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WELTHANDEL : Globale Müllhalden

Seit Chinas Importverbot für Plastikabfall sind südostasiatische Länder im Fokus der Entsorgungsindustrie

26.07.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
7 Min

Ein paar frühmorgendliche Sonnenstrahlen tauchen die Kokospalmen am Strand von Koh Khao rund 650 Kilometer südlich der thailändischen Hauptstadt Bangkok in rostrotes Licht. Die knapp 60-jährige Suripon Tauchuen tritt aus ihrer Hütte am Fuße eines buddhistischen Tempels auf einem hohen Felsvorsprung. Prüfend schweift ihr Blick über das unruhige Wasser im Golf von Thailand. Ein paar Tausend Kilometer westlich verwüstet gerade der Zyklon Yaas die Ostküste Indiens rund um die Millionenstadt Kolkatta. Die Ausläufer des Unwetters bringen im Golf von Thailand ein bis zwei Meter hohe Wellen, Gewitter und leichte Stürme. Das miese Wetter bedeutet endlich mal gute Nachrichten für Nu (Maus), wie Suripon Tauchuen bei ihren Nachbarn am Strand heißt.

Sie brummt zufrieden. Nach Wochen spiegelglatter See und sengendem Sonnenschein herrscht Ebbe in ihrer Kasse. Wind und Wellen werden wieder Tonnen von Abfall an die Oststrände Thailands spülen, darunter auch Tausende leere Plastikflaschen. "Ich bekomme fünf Baht (zirka 13 Cent) für ein Kilogramm Plastikflaschen. Ein Kilo Glas bringt einen Baht (drei Cent)", erzählt Nu. Für Getränkedosen gibt es 20 Baht (52 Cent) pro Kilo.

Meeresverschmutzer Thailand gehört weltweit zu den fünf schlimmsten Meeresverschmutzern der Welt. Nu ist eine von Hunderttausenden Salengs in dem südostasiatischen Königreich. So werden die Müllsammler nach den Mopeds mit angebautem Beiwagen genannt, auf denen vom Mastschwein über riesige Fischreusen bis Schreibtischen nahezu alles transportiert wird, solange es nicht zu schwer ausfällt.

Nu besitzt kein Saleng. Im lockeren Sand am Strand wäre das Gefährt nutzlos und ihr Einkommen würde nicht einmal für den Treibstoff reichen. Die Frau schwingt ein leeres Fischnetz über die Schulter, steckt einen schwarzen Plastiksack in ihren Gürtel und beginnt ihre Morgenrunde an dem rund eineinhalb Kilometer langen Strand an Thailands "Royal Coast Road", die von Bangkok bis zur Stadt Surat Thani führt. Halbwilde Hunde, die Koh Khao wie so viele andere Strände des Königreichs bevölkern, trotten der Müllsammlerin nach.

Thailand droht gegenwärtig im Plastikmüll förmlich zu ertrinken. Laut dem Environment Institute (TEI) verbraucht das Land seit Beginn der weltweiten Corona-Seuche täglich 3.440 Tonnen Plastikabfall. 2019 waren es 2.120 Tonnen täglich. Doch Suripon kennt bessere Zeiten. "Ich habe schon mehr Geld bekommen", erzählt sie, "seit Covid sind die Preise gesunken". Die "Saleng and Junk Shop Association" (Vereinigung von Müllsammlern und Abfallgeschäften) des Königreichs stöhnt ebenfalls: "Unsere Mitglieder kommen kaum noch über die Runden, weil Abfall immer billiger wird. Wegen Covid haben viele Müllverarbeitungsfabriken geschlossen. Außerdem wird mehr Plastik aus dem Ausland importiert."

Ohne die Müllsammler würde Thailand im Abfall untergehen. "Viele Dörfer im Königreich haben bislang keine öffentliche Müllabfuhr", sagt Bibb Sabhavasu, dessen Bürgerinitiative "Trash Hero" in vielen Orten des Landes einmal die Woche Abfall einsammelt. Zugleich importiert Thailand tonnenweise Plastikmüll aus dem Ausland. "Viele Unternehmen im Ausland haben seit dem Jahr 2018 große Mühe, ihren Plastikabfall loszuwerden", sagt Akarapon "Bob" Teebthaising von der "Ecological Alert and Recovery" (earththailand.org) in Bangkok, "sie sind bereit, ihre Preise nach unten zu drücken soweit es nötig ist."

Jeder Thailänder benutzt laut dem Department of Environment and Quality Promotion täglich acht Plastikbeutel. Jährlich werden rund 200 Milliarden in dem Königreich verbraucht. Ganze acht Prozent des thailändischen Mülls finden ihren Weg in Recycling-Fabriken. Davon liefern rund 76 Prozent die Saleng ab. "Wenn historische Zahlen zuverlässig sind", warnte die UN-Umweltorganisation UNEP Ende März dieses Jahres, "werden zukünftig weniger als zehn Prozent des während Covid produzierten Abfalls recycelt, mehr als 70 Prozent werden auf Müllhalden landen."

