Piwik Webtracking Image

Verwaltung : Digitales Rathaus und trotzdem nah an den Menschen

In Tangerhütte hat die Stadtverwaltung viele Dienste digitalisiert. Und erleichtert damit die Kommunikation mit ihren Bürgern

09.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
3 Min

Das Rathaus von Tangerhütte, ein roter Jahrhundertbau mit Giebeln und einem wuchtigen Eckturm, passt in jede Hosentasche. Kitaplatzanmeldung, Grundstückskaufantrag oder Gewerbeanmeldung? Das funktioniert alles in Tangerhütte, einer 10.700-Einwohner-Stadt irgendwo zwischen Berlin und Hannover, auch übers Smartphone. Die Stadtverwaltung ist seit April 2020 Pionier in Sachen niedrigschwelliger Kommunikation und baut Brücken zwischen Bürger und Staat ebenso auf wie sie Hemmschwellen gegenüber Verwaltungsleistungen abbaut. Schon jetzt erfüllt die Kommune das vom Land Sachsen-Anhalt beschlossene Onlinezugangsgesetz, nach dem bis Ende 2022 Dienste der Verwaltungen auch online anzubieten sind. Wie ist es dazu gekommen?

"Es kam aus uns heraus", versucht Bürgermeister Andreas Brohm zu erklären. "Es war intrinsisch. Keine Order von oben trieb uns an." Tatsächlich mag der Ausgangspunkt in der Wahl des Parteilosen zum hauptamtlichen Bürgermeister liegen. Das war 2014, als er mit 72,7 Prozent der Stimmen ins Amt kam: Zwar in Tangerhütte geboren und aufgewachsen, war Brohm in die so genannte weite Welt gezogen, studierte Betriebswirtschaftslehre, wurde Manager von Musicals, tourte mit ihnen durch Europa. "Ich übernahm als Verwaltungsfremder das Bürgermeisteramt", sagt er. "Da fing ich bei null an, konnte so aber auch viel hinterfragen." Wird tatsächlich wie in der Stellenbeschreibung gearbeitet? Was geht schneller und einfacher?

Schnell zeigte sich: Mit Digitalisierung kommt man rasch voran. Es bildete sich eine Gruppe von Mitarbeitern. Die Corona-Pandemie wirkte, dann, mitten in deren Planungen, wie ein Brandbeschleuniger. "Wir hatten bereits das Werkzeug in der Schublade", sagt Brohm. "Also legten wir los." Und man war überrascht, dass es einfacher ging als erwartet. Geholfen hatte das Softwareunternehmen Innocon Systems, welches anderen Kommunen vorher erfolglos ein Verwaltungsprogramm angeboten hatte. Nur die Listung im Apple-Store als App dauerte vier Monate, weil man den Amerikanern erst einmal erklären musste: Was ist das, eine Kommune als App? Mittlerweile sind über zehn Prozent der Einwohner online registriert und nutzen die 28 möglichen Anwendungen; analog bleiben die Verwaltungsdienste natürlich auch. Selbst für Impfungen der über 76-Jährigen nutzten die Tangerhüttener das digitale Rathaus, immerhin hatten sich auch hier zehn Prozent der 800 in Frage kommenden Bürger online angemeldet. Da in der Region der Handyempfang nicht immer funktioniert, verzichtet die Verwaltung auf eine Zwei-Wege-Authentifizierung etwa per SMS und lässt die Einwohner per Fingerabdruck zu ihren Bürgerkonten.

Doch das digitale Rathaus stößt auch an Grenzen. Das bisher größte Ziel, die Verknüpfung zum Portal des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, hat die Kommune zwar erreicht. "Aber wir machen das alles quasi ohne Geld und mit zu wenig Zeit im System." Mitunter zeige sich der "Fluch des Föderalismus". Bei Kitaplätzen zum Beispiel: "Die habe ich, aber vergeben tut sie der Landkreis." Dabei werde übersehen, dass die Bürger mit dem "Staat an sich" in Kontakt treten und seine Dienste in Anspruch nehmen wollen. "Und meist klingeln sie zuerst bei der Kommune, die ist halt am nächsten dran." Technisch sei es möglich, das digitale Rathaus so zu bauen, dass darüber auch Prozesse abgewickelt werden, die woanders entschieden werden. "Aber dann müssten Zuständigkeiten verschoben werden, und da gibt es an verschiedenen Stellen Widerstand." Brohm sieht die generelle Gefahr einer Verhaspelung von Kompetenzen. "Der Bund interessiert sich zum Beispiel sehr für den digitalen Personalausweis, aber ihn erklären müssen wir vor Ort." Das sei mitunter ein Grund, warum er kaum angenommen werde.

Ein nahbarer Bürgermeister, ein Rathaus schneller und näher an den Bürgern - diese Entwicklung steht auch im Zeichen, Tangerhütte im Ländlichen Raum als attraktiven Ort zu gestalten. Die Stadt in der Altmark, die erst eine wurde durch die Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Eisenhütte, erlebte nach dem Fall der Mauer wirtschaftlichen Abschwung und demografischen Schwund. Die Bürger verteilen sich auf eine Fläche, die halb so groß ist wie Berlin. Heute gilt es, den Bestand zu halten: Hundert Einwohner verliere die Stadt im Jahr, "aber nicht mehr durch Wegzug", sagt Brohm. "Diese Zahl ist die Differenz aus Geburten und Sterbefällen".

Was ist die wichtigste Erkenntnis der Rathausdigitalisierung? "Beim Prozess kam heraus, wie wichtig für die Bürger das Miteinander ist. Die Kunden wollen die Stadtverwaltung sehen, mit uns reden." Daher schaffe die Digitalisierung Kapazitäten, "sodass wir in der Verwaltung mehr Zeit erhalten, die wir in die direkte Kundenpflege fließen lassen können".

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.