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recycling : Der Müllberg ist gewaltig

Der Hausmüll wird in Deutschland getrennt gesammelt und wenn möglich wiederaufbereitet

26.07.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
5 Min

Eines der großen Rätsel, vor denen aus dem Ausland Zugezogene in Deutschland stehen, ist die Mülltrennung. Gehört die Milchtüte in die blaue Tonne mit dem Altpapier, die gelbe Tonne mit dem Verpackungsmüll oder vielleicht doch in die schwarze Tonne mit dem Restmüll? Dürfen kompostierbare Plastikbeutel in den Biomüll oder nicht? Und warum haben Kassenbons, obwohl sie aus Papier sind, in der Altpapiertonne nichts verloren?

Manche Menschen ziehen aus diesen Unsicherheiten den Schluss, es mit der Mülltrennung nicht ganz so ernst zu nehmen. Das sei ohnehin nicht nötig, weil am Ende alles wieder auf derselben Deponie lande, heißt es dann. Dieser Behauptung widerspricht Sebastian Harnisch, Sprecher der Berliner Stadtreinigung (BSR), energisch: "Es stimmt definitiv nicht, dass alles wieder zusammengekippt wird. Jede Abfallart, die getrennt entsorgt wird, geht einen eigenen Verwertungsweg. Je konsequenter die Mülltrennung, desto besser das Recycling."

Millionen Tonnen Müll Dabei kommt einiges an Müll zusammen. Laut dem Statistischen Bundesamt fielen im Jahr 2019 im Durchschnitt 457 Kilogramm Haushaltsabfall je Einwohner an. Dazu zählen Restmüll, Bioabfälle, Wertstoffe, Sperrmüll und sonstige Abfälle. Betrachtet man den gesamten Siedlungsabfall - er umfasst neben dem Haushaltsabfall auch Müll, der im Handel und Gewerbe anfällt -, kommt man sogar auf 609 Kilogramm je Einwohner. Das ist deutlich mehr als der EU-Durchschnitt von 502 Kilogramm.

In der Summe ergibt sich so ein gewaltiger Müllberg. Allein in Berlin ermittelte die Senatsverwaltung im Jahr 2019 für die Haushalte und das Kleingewerbe eine Gesamtmenge von knapp 1,4 Millionen Tonnen Müll. Knapp 800.000 Tonnen davon entfielen auf den Haus- oder Restmüll, also denjenigen Abfall, der nicht recycelt werden kann. In Berlin landet ein Großteil davon im Müllheizkraftwerk Ruhleben, wo er verbrannt oder, wie die Fachleute vornehmer sagen, thermisch behandelt wird. Ungenutzt ist der Abfall damit nicht, da im Müllheizkraftwerk Wärme und Strom erzeugt werden. Ein weiterer Teil des Restmülls wird in zwei mechanisch-physikalischen Stabilisierungsanlagen zu Brennstoff verarbeitet. Auf Deponien gekippt wird kein Restmüll - das ist in Deutschland schon lange nicht mehr erlaubt.

Positive Umweltbilanz Weiterverarbeitet werden auch die gut 164.000 Tonnen Papier, Pappe und Kartonagen, die laut Abfallbilanz 2019 in Berlin gesammelt wurden. Sie werden in der Anlage der Wertstoff-Union Berlin im Stadtteil Neukölln von Fremdstoffen befreit, vorsortiert und an Hersteller von Altpapier weitergegeben. Das wirkt sich positiv auf die Umweltbilanz aus: Nach Angaben der von den dualen Systemen getragenen Initiative "Mülltrennung wirkt" verbraucht die Herstellung von Recyclingpapier nur etwa ein Drittel der Energie, die für die Produktion von Papier aus Frischfasern aufgewendet werden muss. Kassenbons haben übrigens in der Papiertonne nichts verloren, da sie aus Thermopapier bestehen - sie gehören deshalb in den Restmüll.

Auch bei Glas (2019 in Berlin: rund 68.000 Tonnen) spielt das Recycling eine wichtige Rolle. Es wird in Sortieranlagen zerkleinert, von Fremdstoffen wie Kronkorken und Papieretiketten befreit und dann wieder eingeschmolzen. Das kann laut der Initiative "Mülltrennung wirkt" ohne Qualitätsverlust beliebig oft geschehen. Dabei gilt für Berlin eine Besonderheit: Hier gibt es nicht nur die Glassammelcontainer auf öffentlichen Straßen, sondern, zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings, auch kleinere Sammelbehälter auf dem Müllplatz von Wohnanlagen. Doch während am Straßenrand drei Container (für weißes, braunes und grünes Glas) stehen, sind es in den Wohnhäusern nur zwei (weiß und bunt). Dieses System ist zwar bequem, aber laut BSR nachteilig für die Glasqualität.

