Piwik Webtracking Image

Bildung : Impulsgeber

Die Enquete-Kommission des Bundestags fordert einen eigenen Digitalpakt für Berufsschulen

28.06.2021
2023-08-30T12:39:38.7200Z
4 Min

Weniger Ausbildungsanfänger, ein verkleinerter Ausbildungsmarkt und ein Tiefstand bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen - im Schatten der Diskussionen um coronabedingte Defizite an Allgemeinbildenden Schulen zeigt auch der aktuelle Berufsbildungsbericht (19/30295) einen negativen Trend, der sich allerdings schon länger ankündigte: Im Jahr 2020 sank die Zahl der neuen Ausbildungsverträge erstmalig seit 1992 unter 500.000, ein Rückgang um elf Prozent im Vergleich zu 2019. Besonders stark betroffen sind Industrie und Handel.

In dieser Gemengelage stellte die Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" am vergangenen Dienstag nach drei Jahren Arbeit ihren Abschlussbericht (19/30950) vor und forderte einen Pakt für die berufliche Bildung mit einem eigenen Digitalpakt für Berufsschulen. Mobile Endgeräte für Auszubildende und Weiterbildungsteilnehmende müssten über eine allgemeine Lernmittelfreiheit oder über Regelzuschüsse finanziert werden, fordert das Gremium.

Zeitpunkt stimmt Der Bericht komme "zur rechten Zeit", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) bei der Vorstellung und verwies mit Blick auf das Ungleichgewicht auf dem Ausbildungsmarkt zugunsten der akademischen Laufbahn auf Handlungsbedarf.

Die mit der Digitalisierung verbundenen langfristigen Veränderungsprozesse betreffen etwa die Berufsbilder, die Anpassung von Ausbildungsordnungen aufgrund von veränderten Produktionsprozessen, aber auch den Einsatz von digitalen Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, heißt es in dem 600 Seiten starken Bericht.

Den Wandel von der analogen zur digitalen Arbeitsweise hatte die Kommission mit Beginn der Pandemie selbst erlebt (siehe Interview unten). In der Diskussion im Plenum betonte die Vorsitzende des Gremiums, Antje Lezius (CDU), die konstruktive, fraktionsübergreifende Arbeit. Deutschland habe enorm von der beruflichen Bildung profitiert und daher müssten alle ein Interesse daran haben, diese zukunftsfester zu machen, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und die Teilhabe und Integration junger Menschen zu fördern. "Im Bericht zeigen wir Chancen für die berufliche Bildung, etwa, wie eigenverantwortlich lebensbegleitendes Lernen zur Normalität werden kann", sagte Lezius.

Unterstützung bekam sie von SPD-Bildungspolitikerin Yasmin Fahimi. In der "schönen neuen Arbeitswelt"sei die Digitalisierung nicht nur ein technischer Prozess, sondern eine Kulturrevolution, es brauche einen neuen Ordnungsrahmen. "In der Pandemie haben die Attraktivität und die Integrationskraft nachgelassen, jetzt gilt es, diese zu stabilisieren über einen Neustart", sagte sie. Dieser müsse in der Berufsorientierung beginnen. Es sei zudem Zeit, jedem Jugendlichen eine Ausbildungsgarantie zu geben. Eine weitere Forderung betreffe Azubi-Wohnheime, zur Verfügung gestellt von Bund und Ländern für diejenigen, die Lehrstellen fern der Heimat antreten.

Vor allem die Opposition hatte im Bericht immer wieder zu Sondervoten gegriffen. AfD-Politikerin Nicole Höchst betonte, dass der weit überwiegende Teil des Berichts im "gemeinschaftlichen Konsens erstrittenen" wurde. Für die AfD stehe in der Digitalisierung vor allem der Mensch im Mittelpunkt: Es seien immer noch die Persönlichkeiten, die Schüler förderten und forderten, Lehrer seien keine reinen Moderatoren. Die Pandemie habe zudem gezeigt, dass digitale Lernprozesse, etwa mit dem Fernunterricht, an Grenzen stoßen. Höchst forderte, die Bildungsausgaben zu erhöhen. Deutschland dürfe nicht weiter einen Mangel verwalten.

Mehr Mut nötig Der Bericht sei "kein konsensualer Masterplan für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre", resümierte Jens Brandenburg (FDP). Dennoch leiste er eine strukturierte Analyse der Debatten. An einigen Stellen habe sich seine Fraktion mehr gewünscht: So hätte das Gremium den Umfang, als auch die Auswirkungen der Digitalisierung unterschätzt. Auch bei der Internationalisierung sei noch mehr möglich: "Die Erasmus+-Programme werden noch viel zu selten von Auszubildenden genutzt", sagte Brandenburg. Dennoch dürfe die Lage auf dem Ausbildungsmarkt auch nicht schlechter geredet werden als sie sei; in vielen Branchen riefen die Betriebe händeringend nach Lehrlingen.

Der Kritik schloss sich Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/Die Grünen) an. Die Kommission habe zu oft im Alten verharrt, über den Status quo diskutiert und das Thema Digitalisierung nicht innovativ genug bearbeitet, sagte sie. Stillstand bei der Suche nach Fachkräften könne man sich nicht leisten, da die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel stehe. "Ich freue mich, dass 400 Auszubildende in der Kommissionsarbeit befragt wurden - allerdings wollen wir mehr Öffentlichkeit und Beteiligung, mehr Mut zu Transparenz", betonte die Grüne.

Integrationskraft Für die Linkfraktion sprach Birke Bull-Bischoff die Ausbildungsgerechtigkeit an. "Die Herkunft entscheidet in der beruflichen Bildung maßgeblich über die Bildungserfolge", sagte sie. Zu viele junge Menschen würden in Sonderstrukturen verwiesen und da, wo junge Menschen nicht "auf der Sonnenseite des Lebens" seien, herrsche oft ein Mangel, etwa was die Ausstattung von Lernorten angehe. Es brauche daher mehr inklusive Angebote, mehr Flexibilität, mehr sozialpädagogische Hilfen und eine Ausbildungsgarantie.

Die im Juni 2018 eingesetzte (19/2979) Enquete-Kommission setzte sich aus je 19 Abgeordneten und Sachverständigen aus Praxis, Verbänden und Wissenschaft zusammen. Sie hatte den Auftrag, Entwicklungsperspektiven der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der künftigen Arbeitswelt zu analysieren.