Lückenbüßer Seit China den Import von Plastikabfall ab 2018 verbot, zählt Südostasien für die internationale Abfallindustrie zu den Lückenbüßern für ihre Entsorgungslieferungen. Die Staaten der Region, wegen ihrer Wirtschaftsdynamik vor rund 20 Jahren als "Tiger" gefeiert, verkommen zu Müllhalden. Ein Grund: Viele Firmen, die sich zuvor im Reich der Mitte des Plastikmülls aus aller Welt annahmen, schlugen seit 2018 ihre Zelte in diesen Ländern auf.

Nach Angaben des thailändischen Industrieministeriums erhielten seit der Verhängung des Importverbots in China im Jahr 2018 bis September 2020 insgesamt 610 neue Fabriken für Plastikverarbeitung eine Genehmigung. Im Jahr 2017 waren es nur 195. "Hinter den offiziell angemeldeten Besitzern verbergen sich häufig chinesische Eigentümer", sagt Bob Teebthaising von der Eaerth-Stiftung und erklärt. "Wenn Sie einmal eine Genehmigung erhalten, gilt die für immer, gleichgültig, ob Sie sich an die Vorschriften halten."

Der Import stieg laut UN-Angaben um bis zu 1.000 Prozent. "Bauern haben gesehen, dass Plastikabfälle direkt auf Reisfelder verteilt wurden. Besonders die Garnelenfarmen sind von der Müllschwemme betroffen", berichtet UNEP in dem Bericht "Plastikverschmutzung ist eine Umweltungerechtigkeit für verletzliche Gemeinwesen".

Viele Ausnahmen Als die importierte Plastikabfallschwemme erstmals ruchbar wurde, handelten Thailands Regierung wie auch mehrere Nachbarländer in großer Eile - zumindest auf dem Papier. "Wir sind nicht die Müllhalde der Welt", verkündete das Handelsministerium in Bangkok und untersagte die Einfuhr von 428 Arten elektronischen Mülls. Doch die Verordnung hat so viele Ausnahmen, dass immer noch sogenannter E-Müll in Thailands Häfen abgeladen wird. Seit Januar soll zudem auch die Einfuhr von Plastikmüll um etwa 30 Prozent zurückgeschraubt werden. Dennoch wurden zwischen Januar und März 32.000 Tonnen eingeführt. Das Königreich liegt damit aufs ganze Jahr 2021 gesehen etwa im Trend der Gesamtimporte in Höhe von 151.000 Tonnen im vergangenen Jahr. 2018 waren es eine halbe Million Tonnen Abfall und 2019 immerhin noch mehr als 300 000 Tonnen.

Das Königreich macht gerade eine schwere, durch die Covid-Pandemie verursachte Wirtschaftskrise durch. Die thailändische Klimaaktivistin Nanticha "Lynn" Ocharoenchai hegt deshalb Zweifel, ob die Regierung unter Ex-General Prayuth Chan-ocha viel Aufmerksamkeit für das Problem aufbringt: "Die Regierung ist voll mit den Folgen von Corona und der Demokratiebewegung der Studenten beschäftigt."

Deutschland, das 2020 immerhin 986.000 Tonnen Plastikabfall exportierte, steuert seit Jahren zwei bis drei Prozent des Mülls (rund 30.000 Tonnen jährlich) bei und liegt damit nahezu konstant an achter Stelle unter Thailands Plastikmülllieferanten, weit hinter Spitzenreiter USA, die rund 86 Prozent des legal erfassten einseitigen Plastikmüllhandels beisteuern. "Abfälle, deren Behandlung als zu umweltschädigend oder zu unrentabel gelten, werden nach Asien oder Afrika geschickt", konstatiert etwa der deutsche Nature Fund in Wiesbaden und zitiert das Beispiel Eletronikschrott: "Die Zahl der Geräte steigt exponentiell, ihre Nutzungsdauer sinkt, und mehrere zur Herstellung verwendete Materialien sind giftig (Cadmium, Blei, Quecksilber)."

Neben Südostasien rückt auch Afrika zunehmend in den Blick der Plastikabfallwirtschaft. So fiel im Mai dieses Jahres die deutsche Firma Hapag Lloyd bei dem Versuch auf, 25 Tonnen Plastikabfall in den Senegal zu schmuggeln. Die Folge: Eine Geldstrafe von etwa 300 Millionen Euro plus Repatriierung der Müllcontainer. In Spanien wurde ein Schmugglerring von 34 Personen hochgenommen, der illegale Exporte in westafrikanische Länder organisierte. Ende 2020 beschlagnahmten Behörden in Tunesien 70 Container aus Italien. Inhalt: 120 Tonnen medizinischer Abfall.

