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schreiben : Kein Monopol des Dudens

Der Rat für deutsche Rechtschreibung schaut »dem Volk aufs Maul« und passt das Regelwerk an

30.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
5 Min

Als Konrad Duden sich Ende des 19. Jahrhunderts daran machte, die deutschen Sprachregelungen zu vereinheitlichen, stieß das nicht bei allen Zeitgenossen auf Gegenliebe. Ausgerechnet Reichskanzler Otto von Bismarck stellte sich in den Weg. Er glaubte, die Festlegung auf einheitliche Normen würde zu Verwirrung und Sprachkonfusion führen. Und so erklärte er die Ergebnisse der Ersten Orthografischen Konferenz im Jahr 1876 für ungültig. Bei der Konferenz hatten sich die Anhänger einer phonetischen Schreibung durchgesetzt, bei der möglichst eindeutig und logisch sein sollte, welcher Buchstabe welchen Laut bezeichnet. Doch den Weg zu einer einheitlichen Rechtschreibung auf Basis des Orthografischen Wörterbuches von Konrad Duden aus dem Jahr 1880 konnte Bismarck nicht aufhalten.

Nach seinem Tode (1898) wurde auf der Zweiten "Orthographische Konferenz" in Berlin 1901 amtlich beschlossen, was Gymnasiallehrer Duden seit Jahren entwickelt hatte. In der Folge entschied der deutsche Bundesrat, Dudens Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis für alle Bundesstaaten des Deutschen Reiches als verbindlich anzusehen - Österreich-Ungarn und die Schweiz schlossen sich an.

Fortan galt der Duden als Standard der deutschen Rechtschreibung. Zur Wahrung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung erklärte die Kultusministerkonferenz (KMK) der Bundesrepublik im Jahr 1950 in Zweifelsfällen die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln für "vorläufig" verbindlich.

"Heiliger Vater" Noch vor der Wiedervereinigung gab es im Westteil Deutschlands Bemühungen, dem "vorläufig" ein Ende zu setzen. 1987 erteilte die KMK dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim den Auftrag, in Abstimmung mit der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden ein neues Regelwerk zu entwerfen. Die ursprünglich verfolgte Idee der Substantivkleinschreibung setzte sich schließlich nicht durch. Aber auch die Eindeutschung von Fremdwörtern und geänderte Regeln für die Groß- und Kleinschreibung sorgten für ausreichend Zündstoff. Einer, der mit dem Gedanken, das Wort "Katastrophe" zu streichen und durch "Katastrofe" zu ersetzen, nicht konform ging, war der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair. Eine solche Primitivschreibung brauche es nicht, sagte er 1995 in einem "Spiegel"-Interview. Als ihm nach Hinweis der Redakteure auch noch bewusst wurde, dass der Papst den neuen Regeln entsprechend künftig nicht mehr der "Heilige Vater", sondern nur noch der "heilige Vater" wäre, war bei dem CSU-Mann Schluss mit lustig. "Meine letzten Zweifel schwinden, dass da finstere Ketzer am Werke waren", rief Zehetmair den Journalisten - möglicherweise mit einem Augenzwinkern - entgegen.

1995 beschloss die KMK, eine entschärfte Neuregelung zum 1. August 1998 mit einer Übergangsphase bis 2004/2005 einzuführen. "Katastrophe" war ebenso korrekt wie "Katastrofe" und auch der Papst behielt sein großes H.

Dennoch entbrannte ein heißer Streit, an dem sich Medienhäuser wie auch Literaturschaffende beteiligten. Im Handstreichverfahren wurde dann 2004 die erst im Jahr 1997 von den KMK eingesetzte und ausschließlich aus Wissenschaftlern bestehende "Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung" abgeschafft, die eigentlich die Einführung der neuen Regeln begleiten und Zweifelsfälle ausräumen sollte. An ihre Stelle trat der Rat für deutsche Rechtschreibung - ein Zusammenschluss sieben deutschsprachiger Länder und Regionen (Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Bozen-Südtirol und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens sowie - ohne Stimmrecht kooptiert - Luxemburg), der deutlich breiter aufgestellt ist als seine Vorgängerin. Den Vorsitz des Rates übernahm ein alter Bekannter - der inzwischen ehemalige bayrische Kultusminister Zehetmair. Insgesamt zwei Perioden von jeweils sechs Jahren führte er den Rat. Seinen Auftrag, den "Rechtschreibkrieg" zu befrieden, habe er erfüllt, schätzt rückblickend sein Nachfolger Josef Lange, ehemaliger Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium ein. "Zehetmair ist es gelungen, einen Ausgleich zu finden", sagt er.

