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Rassismus : Grenzen des Sagbaren

Die Debatte über diskriminierende Sprache hat sich deutlich verschärft. Verstehen und Verständnis bleiben dabei nicht selten auf der Strecke.

30.08.2021
2024-02-08T17:04:37.3600Z
5 Min

"Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." Das bekannte Sprichwort ist zwar falsch aus Friedrich Schillers Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" abgeleitet worden - dort heißt es "Arbeit" statt "Schuldigkeit" -, seiner ungewollt aktuellen Aussage tut dies aber keinen Abbruch. Denn für Menschen, die für eine aus ihrer Sicht diskriminierungsfreie Sprache eintreten, hat der "Mohr" ebenso aus dem Vokabular zu verschwinden wie der "Neger" und andere als rassistisch und abwertend empfundene Begriffe. Die Rede sein soll allenfalls noch vom "M-Wort" und vom "N-Wort". Ganz so, als ließe sich mit dieser Tabuisierung der Rassismus aus den Köpfen verbannen.

Schärfe in der Debatte über Sprache hat zugenommen

Fakt ist, dass viele Schwarze beide Begriffe als diskriminierend ablehnen. Dies kann eine demokratisch verfasste Gesellschaft nicht ignorieren. Umgekehrt gilt, dass in der verbalen Kommunikation beim Empfänger nicht unbedingt das ankommen muss, was ein Sender ausdrücken will. Dieses grundlegende Problem ist in den klassischen Kommunikationsmodellen hinreichend beschrieben und jeder kennt es aus dem Alltagsleben. Trotzdem hat die Schärfe in der Diskussion über eine respektvolle oder "politisch korrekte" Sprache deutlich zugenommen. Das gegenseitige Verstehen und Verständnis bleiben dabei nicht selten außen vor. Der Umstand, dass laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage nur noch 45 Prozent der Befragten in Deutschland das Gefühl haben, sie könnten frei ihre politische Meinung kundtun, hat auch etwas mit Sprach-Tabus zu tun.

Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Nichts sagen, hören oder sehen: Die berühmten drei Affen gelten vielen als Symbol für Tabus – oder für Ignoranz.

Als Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Schlagersänger Roberto Blanco 2015 während der Talkshow "Hart aber fair" als "wunderbaren Neger" bezeichnete, blieb dies für Herrmann noch folgenlos. Blanco selbst fühlte sich nicht beleidigt, bescheinigte allerdings, es wäre "schlauer" gewesen, wenn Herrmann den Begriff "Farbiger" gewählt hätte. Der Minister entschuldigte sich denn auch ausdrücklich für seine "völlig inakzeptable" Äußerung. Als Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann im Mai dieses Jahres den früheren Nationalspieler Dennis Aogo in einer obendrein versehentlich an Aogo gesendeten WhatsApp-Nachricht als "Quotenschwarzen" bezeichnete, führte dies bereits zur Entlassung Lehmanns aus dem Aufsichtsrat bei Hertha BSC. Da nützten alle Entschuldigungen und Erklärungen nichts.

Straßen und Apotheken: Forderung nach Namensänderung

Bereits seit den 1980er Jahren verschwanden "Mohrenköpfe" und "Negerküsse" aus den Süßwaren-Regalen und wurden durch "Schoko- oder Schaumküsse" ersetzt. Auch der "Sarotti-Mohr" ist dem "Sarotti-Magier" gewichen und in Neuübersetzung von Astrid Lindgrens Kinderbuchklassiker "Pippi Langstrumpf" wurde aus dem "Negerkönig" ein "Südseekönig". Erneut beflügelt wurde die Debatte im Zuge der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und der "Black Lives matter"-Bewegung. In Berlin etwa soll die "Mohrenstraße" nach jahrelangem Streit nach dem ersten deutschen Philosophen und Rechtsgelehrten afrikanischer Herkunft in "Anton-Wilhelm-Amo-Straße" umbenannt werden. "Jedes Mal, wenn die Haltestelle in der U-Bahn aufgerufen wird, werden Betroffene rassistisch diskriminiert", ist sich etwa Tahir Della, Vorstandsmitglied des Vereins "Decolonize Berlin", der sich für die Umbenennung einsetzt, sicher. Der Historiker Götz Aly wiederum hält dagegen, dass der Straßenname "niemals einen herabsetzenden Beiklang gehabt" habe. Mit der Straßenbenennung Anfang des 18. Jahrhunderts seien "diese Fremden, die sich damals in Berlin aufhielten, in den Rang eines freundlich begrüßten neuen Standes" erhoben wurde, schrieb Aly im Sommer 2020 in einer Kolumne für die "Berliner Zeitung".