Dabei haben 34 von 54 afrikanischen Staaten längst den Import von Plastikabfall ganz oder teilweise verboten - und sind damit den früheren Tigerstaaten Südostasiens einmal weit voraus. "Afrika ist keine Müllhalde mehr und ist auch den Interessen ausländischer Unternehmen nicht mehr hilflos ausgeliefert", sagt Awa Traore von Greenpeace Afrika.

Deutschlands wichtigster Abnehmer für legal exportierten Plastikmüll bleibt Thailands Nachbarland Malaysia. Mit 151.000 Tonnen wurden dort im vergangenen Jahr 32.000 Tonnen weniger als im Jahr 2019 eingeführt. Von einem Erfolg bei der Bekämpfung von Plastikmüllimporten kann dennoch nur mit Einschränkungen gesprochen werden. "Wir sehen, dass immer mehr Container ankommen, in denen Altpapier und Plastikmüll vermischt wurden. Dabei ist das verboten", sagt Lydia Ong, Ex-Vorsitzende der Umweltschutzorganisation "Environment Action Association" in Sungai Petani, der größten Stadt in Malaysias Bundesstaat Kedah, der als Reisschüssel des Landes gilt und zu dem nahe der Grenze zu Thailand auch das Ferienparadies Langkawi gehört.

Schmutzige Luft Die energische Frau ist wütend. "Ich bin aus Sungai Petani weggezogen", sagt sie, "ich habe keine Lust auf Krebs." Nacht für Nacht stehen über der Industriestadt dicke, stinkende Qualmwolken von verbrennendem, aus dem Ausland importierten Plastik- und Papiermüll. Ong ist überzeugt: "Die ganze Luftverschmutzung trägt Mitschuld an der Ausbreitung von Corona hier bei uns." Ein besonderer Bösewicht der Luftverschmutzung laut Ong in Sungai Petani: "Die Fabrik Hindu Botol beweist, das Recycling von Plastikabfall hier in Malaysia vor allem Verbrennen bedeutet." Das Unternehmen tauchte wie andere Fabriken in Kedah auf, nachdem die Chemieingenieurin Pua Lay Peng vor drei Jahren im Bundesstaat Selangor nahe der Hauptstadt Kuala Lumpur erstmals den Skandal um die Einfuhren von teils giftigem Plastikmüll enthüllte. Die 60-jährige Vorsitzende der "Environmental Action Association" in der Region Kuala Langat sitzt wegen Covid zu Hause in Selbstquarantäne, nachdem sich Teile ihrer Familie mit den Viren angesteckt haben. Ihren Galgenhumor konnte sie dennoch wahren.

Verseuchtes Wasser Sie lacht schallend über die Angaben der Regierung des Landes, nach denen inzwischen knapp 300 Fabriken geschlossen wurden, die in Selangor Plastikabfall verbrannten statt zu recyceln. "Wenn die Behörden denen nicht sofort Strom und Wasser abgestellt haben, machen diese Fabriken trotzdem weiter." Aber Kuala Lumpurs Regierung beharrt: Seit dem Jahr 2019 seien rund 350 Container voll Müll in ihre Ursprungsländer zurückgeschickt worden.

Eine genaue Überprüfung solcher Angaben fällt schwer. Pua Lay Peng wird über Wochen durch Selbstquarantäne behindert. Landesweite Lockdowns und strenge Regeln treffen auch andere Umweltschützer. "Wegen der Pandemie können wir kaum arbeiten", sagt Heng Kiah Chun von Greenpeace Malaysia.

Die Umweltschutzorganisation untersuchte 2019 und 2020 die Orte, an denen zuvor illegal importierter Plastikabfall entdeckt worden war. Das Ergebnis: Schwermetalle wie Cadmium, verseuchtes Wasser und Plastikreste fanden sich an allen Plätzen inklusive Kuala Langat, an denen zuvor der Plastikmüll gefunden worden war.

Die Chemieingenieurin Pua Lay Peng ist überzeugt, dass in Kuala Langat nahe der Hauptstadt Kuala Lumpur, das in der offiziellen Werbung Malaysias wegen schöner Strände bejubelt wird, der stinkende und giftige Rauch aus den Fabriken, die immer noch Plastik verbrennen, zur Verschlimmerung der Covid-Pandemie beigetragen hat. Ob ihre These laufenden wissenschaftlichen Untersuchungen standhält, wird sich zeigen. Aber Heng Kiah Chun von Greenpeace Malaysia ist überzeugt: "Die illegale Entsorgung von Plastikabfall durch insgesamt 19 Länder hinterließ unauslöschliche Narben in Malaysia und anderen südostasiatischen Ländern."

Der Autor ist Südostasien-Korrespondent mit Sitz in Bangkok.