Piwik Webtracking Image

DEUTSCHE UND JUDEN : Widersprüche wo keine sind

Das Begriffspaar beschreibt Identitäten und macht sie zugleich unsichtbar

30.08.2021
2023-08-30T12:39:41.7200Z
3 Min

Deutsche und Juden - dieses Begriffspaar löst hierzulande noch immer Unbehagen aus. Es führt immer in das dunkelste Kapitel der deutschen und der jüdischen Geschichte. Dieses Begriffspaar weist immer darauf hin, welche Verbrechen Deutsche an Millionen von Juden verübt haben. Es wird immer mit der Shoa, mit dem Holocaust verbunden bleiben. Nicht ausschließlich, aber eben immer.

Die Gründe für diesen Umstand sind auch sprachlicher Natur. Denn das Begriffspaar konstruiert einen Gegensatz, der nicht zwangsläufig vorhanden ist, vor allem nicht innerhalb Deutschlands. Es existiert schließlich auch kein Gegensatz zwischen Deutschen und Katholiken, zwischen Protestanten und Deutschen oder zwischen Deutschen und Muslimen oder Atheisten. Jüdische Identität ist zwar durch viel mehr gekennzeichnet als eine Religion, sie verweist auch auf die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, zu einer kulturellen Gemeinschaft. Doch jüdische Identität ist eben kein Widerspruch zu einer deutschen Identität. Das Begriffspaar Deutsche und Juden macht aber genau diesen Widerspruch auf. In letzter Konsequenz erklärt es Juden zu Nichtdeutschen und Deutsche zu Nichtjuden. Das Begriffspaar setzt in gewisser Weise - in den meisten Fällen unbeabsichtigt - bis heute fort, was tief in der Geschichte verankert ist und von den Nationalsozialisten in der brutalsten Form auf die Spitze getrieben wurde. Die Nationalsozialisten trachteten nicht nur danach, das jüdische Leben in Deutschland und ganz Europa auszulöschen. Vor dieser angestrebten "Endlösung" versuchten die Nationalsozialisten mit den Nürnberger Gesetzen den Juden in Deutschland ihre deutsche Identität zu nehmen, erklärten sie zu "rassisch Minderwertigen", machten sie "undeutsch". So, wie sie alles als "undeutsch" deklarierten, was ihrer bestialischen Ideologie zuwiderlief. Und sie verschleierten damit zugleich, dass Deutsche Deutsche entrechteten und ermordeten. Der aktuell wieder zunehmende Antisemitismus verfährt nach dem gleichen Muster.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, betonte in ihrer Rede am 27. Januar dieses Jahres in der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus ihre deutsche Identität ausdrücklich: "Ich stehe als stolze Deutsche vor Ihnen." Sie wiederholte diesen Satz, der angesichts ihrer Lebensgeschichte als einer 1932 in Deutschland geborenen Jüdin einem Wunder gleichkommt, bewusst mehrfach und erzählte "aus meinem Leben - einem deutschen Leben".

»Schubladen« Dass Knoblochs Bekenntnis alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht für junge Juden in Deutschland, die Jahrzehnte nach der Shoa geboren wurden, zeigt die Kolumne "Mein deutsch-jüdisches Leben" der Journalistin Linda Rachel Sabiers im Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Anlässlich des Tags der deutschen Einheit 2019 schreibt sie: "Als ich vor einigen Monaten vor der Herausforderung stand, dieser Kolumne Namen zu geben, wollte ich auf Biegen und Brechen mein Deutschsein und mein Judentum miteinander verschmelzen lassen und etwas kreieren, das beides zu gleichen Teilen vereint. Doch es ging nicht." Deshalb heiße ihre Kolumne eben nicht "mein deutschjüdisches", sondern "mein deutsches-jüdisches Leben". Immer wenn sie glaube, "als moderne Jüdin" einen festen Platz in der Gesellschaft gefunden zu haben, belehre sie die Gesellschaft "ungefragt eines Besseren", schreibt Sabiers und fügt an: "Diesem Land fällt es nach wie vor schwer, Menschen in mehr als zwei Schubladen zu stecken, ganz zu schweigen davon, sie einfach wegzulassen."

Die Publizistin Marina Weisband griff als zweite Rednerin in der Gedenkstunde des Bundestages diesen Gedanken auf: "Ich höre sehr oft von Menschen, dass wir die Einteilung in Schubladen lassen sollen - schwarz und weiß, jüdisch oder nichtjüdisch, homo oder hetero. Dass wir einfach nur Menschen sein sollen. Und das ist eine wirklich schöne Vision. Ich will dahin. Aber ,einfach nur Mensch sein' ist ein Privileg derer, die nichts zu befürchten haben aufgrund ihrer Geburt." Jede Form der Unterdrückung lebe davon, dass sie für die Nichtbetroffenen unsichtbar ist. Und deshalb "müssen wir benennen, wer allein aufgrund seiner Geburt um einen Platz in der Welt kämpfen muss und wer nicht", fügte Weisband an.

Die Frage nach der jüdischen Identität in Deutschland spiegelte sich auch in der Diskussion im Zentralrat der Juden in Deutschland über eine mögliche Umbenennung in "Zentralrat der deutschen Juden" im Jahr 2009. Der Zentralrat entschied sich im 50. Jahr seines Bestehens mit Verweis auf die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa dagegen. Abschließend beendet ist diese Debatte aber nicht.