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internet : Attraktiver durch Digitalisierung

Das Fraunhofer-Institut forscht nach softwarebasierten Lösungen zur Stärkung ländlicher Regionen

09.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
3 Min

Es geht voran. Als der 38-jährige Enrico Jorgel im Frühjahr 2019 ein hübsches, aber doch stark renovierungsbedürftiges Umgebindehaus in der Oberlausitzer Gemeinde Dittersbach als Wochenendhäuschen kaufte, stand er in einem Funkloch. Netzempfang gab es nur in der oberen Etage des Hauses, LTE nur im äußersten Zipfel des Grundstücks auf etwa zwei Quadratmetern. Doch die Lage hat sich verbessert. Der Handyempfang ist inzwischen stabil - LTE gibt es auch. Jetzt taucht das malerische Örtchen zwischen Görlitz und Zittau in das Gigabit-Zeitalter ein. "Die Leerrohre liegen schon bis ins Haus", sagt Jorgel. Nicht mehr lange, dann wird das Glasfaserkabel eingeblasen - kostenfrei für die Anwohner. Möglich sind dann Bandbreiten von mehr als 1.000 Mbit/s.

Der Familienvater zweier Mädchen, der im gut eine Stunde entfernten Dresden wohnt und dort als Informatiker arbeitet, freut sich. Seit Corona, erzählt Jorgel, sei er fast ausschließlich im Homeoffice. Da verwische Arbeit, Privatleben und Urlaub. "Wenn in Dittersbach Glasfaser liegt, kann ich auch mal eine Schulferienwoche mit den Kindern hier verbringen, ohne Urlaub haben zu müssen", sagt er.

Bei aller Freude - der Nachholbedarf in Sachsen, wie im Übrigen auch in den anderen östlichen Bundesländern, ist enorm. 44,9 Prozent der Haushalte in Sachsen verfügten laut Breitbandatlas der Bundesregierung Ende 2020 über Gigabit-Anschlüsse. Noch düsterer sieht es in Sachsen-Anhalt (19,1 Prozent), Brandenburg (26,8 Prozent) und Thüringen (27,5 Prozent) aus. Zum Vergleich: Die Gigabit-Verfügbarkeit lag Ende 2020 deutschlandweit bei 59,2 Prozent - im Flächenland Niedersachsen bei 62 Prozent.

"Smart Rural Areas" Dass die Digitalisierung viele neue Möglichkeiten bietet, um das Leben auf dem Land zukunftsfähig zu gestalten, weiß Steffen Hess. Er leitet das Forschungsprogramm "Smart Rural Areas" beim Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE). "Wir versuchen, mit innovativen Lösungen und Zukunftskonzepten das Potenzial in ländlichen Regionen auszuschöpfen. Dies bewältigen wir mit unseren smarten softwarebasierten Lösungen", sagt er. Diese setzen auf die Infrastruktur vor Ort auf - funktionieren also nicht nur bei Gigabit-Leitungen. "Wenn wenig Netz da ist, gestalten wir Lösungen, die trotzdem funktionieren", sagt der Fraunhofer-Experte.

Konkrete Anwendungsbeispiele sieht Hess etwa im Bereich des Ehrenamtes, das durch digitale Lösungen einfacher werden kann. Vereine könnten leichter untereinander und nach außen hin kommunizieren und ihre Angebote sichtbar machen. Zu erzählen weiß er auch von einer Dorfchronik, die digital erfasst wurde. An dem Projekt hätten sich Viele beteiligt, "wodurch wiederum die Menschen in Kontakt mit der Digitalisierung kamen, ohne dass es belehrend wirkt", sagt Hess. Familien, die aus der Stadt aufs Land ziehen wollen, erwarteten inzwischen, dass es solche Lösungen gibt. "Das ist ein wichtiger Stadtortfaktor, um Menschen, aber auch Arbeitsplätze anzuziehen."

Die Digitalisierung verbessert seiner Ansicht nach auch die Entwicklungschancen für Regionen, die ihre Situation als abgehängt empfinden. Nicht zuletzt gebe es mehr Möglichkeiten, Fördergelder zu akquirieren und die Gegend "insgesamt besser dastehen zu lassen".

Aktuell gibt es 208 "Digitale Dörfer", in denen die IESE-Ideen genutzt werden. Sie verteilen sich auf fast alle Bundesländer. In Bremke, einem Ortsteil der Gemeinde Gleichen in Südniedersachsen, wird seit Mitte 2020 der von den Fraunhofer-Experten entwickelte Digitale Schaukasten genutzt. Ob im Dorfladen, Rathaus oder am Marktplatz: der Digitale Schaukasten bringt Neuigkeiten direkt in den Dorfalltag hinein - sei es nun der geänderte Termin für den Kinderflohmarkt oder die aktuelle Sperrung auf der Umgehungsstraße. Mit einem Klick werden Neuigkeiten oder Veranstaltungen aus den IESE-Tools DorfPages oder DorfNews an den Digitalen Schaukasten geschickt. Mit dem Projekt sollen die Informationen sichtbar und gleichzeitig Menschen erreicht werden, die sonst nur wenig Kontakt mit der digitalen Welt haben.

Dem Projektleiter Hess zufolge sind die Entwicklungen grundsätzlich in jeder Gemeinde einsetzbar. "Am besten funktioniert es, wenn der Dreiklang aus Bewohnerinnen und Bewohnern, ehrenamtlich Engagierten und den Unternehmen vor Ort gegeben ist und in die gleiche Richtung gearbeitet wird", sagt er. Fehle eine Gruppe oder werde das Ganze nur als Digitalisierung-Feigenblatt von den politisch Verantwortlichen genutzt, "ist die Investition im Grunde sinnlos".