Piwik Webtracking Image

VERFASSUNGSSCHUTZ : Umstrittene Überwachung

Opposition kritisiert Regierungspläne zu mehr Befugnissen der Nachrichtendienste

10.05.2021
2023-08-30T12:39:36.7200Z
3 Min

Halle, 9. Oktober 2019: Bei einem Anschlag werden zwei Menschen getötet, nachdem der Täter zuvor vergeblich versuchte, mit Waffengewalt in die Synagoge einzudringen, um dort ein Massaker anzurichten. Hanau, 19. Februar 2020: Gut vier Monate nach der Tat von Halle kostet ein Anschlag neun Menschen mit Migrationshintergrund das Leben, bevor der Täter seine Mutter und sich selbst tötet. In beiden Fällen wird von einzelnen, rechtsextremistischen Tätern ausgegangen.

Auf die zwei Anschläge verweist die Bundesregierung explizit in der Begründung ihres Gesetzentwurfs "zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts" (19/24785), mit dem sie "insbesondere auf die aktuellen Ereignisse im Bereich des Rechtsterrorismus" und -extremismus reagieren will. "Diese gebieten, auch Einzelpersonen gezielt in den Blick zu nehmen" sowie die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) gerade bei der Aufklärung des Rechtsextremismus zu verbessern, heißt es in der Vorlage, über die der Bundestag vergangene Woche in erster Lesung debattierte.

Daneben sieht der Gesetzentwurf angesichts gewandelter Kommunikationsgewohnheiten für die Nachrichtendienste "ergänzende Aufklärungsbefugnisse durch die Regelung zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung auch von Messengerdiensten" vor. Laut Bundesinnenministerium ist die "Quellen-TKÜ" insbesondere für die Überwachung digitaler und verschlüsselter Kommunikation wichtig, die oft über Messengerdienste erfolgt.

Die Quellen-TKÜ setzt danach im Endgerät an, bevor die Nachrichten technisch verschlüsselt werden beziehungsweise wenn sie wieder entschlüsselt sind. Die Regelung zur Quellen-TKÜ erweitere die rechtlichen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung nicht, sondern sorge dafür, "dass die Täter sich der Aufklärung technisch nicht mehr durch Wahl des Kommunikationsmittels entziehen können". Flankierend sollen die Voraussetzungen für eine verbesserte und erweiterte Kontrolle von TKÜ durch die sogenannte G10-Kommission geschaffen werden.

Zugleich soll der Informationsaustausch zwischen den Verfassungsschutzbehörden und dem MAD durch die erweiterte Möglichkeit gemeinsamer Datenhaltung technisch unterstützt werden. Damit werde auch die übergreifende Analysefähigkeit bei Auswertung vorhandener Informationen unter Einbezug des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministeriums verbessert.

Sicherheitslücken In der Debatte stieß insbesondere die geplante Regelung zur Quellen-TKÜ auf scharfe Oppositionskritik. Jeder wolle. dass bei Terroristen Chats überwacht werden, sagte Benjamin Strasser (FDP), doch verschweige die Regierungskoalition, "dass eine Quellen-TKÜ plus mit einem Staatstrojaner nur dann geht, wenn Sicherheitslücken bei allen Geräten aller Deutschen offen gelassen werden". Dies sei "quasi eine Einladung für Cyberkriminelle und für ausländische Nachrichtendienste". Weder die Anschläge auf dem Berliner Breitscheidplatz oder in Halle und Hanau noch der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wären mit der Quellen-TKÜ verhindert worden.

André Hahn (Linke) kritisierte, die deutschen Geheimdienste sollten mit dem Gesetzentwurf "neue, weitreichende Schnüffelbefugnisse" erhalten. Die geplante Quellen-TKÜ sei ein völlig unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff, für den Sicherheitslücken in den IT-Systemen genutzt werden müssten. Indem staatliche Akteure Sicherheitslücken ähnlich wie kriminelle Angreifer nutzten, werde die digitale Sicherheitsarchitektur aller Bürger untergraben.

Konstantin von Notz (Grüne) nannte die Quellen-TKÜ verfassungswidrig. Das Bundeskriminalamt habe dieses Instrument kein einziges Mal zum Einsatz gebracht, weil die Rechtsunsicherheit so groß sei.

Thorsten Frei (CDU) betonte dagegen, man wolle verhindern, dass die Sicherheitsbehörden "blind und taub in der digitalen Welt werden". Extremisten kommunizierten nicht mehr über die klassische Sprachtelefonie, sondern über Chatforen und Messengerdienste. Es sei niemandem zu erklären, warum der Verfassungsschutz "nach einem aufwendigem Verfahren mit hohen Hürden" ein Handy auslesen dürfe, ihm dies aber bei einer Kommunikation per Whatsapp nicht erlaubt sei.

Uli Grötsch (SPD) ergänzte mit Blick auf die Quellen-TKÜ, der Verfassungsschutz müsse "technisch auf die Höhe der Zeit kommen". Wichtig sei dabei, dass nur überwacht werden dürfe, "was auch im öffentlichen Telekommunikationsnetz hätte überwacht werden können". Unter Verweis auf die Anschläge von Halle und Hanau hob Grötsch zugleich hervor, dass das Bundesverfassungsschutzgesetz eher auf extremistische Gruppierungen ausgerichtet gewesen sei und "nicht darauf, dass sich Einzelpersonen im stillen Kämmerlein radikalisieren". Dies wolle man nun ändern.

»Totalüberwachung« Jens Maier (AfD) wertete den Gesetzentwurf als Schritt "in Richtung Totalüberwachung der Gesellschaft". Was als Reaktion auf rechtsterroristische Ereignisse verkauft werde, sei ein Vorwand, um Einzelpersonen auf einfachere Weise als bisher in den Blick zu nehmen. Damit könne "jedermann jenseits der Strafverfolgung auf einfachere Weise in die Überwachung durch den Verfassungsschutz gelangen".