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umwelt : »Mehr Biden wagen«

Kontroverse Debatte zur Klimapolitik der Bundesregierung

26.04.2021
2023-08-30T12:39:36.7200Z
4 Min

Keine Frage, der 22. April war ein gut gewählter Termin für die Bundestagsdebatte über die deutsche Klimapolitik. Am selben Tag trafen sich auf Einladung von US-Präsident Joe Biden 40 Staats- und Regierungschefs zu einem virtuellen Klimagipfel, wobei Biden die Absicht der USA verkündete, bis 2030 den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen im Vergleich zu 2005 mindestens zu halbieren. Einen Tag zuvor hatte die EU bekanntgegeben, den CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um 55 Prozent (und nicht, wie vom EU-Parlament gefordert, um 60 Prozent) senken zu wollen.

Das waren gleich zwei Steilvorlagen, welche die Redner im Bundestag dankbar aufnahmen und kontrovers diskutierten. Der eigentliche Gegenstand der Debatte geriet dabei fast in den Hintergrund. Denn im Prinzip ging es um nicht weniger als 16 Anträge der Opposition und einen Antrag der Koalitionsfraktionen, die sich mit sehr unterschiedlichen Aspekten der Klima- und Umweltpolitik - vom Weiterbau der A 49 über die ökologische Bauwende und den kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis zu internationalen Klimapartnerschaften - befassten. Dabei wurden die zur Abstimmung stehenden Anträge der Opposition allesamt abgelehnt. Die übrigen Oppositionsvorstöße überwies der Bundestag zur weiteren Behandlung in die federführenden Ausschüsse.

Mit dem Klimagipfel stellten sich die USA an die Spitze einer Bewegung, die versuche, das Klimaschutzziel von Paris doch noch zu erreichen, sagte Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen). Hingegen sitze die Bundesregierung "bräsig auf der Bremse". Als "Stück aus dem Tollhaus" bezeichnete Trittin die Übereinkunft auf EU-Ebene, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um nur 55 Prozent zu senken. In Wirklichkeit betrage die Reduktion wegen des Einbezugs des von Wäldern gespeicherten Kohlendioxids sogar nur 52,8 Prozent, rechnete er vor. "Das ist eher Bolsonaro als Biden. Aber wir sollten mehr Biden wagen!", rief Trittin in den Saal.

Widerspruch erntete er bei Anja Weisgerber (CSU). Die Behauptung der Grünen, in Deutschland sei beim Klimaschutz nichts passiert, stimme nicht. "Wir sind Vorreiter und Taktgeber, auch auf europäischer Ebene", betonte die Umweltpolitikerin. Es sei auch nicht richtig, dass Deutschland 2020 das Klimaziel nur wegen der Coronakrise erreicht habe. Vielmehr wirke das Klimaschutzpaket. Allerdings könne Deutschland allein das Klima nicht retten. Es gelte jetzt, das Momentum der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten zu nutzen, sagte Weisgerber.

Ganz anders die Einschätzung von Karsten Hilse von der AfD-Fraktion: Er lobte den "Mut" des früheren US-Präsidenten Donald Trump, gegen den "Wahnsinn" der Klimaschutzpolitik vorzugehen und aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen. Hilse zog eine Parallele zwischen dem am Vortag vom Bundestag verabschiedeten Infektionsschutzgesetz, das die demokratische Grundordnung außer Kraft setze, und dem Klimaschutzgesetz. In Deutschland drohe eine "Ökodiktatur", die USA betrieben unter Präsident Biden "ein sozialistisches Verarmungsprogramm".

Nina Scheer (SPD) knöpfte sich die Äußerungen von Jürgen Trittin vor: Das EU-Ziel für die CO2-Reduktion betrage nicht, wie von ihm behauptet, gut 52 Prozent, sondern de facto 58 Prozent. Entscheidend sei aber ohnehin, die für die Erreichung dieses Ziels nötigen Maßnahmen tatsächlich umzusetzen und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, betonte die Umweltpolitikerin. Bei der internationalen Klimapartnerschaft müsse Deutschland aufpassen, dass die Investitionen nicht in Atomkraftwerke, sondern in erneuerbare Energien flössen, erklärte Scheer weiter. Denn Atomkraftwerke seien ein Sicherheitsrisiko und führten nicht zum Klimaschutz. Im Übrigen dürfe die Klimapartnerschaft nicht nur auf die USA bezogen sein, sondern müsse auch Russland und andere Staaten einbinden.

Da Kohlendioxid keine Grenzen kenne, könne Klimapolitik nur gemeinsam auf internationaler Ebene gestaltet werden, betonte auch Lukas Köhler (FDP). Er sprach sich dafür aus, die globale Klimapolitik so auszugestalten, dass ein CO2-Limit festgesetzt werde und Deutschland dabei eine Vorreiterrolle übernehme. Entscheidend sei, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens möglichst effizient zu erreichen. Kritik übte Köhler dabei am Antrag der Grünen (19/28785) für eine strategische Klimaaußenpolitik: Wer die Klimapolitik mit allen möglichen Themen überfrachte, laufe Gefahr, gar nichts zu erreichen.

Scharfe Kritik an der Klimapolitik der Bundesregierung und insbesondere an der Union übte Lorenz Gösta Beutin (Die Linke). "Die Klimapolitik scheint wie auf Eis gelegt", sagte er. "Deutschland muss endlich Verantwortung übernehmen in der Klimakrise." Die Bundesregierung schütze die Reichsten und die Konzerne, während die Ärmsten und Schwächsten sowohl unter der Klima- als auch unter der Coronakrise litten. Nötig sei deshalb ein "sozialökologischer Umbau" der Bundesrepublik.

Im weiteren Verlauf der Sitzung befasste sich der Bundestag mit einem weiteren Thema mit Umweltbezug, nämlich dem Wald. Angenommen wurde dabei ein Antrag der Koalitionsfraktionen (19/28789), der verlangt, Leistungen von Waldbesitzern zu honorieren, die den vom Wald erbrachten Beitrag zum Ökosystem unterstützen. Abgelehnt wurden Anträge der AfD- und der FDP-Fraktion.