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VERTEIDIGUNG : »Die ständige Angst, entdeckt zu werden«

Homosexuelle Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee sollen rehabilitiert und entschädigt werden für Benachteiligungen

08.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
2 Min

Rund 20 Jahre nach der Öffnung der Bundeswehr für Homosexuelle wird all jenen Soldaten ein Stück Gerechtigkeit widerfahren, die wegen ihrer sexuellen Identität verurteilt, aus dem Dienst entlassen oder anderweitig dienstlich benachteiligt wurden. Auch wenn der von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vorgelegte Gesetzentwurf am vergangenen Freitag erst in erster Lesung beraten wurde und noch verabschiedet werden muss, gilt dies bereits als gesichert. In der Debatte zeichnete sich eine sehr große Zustimmung durch alle Fraktionen zu dem Unterfangen an. In den Genuss der Rehabilitierung und Entschädigung sollen auch alle Angehörigen der Nationalen Volksarmee kommen, die in der ehemaligen DDR unter Diskriminierung und Benachteiligung zu leiden hatten.

Aufhebung von Urteilen Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass alle wehrdienstrechtlichen Verurteilungen von Soldaten in beiden deutschen Armeen wegen ihrer homosexuellen Orientierung, wegen einvernehmlichen homosexuellen Handlungen oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität per Gesetz außer Kraft gesetzt werden. Alle anderen Benachteiligungen sollen per Verwaltungsakt als Unrecht eingestuft werden.

Die Betroffenen sollen pauschal eine Geldentschädigung in Höhe von je 3.000 Euro für jede aufgehobene Verurteilung sowie einmalig für dienstliche Benachteiligungen erhalten. Bis zum Jahr 2000 seien Soldaten wegen ihrer Homosexualität "systematisch dienstrechtlich benachteiligt" worden, heißt es in der Gesetzesbegründung. Mit Erlass des Verteidigungsministeriums vom 13. März 1984 seien diese Benachteiligungen, die bis zur Entlassung führen konnten, nochmals im Einzelnen festgelegt worden. Die Soldaten in der Nationalen Volksarmee seien ebenfalls solchen Benachteiligungen ausgesetzt gewesen.

Erst mit der Aufhebung des Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldaten durch den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) am 3. Juli 2000 wurde die institutionelle Diskriminierung Homosexueller bei der Bundeswehr beendet. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität resultierte aus den im Nachkriegsdeutschland verbreiteten Moralvorstellungen und dem bis 1969 gelten Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, der Sex unter Männern selbst dann hart bestrafte, wenn er einvernehmlich stattfand. Die Bundesregierung rechnet in den kommenden fünf Jahren mit etwa 1.000 Rehabilitationsverfahren und Gesamtkosten von rund sechs Millionen Euro.

Das Verteidigungsministerium hatte für das Gesetzesvorhaben eine wissenschaftliche Studie beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Nach drei Jahren intensiver Studien und 60 Interviews mit Zeitzeugen legte die Forschungseinrichtung die mehr als 400 Seiten umfassene Studie "Tabu und Toleranz" von Oberstleutnant Klaus Storkmann Mitte September vergangenen Jahres vor. "Zeitzeugen berichteten eindrücklich von dem hohen psychischen Druck, unter dem sie als homosexuell orientierte Soldaten dienten. Die ständige Angst, entdeckt zu werden", habe auch ihr Privatleben eingeschränkt sagte Storkmann bei der Vorstellung der Studie. Die Toleranz bei den Kameraden sei wesentlich größer gewesen als die Vorschriften erlaubten.