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Beteiligung : »Viele kennen uns noch immer nicht«

Wie attraktiv ein ländliches Lebensumfeld für Kinder und Jugendliche ist, hat viel damit zu tun, wie sie eingebunden werden

09.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
4 Min

Den ländlichen Raum gibt es nicht. Wenn aber die Wörter "Jugend" und "ländliche Räume" fallen, ist vielerorts in der Republik vor allem die Rede von Problemen. Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR), konstatiert in einem Positionspapier etwa, dass es zwar regionale Unterschiede gebe, die Finanzierung und fehlende Ressourcen aber überall die Arbeit von Jugendverbänden einschränken. Insbesondere der Wandel hin zu Ganztagsschulen mit weiten Einzugsgebieten und das Schließen oder Zusammenlegen von Einrichtungen der Jugendarbeit hat den Stellenwert dieser verändert. In einem Teil der ländlichen Regionen "gibt es bereits jetzt nicht mehr ausreichend wohnortnahe (öffentliche) Bildungsangebote", heißt es auch im 16. Kinder- und Jugendbericht (19/24200) der Bundesregierung. Und: Die infrastrukturelle Defizite werden als Beschränkung der Selbstständigkeit und persönlichen Entfaltung interpretiert. Nötig seien etwa Jugendbeauftragte in den Kommunen, mehr jugendgerechte Sprache, der Abbau überholter Strukturen, aber auch der Ausbau von Jugendräten, fordert der DBJR.

Eine Gemeinde, die sich bereits vor fast 15 Jahren an die Weiterentwicklung der Beteiligungsmöglichkeiten Jugendlicher und damit auch an die Stärkung der Verbundenheit mit der Kommune gemacht hat, ist das niedersächsische Grasberg im Landkreis Osterholz: Seit 2007 gibt es dort ein Jugendparlament (JuPa), das die Interessen junger Menschen vertritt. Das JuPa ist bei Sitzungen des Ausschusses für Jugend, Senioren, Sport und Kultur dabei und kann Anträge stellen - dabei hilft ein Mitarbeiter der Gemeinde. Vorsitzende ist die 21-jährige Erzieherin Lisa Kück. Einmal im Monat treffen sich die neun JuPa-Mitglieder und arbeiten ihre Tagesordnung ab. Zwischendurch wird sich per WhatsApp-Gruppe koordiniert. "Wir haben zuletzt bei der Neugestaltung des Außengeländes vom Jugendzentrum geholfen und dafür gesorgt, dass ein Jugend-Freizeit-Ticket eingeführt wird", zählt Kück einige Erfolge auf - dadurch wurden Zonen im Busverkehr zusammengelegt und die Tickets günstiger. Auch die Gebühren für Kopien von Abiturzeugnissen hat das JuPa abgeschafft.

Wissenstransfer Kandidieren darf, wer zwischen 12 und 21 Jahren alt ist und in Grasberg wohnt. Auch dass hier die Zahl 21 steht, ist ein Verdienst des JuPa, erklärt Kück: "Viele Dinge darf man erst mit 18 beantragen oder tun, zum Beispiel den Bürgerbus fahren. Deshalb haben wir eine Änderung der Wahlordnung beantragt."

Das JuPa habe aber auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen: "Durch die Lockdowns lag unsere Arbeit zeitweise brach", berichtet Kück. Aber auch ohne Corona sei es schwierig, die Jugendlichen zu fassen zu bekommen: "Viele kennen uns noch immer nicht", sagt sie. Angebote wie Ausflüge müssten aktiv über die Kirche, Sportvereine oder die Schule beworben werden, um genügend Jugendliche zu finden. "Ich selbst habe nur vom JuPa mitbekommen, weil der damalige Vorsitzende es 2016 in meiner Schule vorgestellt hat", berichtet Kück. Nun gibt es aber keine weiterführende Schule mehr in der Gemeinde, was Auswirkungen auf den Lebensmittelpunkt vieler Jugendlicher habe. Mut machen Kück die vielen Anfragen von interessierten Gemeinden zur Gründung eines Jugendparlaments im vergangenen Jahr. "Das haben wir zum Anlass für einen Jugendbeteiligungstag am 21. August genommen, bei dem wir Interessierte aus der Umgebung informieren wollen - und vielleicht finden wir ja auch Nachwuchs", hofft sie. Denn fünf Mitglieder sind bereits über 18 und können nicht wiedergewählt werden.

Bundesweit gibt es etwa 520 Kinder- und Jugendparlamente. Das heißt, es verfügen etwa fünf Prozent der über 11.000 Kommunen über solch repräsentative Vertretungen. Das hat das Kinderhilfswerk 2020 in einer Studie erhoben. Besonders interessant: Nur 0,6 Prozent der Gemeinden mit unter 5.000 Einwohnern verfügten über ein solches Parlament - diese machen aber 73 Prozent aller Kommunen aus. Zudem stellt in keinem Bundesland die Einrichtung einer repräsentativen Vertretung für junge Menschen eine kommunale Pflicht dar.

Weiter südlich, in Thüringen, sei in der Kommunalordnung insofern nachgesteuert worden, dass nun von Kommunen Beteiligungsformate für Kinder und Jugendliche gefordert werden, erzählt Thomas Herwig, Geschäftsführer beim Kreisjugendring Nordhausen. Dieser betreut zwei Jugendtreffs, die zentrale Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche aus der Region sind. "Die Corona-Zeit hat uns und vor allem kleine Organisationen vor extrem schwierige Situationen gestellt, weil die Jugendeinrichtungen anfangs geschlossen waren und es keine wirkliche Strategie gab", sagt Herwig. "Es musste von heute auf morgen mit hohem ehrenamtlichen Engagement digitalisiert werden, um überhaupt Kontakt zu den Jugendlichen zu halten", erinnert er sich.

Kreative Wege "In der Pandemie wurde zum Beispiel mit Wochenaufgaben per Messenger, Rätseln und Rallyes oder Videochats gearbeitet und wir haben versucht zu schauen, welche Tools praktikabel sind. Dabei sind wir aber immer wieder an Grenzen wie Datenschutzprobleme gestoßen", sagt Herwig. In der Region Nordhausen habe man forciert, mehr im Bereich digitale Jugendarbeit zu machen. Sie biete Chancen, Jugendliche zu erreichen, die nicht in die Einrichtungen kämen oder mobilitätsbedingt nicht vor Ort sein könnten, sagt Herwig. Aber auch auf die Ansprache komme es an: "Wenn ich einen Jugendarbeiter habe, der mit Snapchat nicht zurechtkommt, erreiche ich bestimmte Zielgruppen einfach nicht", sagt er.

Vor allem die Eins-zu-Eins-Beratung unter freiem Himmel und Gespräche auf der Straße seien zuletzt wichtig gewesen, um überhaupt in den Austausch zu gehen. "Im Landkreis hat man erkannt, dass viele Jugendliche nicht in institutionelle Kontexte, wie etwa ein Jugendzentrum, hereingehen und das Aufsuchende, durch mobile Sozialarbeiter, das ist, was forciert werden muss", sagt Herwig. Er plädiere dafür, Jugendlichen mehr in Selbstverwaltung zuzutrauen und ihnen mehr Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen. Erst kürzlich habe eine Jugendgruppe in der Region mit Hilfe eines Sport-Jugendkoordinators kurzfristig einen lang ersehnten Basketballplatz umgesetzt - solche Erfahrungen brauche es öfter.