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INNERE SICHERHEIT I
Helmut Stoltenberg
Umstrittene Instrumente

Die Koalition setzt neue Befugnisse für die Bundespolizei durch

Vertreter der Bundesregierung ergriffen diesmal gar nicht erst das Wort, als der Bundestag vergangene Woche abschließend über den Gesetzentwurf "zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen der Bundespolizei" (19/26541) debattierte - anders als noch bei der ersten Lesung, bei der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Koalitionsfraktionen von Union und SPD dafür gedankt hatte, "den Gesetzentwurf geschrieben und konsentiert" zu haben. Diese Verständigung sei "innerhalb der Bundesregierung nicht möglich" gewesen, hatte er hinzugefügt und eingeräumt, mit der Neuregelung nicht mehr vor der Bundestagswahl gerechnet zu haben. Nun kommt sie gleichwohl: Mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit verabschiedete der Bundestag den von den vier Oppositionsfraktionen geschlossen abgelehnten Gesetzentwurf in der Ausschussfassung (19/30468)

In der Vorlage argumentierten die Koalitionsfraktionen, dass das geltende Bundespolizeigesetz, das zum überwiegenden Teil noch aus dem Jahr 1994 stammt, einer Modernisierung bedürfe. Die "besonderen Fähigkeiten und die herausragende Stellung der Bundespolizei" müssten gestärkt und an die technische Entwicklung sowie die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen angepasst werden.

Die Neuregelung sieht unter anderem vor, die Bundespolizei im Bereich der Gefahrenabwehr mit neuen Befugnissen auszustatten. Zugleich werden Regelungen zur Erhebung von Daten, die durch verdeckte Maßnahmen erlangt wurden, an Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst. Ferner enthält die Neuregelung unter anderem Vorschriften zum Datenschutz, die der Umsetzung einer EU-Richtlinie dienen.

Quellen-TKÜ Zu den neuen Befugnissen zählt etwa die Überwachung der Telekommunikation, die Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und -endgeräten, der Einsatz technischer Mittel gegen fernmanipulierte Geräte, die Möglichkeit, eine Meldeauflage oder ein Aufenthaltsverbot zu erlassen oder der Schutz von Zeugen. Die Befugnis, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) zu Bekämpfung etwa von Schleusern zu nutzen, die das Leben von Flüchtlingen gefährden, wird auf Telefongespräche via Messenger beschränkt.

Auch wird die Bundespolizei für Abschiebungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zuständig, die in deren Zuständigkeitsbereich festgestellt werden. Nach einer vom Innenausschuss beschlossenen Modifizierung gilt die Übernahme der Zuständigkeit "nur bei Personen ohne Duldung oder mit einer Duldung wegen fehlender Ausreisepapiere im Einvernehmen mit der zuständigen Ausländerbehörde".

Darüber hinaus wird eine rechtliche Grundlage für den "finalen Rettungsschuss" eingeführt, um in besonderen Situationen wie Geiselnahmen oder bei einem Terroranschlag "ergänzend zu den Notwehrbestimmungen den Schusswaffengebrauch zu legitimieren".

Thorsten Frei (CDU) verwies in der Debatte darauf, dass die Personalausstattung der Bundespolizei zwischen 2016 und 2020 von 39.000 auf knapp 50.000 Beamte erhöht worden sei. Nun sei ihr "Instrumentenkasten so auszustatten, dass sie den Herausforderungen der Zeit auch gewachsen ist". So habe man bei der präventiven Telekommunikationsüberwachung ohne Begrenzung auf bestimmte Deliktsfelder ein "wesentliches zusätzliches Instrument".

Dirk Wiese (SPD) hob hervor, dass das zuletzt vor 27 Jahren reformierte Bundespolizeigesetz an die digitalen Entwicklungen der letzten Jahre angepasst werden müsse, das Bundesinnenministerium das Gesetz jedoch "gar nicht mehr anpacken wollte". Zur Einführung der Quellen-TKÜ für die Bundespolizei sagte er, dass dabei immer ein Richtervorbehalt erforderlich und jede Anordnung befristet sei.

Christian Wirth (AfD) nannte die Neuregelung dagegen ein "vorsätzlich verfassungswidriges Gesetz". Er plädierte zugleich dafür, den Sicherheitskräften sogenannte Elektroschocker zur Verfügung zu stellen.

Konstantin Kuhle (FDP) wandte sich gegen die Einführung der Quellen-TKÜ und sprach von einem "schwarzen Tag" für die IT-Sicherheit und die Bürgerrechte. Für den "Staatstrojaner" müssten Sicherheitslücken in der digitalen Kommunikation aller Menschen in Deutschland offen gelassen werden.

Auch Ulla Jelpke (Linke) kritisierte, der Staat nutze Sicherheitslücken von Handys und Computern, um diese "mit Staatstrojanern auszuspähen", statt die Bürger vor den Lücken zu warnen. Um wenige Verdächtige abzuhören, würden Millionen Bürger dem Risiko ausgesetzt, dass ihre Geräte gehackt werden. Dies werde hoffentlich vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Irene Mihalic (Grüne) warf der Koalition vor, die Quellen-TKÜ unmittelbar vor der Debatte "ins Verfassungsschutzgesetz hineingeschrieben" zu haben (siehe Beitrag unten) und nun auch noch ins Bundespolizeigesetz aufzunehmen. Dabei gefährde die "verfassungsrechtlich hoch umstrittene" Quellen-TKÜ mit dem erforderlichen Offenhalten von Sicherheitslücken für den "Staatstrojaner" die IT-Sicherheit von 83 Millionen Menschen im Lande und stelle eine "regelrechte Einladung an Cyber-Kriminelle" dar.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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