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recht : Erschreckende Verrohung

Bürger sollen vor Hass und Hetze im Internet künftig besser geschützt werden

10.05.2021
2023-08-30T12:39:36.7200Z
4 Min

Die Bekämpfung strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken soll effektiver und nutzerfreundlicher werden. Das sind die Hauptziele des Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), das der Bundestag in der vergangenen Woche in geänderter Fassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen hat (19/18792). AfD und FDP stimmten dagegen, Linke und Grüne enthielten sich. In der Debatte betonten Redner von SPD und Union, Hass und Hetze im Netz seien eine große Gefahr für die Gesellschaft, denn es habe sich gezeigt, wie schnell aus Worten Taten werden könnten.

Prototyp Das vor vier Jahren als weltweiter Prototyp in Kraft getretene Gesetz sei aus diesem Grund eine wichtige Regelung, müsse aber ständig fortentwickelt werden. Das von Kritikern befürchtete Overblocking durch das Gesetz - das Blockieren rechtskonformer Inhalte - sei nicht eingetreten. Es gebe in Deutschland keine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, sagte Johannes Fechner (SPD). Damit das so bleibe, werde das Gesetz an zahlreichen Stellen verbessert. Carsten Müller (CDU) betonte, das NetzDG setze internationale Maßstäbe. Mit den Änderungen sei ein Dreiklang aus erhöhter Transparenz der Netzwerke, verbessertem Rechtsschutz für Nutzer und einer Öffnung der Netzwerke für Wissenschaft und Forschung etabliert worden. Die Änderungen trügen maßgeblich zum Schutz der Meinungsfreiheit bei und stärkten die Persönlichkeitsrechte.

Pflichten Dazu würden die Informationspflichten der Anbieter sozialer Netzwerke ergänzt und der Informationsgehalt und insbesondere die Vergleichbarkeit der Transparenzberichte zu Nutzerbeschwerden erhöht. Die Meldewege würden nutzerfreundlicher, zudem werde die Position der Nutzer gegenüber Bedrohungen und Beleidigungen, Hass und Hetze, Diffamierungen und Herabsetzungen sowie Fake News gestärkt.

Auch Jürgen Martens (FDP) verwies auf die deutliche Zunahme von Hass und Hetze in der Gesellschaft. In den sozialen Netzwerken sei eine Verrohung festzustellen, die erschrecken lasse. Bei den geplanten Änderungen des NetzDG fehlten aus Sicht der FDP aber etliche Maßnahmen, die notwendig seien, um effektiv gegen Hass und Hetze vorzugehen. So blieben Messenger-Dienste außen vor. Die Möglichkeit der Gegenvorstellung sei zwar schön und gut, aber die Entscheidung, ob dem nachgekommen wird, bleibe am Ende beim Betreiber. Das ebenfalls vorgesehene Schlichtungsverfahren sei nur freiwillig. Der Entwurf beseitige nicht die grundsätzliche Kritik der FDP an der Novelle.

Nach Ansicht von Stephan Brandner (AfD) ist das NetzDG der "erste große Sündenfall" hinsichtlich von Zensur und Unterdrückung unbequemer Meinungen. Es sei nichts anderes als ein "Netzwerkzersetzungsgesetz", mit dem Freiheiten eingeschränkt und Zensur privatisiert würden. Heute eine Meinung frei zu äußern, sei höchst gefährlich, ohne dass es dabei um Strafrecht gehe oder gesetzwidrig gehandelt würde. Gebraucht werde mehr und nicht weniger Meinungsfreiheit. Deshalb lehne die AfD das Gesetz in seiner bisherigen wie auch in der geänderten Form ab.

Verfahren Niema Movassat (Linke) kritisierte das Gesetzgebungsverfahren. Der Entwurf sei vor über einem Jahr erstmals diskutiert worden, der Änderungsantrag der Koalition sei aber erst wenige Tage vor der abschließenden Debatte vorgelegt worden. Dies sei schlechte Gesetzgebung und schade dem Ansehen des Bundestages. Umso dramatischer sei dies, als das NetzDG einen tiefen potenziellen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle. Wer Gesetze mache, die das Herz des Grundgesetzes tangierten, müsse sorgfältiger arbeiten. Die wenigen Verbesserungen könnten dies nicht aufheben.So werde zwar der Wissenschaft Zugang zu Daten über rechtswidrige Beiträge in sozialen Netzwerken, Meldungen und Sperrungen und damit Einblicke in das Phänomen "Hass im Netz" ermöglicht, leider müssten die Forscher die Netzwerke dafür bezahlen.

Aus der Sicht von Renate Künast (Grüne) wird die Zukunft der Demokratie im Netz entschieden. Dort werde geregelt, wie miteinander umgegangen wird. Der Aufgabe, die daraus erwachse, werde die Bundesregierung nicht gerecht.

Schutzrechte Der Entwurf sei von der Realität längst überholt. Die Grünen hätten die jetzt geplanten Änderungen schon vor Jahren angeregt, sagte Künast, die derzeit gegen Facebook wegen eines Falschzitats im Netz klagt. Was die Bundesregierung jetzt vorgelegt habe, sei noch nicht zu Ende gedacht, sagte sie. So seien ein vereinfachter Auskunftsanspruch und Eilverfahren für Betroffene erforderlich. Gebraucht werde eine ganzheitliche Strategie gegen Hass und Hetze im Netz, die die Plattformen in die Pflicht nehme, ihren Beitrag zum Schutz der Betroffenen zu leisten, statt nur Geld zu verdienen.

Wie die Bundesregierung in der Gesetzesvorlage zur Begründung der Neuregelung schreibt, dürften die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass strafbare Angriffe wie Volksverhetzungen oder Bedrohungen nicht tatenlos hingenommen werden. Dies gelte auch im Internet. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz habe sich in dieser Hinsicht grundsätzlich bewährt. Die bisherigen Praxiserfahrungen hätten gleichwohl gezeigt, dass dessen Regelungen aktualisiert werden müssten.