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»Der Wahlkampf ist für uns die Königsdisziplin«

30.08.2021
2023-08-30T12:39:41.7200Z
4 Min

Als "Wahlkampfberater" sehe er sich eigentlich nicht, sagt Nicolas Schwendemann gleich zu Beginn des Telefonats. Er sei einfach ein "Agenturmensch". Das stimmt - der 36-Jährige arbeitet in Berlin als Geschäftsführer für die Agentur Ressourcenmangel. Und doch ist die Selbstbeschreibung eine Untertreibung: Der studierte Politik- und Kommunikationswissenschaftler, der an der London School of Economics and Political Science das politische Campaigning gelernt hat, ist ein ausgewiesener Wahlkampfexperte: Er führte als strategischer Kopf die von den Grünen eigens für den Bundestagswahlkampf 2017 gegründete Agentur mit dem Namen "Ziemlich beste Antworten" und wechselte anschließend ganz zur Ökopartei: Als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit war der bedächtig sprechende Mann mit dem Drei-Tage-Bart bis 2020 für Kampagnen und Wahlkämpfe der Bündnisgrünen zuständig. Schlagworte prägen, Begriffe besetzen, Slogans erfinden - mit dem politischen Ringen um Wähler und Worte kennt sich Schwendemann aus.

Auch wenn er inzwischen auch für andere politische Akteure wie Ministerien, Stiftungen oder Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) arbeitet, so ist Wahlkampf für Schwendemann "die Königsdisziplin der politischen Kommunikation". "Es gibt ein klares Ziel und einen klar abgesteckten Zeitrahmen", sagt er. "Es geht darum, möglichst viele Stimmen bis zum Wahltag zu gewinnen. Das macht die Kommunikationsarbeit dicht, die Dramaturgie speziell und die Aufmerksamkeit viel größer als bei anderen Kampagnen."

Die anspruchsvollste Phase des Wahlkampfes ist für Wahlkampfstrategen wie ihn der Anfang. Da werde über die Positionierung, die Botschaften und die Wahlkampfmittel der Kampagne entschieden, erklärt Schwendemann. Wenn dann für die Öffentlichkeit der Wahlkampf beginne, sei er für die Kampagnenmacher fast schon zu Ende. "Die Schlussphase ist eine merkwürdige. Sie ist besonders wichtig, aber man selbst kann bei vielem nur noch zugucken. Die großen Wahlkampfmittel wie Plakate oder der Hauptspot sind ja bereits gedruckt oder gedreht. Die Maschine läuft, und reagieren kann man nur noch kurzfristig", erklärt Schwendemann. Umso wichtiger sei es, etwa die Spots für die Schlussmobilisierung so spät wie möglich zu produzieren.

Herzstück einer jeden Kampagne ist der Slogan - oder besser: der Claim, wie ihn die Werbeleute nennen. "Wenn er gut gemacht ist, ist der Claim die Grundlage für die gesamte Kommunikation. Er ist die Verdichtung der Strategie und bringt den Kern des politischen Angebots auf den Punkt", erläutert Schwendemann. In dieser Hinsicht perfekt sei "Make America great again" - der Kampagnenslogan, mit dem Donald Trump 2016 die US-Präsidentenwahl gewann. "Er transportiert sowohl eine Zustandsbeschreibung der Gegenwart als auch ein Versprechen für die Zukunft. Und er rührt an eine Sehnsucht nach etwas, das einmal war." Zudem sei er leicht merkbar, anschlussfähig und kurz genug gewesen, "dass man ihn auf eine Schirmmütze schreiben konnte", sagt Schwendemann. Weitere Regeln für eine erfolgreiche politische Kommunikation: Botschaften sollten in sich konsistent sein, vor allem aber einfach und klar formuliert. "Wer etwa von einem Stuhl spricht, erzeugt beim Zuhörer ein konkretes Bild im Kopf - ganz anders, als wenn er den Begriff 'Einrichtung' verwendet", erklärt der Kommunikationsexperte.

Im politischen Wettstreit ebenfalls von Vorteil: eine positive Sprache. Dabei gehe es vor allem darum, die eigenen Ideen in den Mittelpunkt zu stellen, so Schwendemann. "Selbst wenn man sich von den Forderungen des politischen Gegners abgrenzt, wiederholt man diese - und hat am Ende mehr über das geredet, was nicht geht, als über das, was man erreichen möchte." Positive Sprache in einem sich zuspitzenden Wahlkampf beizubehalten, sei jedoch nicht einfach, räumt er ein. Dies mussten zuletzt auch die Spitzenkandidaten von Union und Grüne erfahren: Ob Armin Laschets Lachen im Flutgebiet oder Plagiatsvorwürfe gegen Annalena Baerbocks Buch - beide Kandidaten hatten zunächst mehr damit zu tun, Angriffe abzuwehren, als über ihre politischen Ziele zu sprechen.

Botschaften für Kopf und Bauch Einen besonderen Balanceakt bedeutet zudem politisches Framing. Das Bewusstsein für die Wirkung von erlernten Denkmustern, bei denen eine bestimmte Wortwahl Assoziationen auslöst und Gefühle das rationale Denken überlagern, sei in Parteizentralen und Agenturen spürbar gewachsen, sagt Schwendemann. Getrieben auch durch die Verbreitung sozialer Medien habe das zu einer größeren Zuspitzung von Themen über Sprache geführt. In der Praxis bedeute das für Kampagnenmacher ein noch stärkeres Abwägen: "Ist das die richtige Wortwahl, erreiche ich so die Zielgruppe, welcher Frame wird bedient?" Das bringe ihnen bisweilen den Vorwurf der Beeinflussung ein. Diese Sicht teilt Schwendemann nicht: "Botschaften können anschlussfähiger formuliert werden, wenn man versteht, welche Bilder und Gefühle Begriffe auslösen." Schließlich spiele nicht nur der Kopf, sondern auch der Bauch bei Entscheidungen eine wichtige Rolle.