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HERMANN-JOSEF TEBROKE : »Sehr viel zu bieten«

Der CDU-Abgeordnete und Ex-Landrat über Chancen und Belastungen ländlicher Räume

09.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
5 Min

Herr Tebroke, immer wieder ist zu lesen, dass die Corona-Pandemie einen Trend raus aus der Stadt zum Landleben beflügelt. Sehen Sie diesen Trend auch?

Ich würde noch nicht von einem starken Trend sprechen, aber freue mich, dass es eine größere Wertschätzung gibt für die Möglichkeiten, im ländlichen Raum zu leben.

Was bietet der ländliche Raum mehr als die Stadt? Selbst manche Wildtiere wie Füchse sieht man eher in der Stadt.

Der ländliche Raum hat sehr viel zu bieten, insbesondere die Naturnähe. Er ist viel stärker von Wäldern, von Landwirtschaft geprägt und er hat in der Regel einen höheren Erholungswert. Die Siedlungsdichte ist deutlich geringer, was auch dazu führt, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt ausgeprägter ist. Die Menschen kennen einander, es gibt eine höhere Verbundenheit, ein stärker ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement. Das macht ländlichen Raum aus. Man muss aber auch unterscheiden zwischen den ländlichen Räumen selbst.

Inwiefern?

Ländliche Räume unterscheiden sich insbesondere darin, ob es nahe Ballungsräume gibt oder nicht. Das hat viele Konsequenzen, etwa für Infrastrukturanforderungen.

Ihr Wahlkreis, der Rheinisch-Bergische Kreis, grenzt an Köln, hat gute Verkehrsanbindungen und ländlichen Raum.

Das stimmt. Wir haben die Vorteile zweier Welten miteinander verbunden: die Nähe zur Natur und die Nähe zu den Ballungsräumen mit ihren kulturellen Angeboten und ihrer wirtschaftlichen Kraft.

In abgelegenen Regionen werden wegen des Bevölkerungsschwunds Einrichtungen stärker zentralisiert, vom Schwimmbad bis zum Krankenhaus, und die Entfernungen dann größer, weshalb noch mehr wegziehen.

Die Erreichbarkeit von Versorgungsleistungen ist ein wesentlicher Punkt, wie auch die Erreichbarkeit von Arbeitsmöglichkeiten. Wichtig ist und bleibt eine gute Verkehrsanbindung. Wenn Arbeitsplätze und Angebote des täglichen Bedarfs in dünner besiedelten Gebieten nicht verfügbar oder wegen mangelnder öffentlicher Verkehrsanbindung nur schlecht zu erreichen sind, werden Menschen - auch wenn es ihren Präferenzen möglicherweise nicht entspricht - stadtnäher wohnen müssen. Wenn eine leistungsfähige digitale Infrastruktur eine Flexibilisierung des Arbeitsortes ermöglicht, kann man lange Wege meiden und die Vorteile des ländlichen Raums noch besser nutzen. Ich beobachte auch hier in den etwas - wie Sie sagen - "abgelegenen" Teilen des Bergischen Landes mehr Stadtortentscheidungen zugunsten des ländlichen Raums, wenn zum Beispiel Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber Arbeit im privaten Homeoffice oder in Co-Working-Spaces ermöglichen.

In Deutschland gibt es noch immer nicht flächendeckend schnelles Internet.

Ja. Das macht mich auch sehr ungeduldig. Natürlich lässt sich digitale Infrastruktur wirtschaftlicher in Ballungsräumen ausbauen. Darum halte ich es für wichtig, den Ausbau der digitalen Infrastruktur im ländlichen Raum mehr zu fördern. Je schneller und besser dieser Ausbau gelingt, desto attraktiver werden die ländlichen Räume - für Privathaushalte, Bildungseinrichtungen, Arbeitnehmer und Unternehmen, die auf der Grundlage digitaler Infrastrukturen immer unabhängiger vom physischen Standort neue Arbeitsstrukturen aufbauen können. Das ist eine ganz großartige Perspektive für ländliche Räume.

Muss der Bund hier in der nächsten Wahlperiode einen Schwerpunkt setzen?

Es ist dringend notwendig, da noch mehr zu tun. Sicher wurde in den letzten Jahren für den Ausbau der digitalen Infrastruktur auf dem Land einiges unternommen, auch bundespolitisch, aber eben noch nicht genug. Dabei geht es nicht um eine Aufgabe des "sozialen Ausgleichs" oder der "Nachhilfe für zurückgebliebene Regionen".