Kompliziert wird es auch bei der gelben Tonne und dem gelben Sack. In der Berliner Abfallbilanz taucht dieser Posten (2019: knapp 89.000 Tonnen) unter dem Begriff "Leichtstoffverpackungen und stoffgleiche Nichtverpackungen" auf. Tatsächlich darf man in Berlin - im Gegensatz zu den meisten anderen Städten - nicht nur Verpackungen aus Kunststoff, Metall oder Verbundstoffen in die gelbe Tonne werfen, sondern auch andere Gegenstände aus diesen Materialien wie ausrangierte Gießkannen oder Kochtöpfe.

All das landet in Sortieranlagen, in denen Infrarotsensoren die einzelnen Materialien trennen, sodass sie dem Recycling zugeführt werden können. Allerdings gelingt das nicht bei allen Verpackungen: Laut Statistischem Bundesamt wurden 2019 rund ein Sechstel der Verpackungsabfälle energetisch verwertet, also verbrannt. Trotzdem trägt dieses System zum Klimaschutz bei. Das zeigen Zahlen, die das Fraunhofer-Institut Umsicht im Auftrag des Entsorgungsunternehmens Alba vorgelegt hat. Demnach hat Alba 2019 durch die Kreislaufführung von sechs Millionen Tonnen Wertstoffen mehr als 4,2 Millionen Tonnen klimaschädliche Treibhausgase vermieden. "Recycling", sagt der Alba-Vorstandsvorsitzende Axel Schweitzer, "verursacht signifikant weniger Treibhausgasemissionen als die Verwendung von Primärrohstoffen."

Saubere Stoffströme Damit dieser Effekt tatsächlich eintritt, sollten Verbraucher die einzelnen Bestandteile von Verpackungen trennen, also zum Beispiel den Deckel vom Joghurtbecher entfernen. Um der Sortieranlage die Arbeit zu erleichtern, sollten die Becher auch nicht ineinander gestapelt werden. Hingegen ist es nach Angaben der Entsorger nicht nötig, Joghurtbecher und Kokosmilchdosen auszuspülen - "löffelrein" genügt völlig. Vor allem sollte wirklich nur das in der gelben Tonne landen, was dort hineingehört. "Wenn wir Materialkreisläufe dauerhaft schließen wollen, brauchen wir saubere Stoffströme", sagt Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE). "Jedoch ist den Verbrauchern allzu oft nicht klar, welcher Abfall in welche Tonne gehört." Laut Kurth liegt die Quote der sogenannten Fehlwürfe teilweise bei 40 Prozent und mehr.

Was viele Verbraucher auch überraschen dürfte: In die Biomülltonne darf man nicht nur welke Salatblätter und Gartenabfälle werfen, sondern auch Essenreste. Allerdings scheinen die Hauptstädter mit dem Biomüll recht nachlässig umzugehen: 2019 betrug der Anteil der Küchen- und Gartenabfälle am Restmüll nicht weniger als 38 Prozent.

Kein Wunder, dass die BSR umfangreiche Aufklärungsarbeit betreibt, um die Menschen zu überzeugen, dass Biomüll in die Biotonne gehört. "Wer das sorgfältig macht, führt wertvolle Ressourcen in den Stoffkreislauf zurück und tut der Umwelt etwas Gutes", sagt BSR-Sprecher Harnisch. "Denn aus dem Bioabfall produzieren wir Biogas, mit dem die Hälfte unserer Müllfahrzeuge betankt wird." Das passiert in den Biovergärungsanlagen Ruhleben und Hennickendorf. Ein weiterer Teil des Biomülls landet in Kompostieranlagen.

Die Idee der Mülltrennung ist im Übrigen schon recht alt. Am 7. März 1884 unterschrieb der Pariser Beamte Eugène Poubelle ein Dekret, das Hauseigentümer dazu verpflichtete, drei Mülltonnen aufzustellen - eine davon für Glas, Porzellan und Austernschalen.

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.