Mit der Installation des Rates für deutsche Rechtschreibung endete auch das "Monopol" des Dudens. Laut Statut soll der Rat "die wichtigsten wissenschaftlich und praktisch an der Sprachentwicklung beteiligten Gruppen repräsentieren". Seine Vorschläge erhalten "durch Beschluss der zuständigen staatlichen Stellen Bindung für Schule und Verwaltung". Zuständig für die Schulen ist die KMK. Im Bereich der Verwaltung wird die entscheidende Rolle des Rates durch einen Erlass des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 2016 festgelegt.

Schreibbeobachtung Zu den im Statut des Rates aufgeführten Aufgaben zählen die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung, die Klärung von Zweifelsfällen und die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache. Eine neue Reform entspricht definitiv nicht dem Auftrag des Gremiums, macht Sabine Krome, seit langen Jahren Geschäftsführerin des Rates, deutlich. Im Statut ist daher von Anpassungen der Sprache nur im "unerlässlichen Umfang" die Rede.

"Wir wollen wissen, inwieweit die Schreibgemeinschaft die beschlossenen Regeln und Schreibungen annimmt", sagt Krome. Normen lediglich zu oktroyieren funktioniere nicht. Alle im deutschsprachigen Raum erscheinenden Publikationen querlesen muss sie aber nicht. Der Rat arbeitet auf der Basis großer digitaler Textkorpora. Auf diese Weise werden die Daten überregionaler Zeitungen und Zeitschriften aller im Rat vertretenen Länder zu allen wichtigen Fachgebieten ausgewertet. "So können wir sehen, welche Regeln korrekt umgesetzt werden oder welche der möglichen Varianten mehrheitlich genutzt werden." Der derzeitige Ratsvorsitzende Lange bestätigt, "dass manche Dinge aus der Reform einfach nicht akzeptiert werden." Bei der Zeichensetzung etwa habe die Fehlerquote zugenommen. Bei Lehrkräften liege der Anteil der Korrekturfehler bei bis zu 15 Prozent. "Hier muss am Regelwerk nachgebessert werden", findet er. Wenig akzeptiert werde auch die Eindeutschung fremdsprachlicher Begriffe. Ein Beispiel: "Gendermainstreaming" sollte zusammen geschrieben werden. "Das ist in den vergangenen zwei Jahren in keiner der beobachteten Publikationen geschehen" sagt Lange. Hier sei der Rat an einer Änderung dran. "Deutsch ist eine lebendige Sprache", betont der Vorsitzende.

Mit dem genannten Beispiel schlägt Lange eine Brücke zu dem Thema, das den Rechtschreibrat nun schon seit mehreren Jahren beschäftigt und bei dem immer wieder versucht wird, von Seiten der Politik Einfluss zu nehmen: die gendergerechte Sprache (siehe Seite vier). Nie sei der Versuch sprachpolitischer Einflussnahme so groß gewesen wie bei diesem aufgeheizten Thema, sagt Krome.

Lernbarkeit Aus Sicht des Ratsvorsitzenden handelt es sich um eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, "die sich an der Orthografie aufhängt". Die Haltung des Rates sei hier klar: Die Lernbarkeit der deutschen Sprache darf nicht beeinträchtigt werden. Das betreffe deutsche Schüler ebenso wie Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten, doch gehe es bei dem Thema auch um die Integrationsmöglichkeit von Zuwanderern über Sprache. "Mit Sternchen und Doppelpunkten erleichtern wir die Integration nicht", sagt Lange.

In den Bundestagswahlkampf will sich er sich nicht hineinziehen lassen. Die nächste Ratssitzung ist zwei Tage vor der Wahl. "Dieses vorrangig gesellschaftspolitische Thema wird nicht auf der Tagesordnung stehen. Es darf nicht alles andere, an dem wir arbeiten und das für die Einheitlichkeit im deutschen Sprachraum ebenfalls sehr wichtig ist, überlagern", macht er deutlich.