Ein Einzelfall ist der Berliner "Mohrenstraßen"-Streit nicht. Republikweit sehen sich die Inhaber von "Mohren-Apotheken" und Gasthäusern "Zum Mohren" mit lautstarken Forderungen nach Namensänderung konfrontiert. Betroffen von der Debatte sind auch Gemeinden wie das fränkische Coburg, das einen Mohren im Stadtwappen führt. Die in diesen Auseinandersetzungen vorgetragenen Argumente reichen von der politisch-moralischen Kategorie, jede Form von Rassismus aus der Sprache zu tilgen, bis hin zu Abhandlungen über den sprachlichen Ursprung des Wortes "Mohr" und dessen veränderte Bedeutung und Lesart im Lauf der Jahrhunderte. Für den einen ist die "Mohren-Apotheke" oder der "Coburger Mohr" eine positiv besetzte Huldigung an den Heiligen Mauritius, für den anderen ist es ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit und den Tagen der Sklaverei. Verhandelt werden in solchen Debatten nicht nur der Umgang mit Sprache, sondern auch kulturelle Traditionen und historische Erfahrungen. Zusammen ergibt dies eine explosive Mischung, die vor allem in den sozialen Medien schnell eskaliert - zwischen "rassistischen alten weißen Männern" und "linken Sprachpolizisten".

Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Paul Zinken

Blick auf die U-Bahn-Station "Mohrenstraße" an der ein Graffiti "decolonize the city" aufgesprüht wurde. Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) hat in der Rassismus-Debatte die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße begrüßt.

Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag und die Länderparlamente in den vergangenen vier Jahren hat sich der Ton in der Auseinandersetzung zusätzlich verschärft. Die Partei inszeniert sich gerne als Anwalt der "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Fraktion und will "die Grenzen des Sagbaren auszuweiten", wie es der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland ausdrückte. Die "Kopftuchmädchen und alimentierten Messermänner" von Gaulands Kollegin Alice Weidel zeugen davon, was das konkret bedeutet.

Ordnungsruf im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Verstoß gegen das freie Mandat

Ende November 2019 erhielt im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern der AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer einen Ordnungsruf, weil er während einer migrationspolitischen Debatte wiederholt das Wort "Neger" gebraucht hatte - erst in Zwischenrufen, dann in seiner Rede, in der er ausführte, für ihn sei der Begriff kein Schimpfwort. Das Verfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern, vor dem Kramer gegen den Ordnungsruf klagte, befand zwar, dass der Begriff "in der Regel als abwertend verstanden" werde. Den Ordnungsruf stufte es trotzdem als Verstoß gegen das in der Landesverfassung garantierte freie Mandat der Abgeordneten und ihr Rederecht im Landtag ein. Die Richter bemängelten, dass der Ordnungsruf sich unterschiedslos auf alle Verwendungen des Begriffs durch Kramer bezogen habe. Ein Abgeordneter könne aber beispielsweise "im Rahmen einer Diskussion über ,politische Korrektheit', über ,Sprache, Diskriminierung und Rassismus'" das Wort benutzen, "anstatt es zu umschreiben", heißt es in dem Urteil.

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Von einem kontextabhängigen Gebrauch des N-Wortes will man bei den strikten Verfechtern einer rassismusfreien Sprache hingegen nichts wissen. So entschuldigte sich erst unlängst die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock öffentlich auf Twitter, weil sie während der Sendung "Tachles Arena" des Zentralrats der Juden in Deutschland das Wort "Neger" benutzte. Baerbock hatte von einem Schüler berichtet, der sich im Unterricht weigerte, eine Bildergeschichte zu einem Arbeitsblatt zu schreiben, auf dem das Wort stand. "Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorfalls das Wort zitiert und damit selbst reproduziert."

Solche Tabus nahm 1979 schon die britische Komikertruppe Monty Python in ihrem Film "Das Leben des Brian" ins Visier. In der Bibel-Komödie soll ein Mann gesteinigt werden, weil er den Namen Gottes ausgesprochen hat - im Judentum ein Frevel. Doch am Ende der Szene wird der anklagende Hohepiester selbst gesteinigt: "Er hat Jehova gesagt." Das Zitat fand nicht ohne Grund Einzug in das popkulturelle Erbe.