformen führt, die dem Zugriff deutscher Gesetze praktisch entzogen sind.

Am vergangenen Freitag verabschiedete der Bundestag nun den von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf zur Novellierung des Jugendschutzgesetzes (19/24909) in der durch den Familienausschuss geänderten Fassung (19/27289) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD. Während die Oppositionsfraktionen der AfD und Bündnis 90/Die Grünen sich der Stimme enthielten, votierten die FDP- und die Linksfraktion dagegen.

Das Gesetz sieht unter anderem Regelungen zur Vereinheitlichungen von Altersfreigaben bei Filmen, Computerspielen und anderen Medien vor. Diese sollen zukünftig unabhängig vom Vertriebsweg gelten. Zudem sollen Hinweise auf mögliche Interaktionsrisiken neben die bekannten Altersfreigaben wegen Gewaltdarstellungen oder sexuellen Darstellungen treten.

Bundeszentrale Die Opposition bestätigte der Bundesregierung zwar, dass eine Reform des Jugendschutzes überfällig sei, aber der Gesetzentwurf löse entscheidende Probleme nicht beziehungsweise schaffe lediglich "Doppelstrukturen und Kompetenzwirrwarr", lautete das einhellige Votum. Unzufrieden ist die Opposition vor allem mit dem Plan, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdenden Medien zu einer Bundeszentrale weiterzuentwickeln. AfD, FDP, und Linke monierten, dass diese Bundesbehörde auch für Internetangebote zuständig sei und somit der auf Ebene der Bundesländer angesiedelten "unabhängigen staatsfernen Medienaufsicht" Kompetenzen entziehe. Zudem würden Doppelstrukturen zur Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) geschaffen, die zu Kompetenzschwierigkeiten führten, argumentierte der FDP-Abgeordnete Matthias Seestern Pauly und die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp. Der AfD-Parlamentarier Johannes Huber ging gar noch einen Schritt weiter und unterstellte der Regierung, sie wolle auf diesem Weg inhaltlichen Einfluss auf zukünftige Wähler ausüben. Am Beispiel der Bundeszentrale für politische Bildung zeige sich dies bereits.

Familienministerin Giffey hingegen hält die neue Bundeszentrale für unverzichtbar, um "geltendes Recht auch durchzusetzen", auch gegenüber Anbietern im Ausland.

Beirat Lob gab es zumindest für die Einrichtung eines Beirates bei der Bundeszentrale, auf den sich Union und SPD geeinigt hatten und einen entsprechenden Änderungsantrag in den Ausschussberatungen eingebracht hatten. Der Beirat soll bei der Bundeszentrale in allen Fragen der Weiterentwicklung des Kinder- und Medienschutzes beraten. Dem Gremium sollen auch drei Vertreter von Jugendvertretungen angehören, zwei von ihnen sollen unter 18 Jahren sein.

Norbert Müller (Linke) begrüßte diese Regelung. Er freue sich, dass die Koalition diesen Vorschlag aus der öffentlichen Expertenanhörung zum Gesetz aufgegriffen habe.

Auf Kritik stoßen aber auch jene Regelungen, mit denen Jugendliche zukünftig besser vor glückspielähnlichen Mechanismen oder Anreizen für eine exzessive Mediennutzung geschützt werden sollen. Dafür sollen unter anderem die Anbieter von Medien- und Kommunikationsplattformen zu Vorsorgemaßnahmen verpflichtet werden. Allerdings, so bemängelte Müller, gelte dies erst ab einer Nutzerzahl von einer Million. Im Gesetzestext sei aber nicht definiert, auf welche Bezugsgröße sich diese Zahlenangabe beziehe. Dadurch werde eine Hintertür groß wie ein Scheunentor geschaffen, um die Vorgaben zu unterlaufen.

Der FDP hingegen gehen diese Regelungen zu weit. Nach ihrer Ansicht werden durch die Vermischung von Inhalt und neuen technischen Erweiterungen Medieninhalte kritischer in der Altersbewertung und eine gesicherte einheitliche Bewertung nicht mehr möglich.

Deskriptoren Nadine Schön (CDU) und Svenja Stadler (SPD) verteidigten das Gesetz. Der bereits gute Entwurf des Ministeriums sei durch die Änderungen während der Beratungen noch einmal verbessert worden, sagte Stadler. Zu diesen Änderungen gehören unter anderem Regelungen über sogenannte Deskriptoren zu Interaktionsrisiken, die die bisherigen Altersfreigaben, die sich vor allem auf inhaltliche Kriterien wie die Darstellung von Gewalt oder Sexualität beziehen, ergänzen. Dies gebe sowohl den Eltern als auch den Jugendlichen zusätzlich Orientierung, sagte Schön.