Sondern?

Um gleichwertige Lebensverhältnisse. Um Chancengleichheit und Kooperation. Wenn man von ländlichen Räumen spricht, redet man so leicht und missverständlich von "denen da draußen", denen Unterstützung zuteilwerden müsse. Wir müssen stattdessen erkennen, dass der ländliche Raum und die Ballungsräume einander eine Menge bedeuten und liefern können. Der städtische Raum braucht den ländlichen, und der ländliche Raum braucht den städtischen. Das ist deutlich in ballungsnahen Räumen zu sehen, bei denen zum Beispiel Großstädte die Anforderungen an Wohnraum nicht mehr erfüllen können und Unternehmen nur dann Arbeitskräfte finden, wenn sie ihnen und ihren Familien ein attraktives, vielleicht naturnahes Wohnumfeld bieten. Da erkenne ich eine wachsende Einsicht und Kooperationsbereitschaft zwischen ländlichen Räumen und den Ballungsräumen.

Zum Beispiel?

Es gibt hier eine solche Zusammenarbeit in der Region Köln/Bonn, bei der man schaut, was die jeweiligen Stärken des Ballungsraums und des ländlichen Raums sind, und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit beide etwas voneinander haben. Das wird auch durch Förderprogramme unterstützt. Ländliche Räume haben auch Menschen mit Hauptwohnsitz in Ballungsräumen viel zu bieten - nicht nur ihren Beitrag zum Klimaschutz oder ihr Angebot zur Naherholung.

Mehr Menschen auf dem Land heißt auch mehr Zersiedelung, mehr Oberflächenversiegelung, mehr Energieverbrauch durch mehr Individualverkehr.

Es werden ja nicht nur auf dem Land Flächen verbraucht. Auch Siedlungskonzepte, Flächennutzungs- und Bebauungspläne haben sich weiterentwickelt. Bauen erfolgt flächensparender. Mit geschickter Siedlungspolitik lässt sich auch auf dem Land umweltfreundlich Wohnraum schaffen.

Der Klimaschutz fordert den ländlichen Raum besonders: Er stellt den Platz für Windräder; Autofahren wird teurer.

Bei der Energiegewinnung - zumal über Windkraftanlagen - gibt es ein Akzeptanzproblem. Hier könnten Beteiligungsmodelle helfen, bei denen die Bürger vor Ort am finanziellen Erfolg der Anlagen teilhaben und erkennen, dass das auch für sie von wirtschaftlichem Nutzen ist.

Und beim Autofahren?

Dass wir auch beim Autoverkehr mehr für den Klimaschutz tun müssen, ist auch den Menschen im ländlichen Raum bewusst. Diesbezügliche Entscheidungen müssen auf die Bedingungen vor Ort Rücksicht nehmen und dürfen nicht nur aus einer rein großstädtischen Perspektive heraus getroffen werden. Dort kann das Auto vielleicht an die Seite gestellt werden, weil es Tag und Nacht genug Busverbindungen und viele S-Bahn-Anschlüsse gibt. Das ist auf dem dünner besiedelten Land nicht gegeben. Dort brauchen Sie andere Konzepte. Sie brauchen deutlich mehr Unterstützung für den Ausbau eines umweltfreundlichen Öffentlichen Personennahverkehrs, ob beim Ausbau des elektrifizierten Schienenverkehrs oder der Umstellung von Bussen auf Wasserstoffantriebe. Aber so sehr wir den Busverkehr ausbauen oder Bahnstrecken reaktivieren mögen: Wir brauchen auch umweltgerechte Konzepte für Individualverkehr - ohne den Individualverkehr kommen wir in der Fläche nicht aus.

Wie können die aussehen? Ein dichtes Ladesäulen-Netz für Elektroautos?

Es gibt auf dem Land durchaus Möglichkeiten, regenerative Energie dezentral und haushaltsnah zu gewinnen, etwa über Photovoltaikanlagen. Bei entsprechenden Anreizen und Ausstattung wird auch für ländliche Haushalte die Anschaffung eines Elektrofahrzeugs Sinn machen. Ein dichteres Netz an Ladesäulen ist wichtig. Ich sehe hier vor Ort ein großes Interesse, auch an dieser Stelle am Klimaschutz mitzuwirken.

Die Fragen stellte Helmut Stoltenberg.

Hermann-Josef Tebroke (57) gehört dem Bundestag seit 2017 an. Der CDU-Abgeordnete und frühere Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises sitzt unter anderem im Finanzausschuss sowie im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur.