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Frauen in der Politik : "Höchste Zeit für Parität"

Eine Studie der EAF Berlin und des Instituts Allensbach hat die Teilhabe von Frauen in Parteien untersucht. Co-Autorin Helga Lukoschat fordert einen Kurswechsel.

20.12.2021
2023-09-26T17:32:21.7200Z
7 Min

DP: Frau Lukoschat, im Koalitionsvertrag heißt es: "Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt erreicht werden." Was sollte das aus Ihrer Sicht für die Politik selbst bedeuten?

Ganz eindeutig: Die Förderung der politischen Teilhabe von Frauen, die zu einer Parität in den Parlamenten führt. Das ist entscheidend, denn in den Parlamenten werden die Weichen gestellt. Die anhaltende Unterrepräsentanz ist ein Punkt, den wir wirklich dringend verändern sollten.

DP: Nun haben aber Paritätsgesetze auf Landesebene durch entsprechende Urteile von Landesverfassungsgerichten erstmal einen Dämpfer bekommen.

Gerade deshalb fanden wir es umso wichtiger, durch unsere Studie zu zeigen, dass Handlungsbedarf da ist. Noch ist das letzte juristische Wort dazu nicht gesprochen. Ich bin froh, dass sich der Koalitionsvertrag zumindest zum Ziel der Parität bekennt. Ich würde sagen: Viele Wege führen nach Rom, aber ich halte eine gesetzliche Vorgabe für die effektivste. Zuallererst müssen die Parteien selbst reagieren - und das zeitnah.

DP: Künftig sollen Gesetze und Maßnahmen einem Gleichstellungs-Check unterzogen werden.

Das ist eine sehr sinnvolle Neuerung und ich hoffe, dass sie nicht nur als bürokratische Pflicht abgehakt wird. Denn nach wie vor wird bei großen Projekten, wie den Corona-Hilfen zum Beispiel, zu wenig danach gefragt, ob sie sich auf Frauen in besonderer Weise auswirken.

DP: Nun liegen 16 Jahre hinter uns, in denen eine Frau Kanzlerin war. Woran merken Sie das, wenn Sie heute auf unser Land schauen?

Das Thema Frauen in der Politik ist viel stärker ins Bewusstsein gerückt. Angela Merkel als Kanzlerin hat dazu einerseits bestimmt beigetragen. Auf der anderen Seite hat diese lange Kanzlerschaft vielleicht auch verhindert, bei bestimmten Dingen noch einmal genauer hinzuschauen. Denn eine Frau an der Spitze verändert eben nicht strukturelle Barrieren in der Politik. Der Frauenanteil in der Unionsfraktion hat sich kaum erhöht, wieder ist ein ganz großer Teil der Direktmandate an Männer gegangen, in der Kandidatenriege für den CDU-Vorsitz findet sich keine Frau. Das sind schon Zeichen dafür, dass man sich ein bisschen auf dem Erfolg einer Kanzlerin ausgeruht hat.

DP: Der Frauenanteil im Bundestag hat sich seit den 1980er Jahren von vorher maximal zehn auf mehr als 30 Prozent erhöht. Ist das ein Erfolg der Quote?

Ja, wobei die Quote auch ein Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen ist, auf die einige Parteien vor rund 30 Jahren reagiert haben. Umgekehrt sollte die Beeinflussung aber auch funktionieren, weil Parteien eine verfassungsrechtlich herausgehobene Rolle besitzen und deshalb umso mehr den Grundwerten von Demokratie und Gleichberechtigung verpflichtet sind. Ich glaube, es ist ein Wechselspiel. Ohne die Quote sähe es auch bei SPD, Grünen und Linken ganz anders aus.

DP: Gegenüber 2017 ist der Frauenanteil im Bundestag leicht auf 34,7 Prozent gestiegen. Er stagniert aber seit langem bei knapp über 30 Prozent.

Da wäre noch mehr drin, wenn alle Parteien entsprechende Quotenregelungen hätten. Parallel dazu sollten sie die Parteikultur reformieren, Sitzungsorte- und zeiten überprüfen, für professionelle Moderationen in ihren Gremien sorgen, die jeglichen Alltagssexismus unterbinden. Wichtig ist auch, Gleichstellung als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen, nicht als Frauenangelegenheit. Die Führung einer Partei bis hinunter in die Ortsebene ist dafür zuständig. Es würde unserem politischen System insgesamt gut tun, wenn die Parteien hier ernsthafter agieren würden.

DP: In Ihrer Studie "Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen" haben Sie auch nach den Gründen des Engagements gefragt. Warum gehen Frauen in die Politik?

Frauen gehen aus ähnlichen Gründen wie Männer in die Politik. Es ist vor allem der Wunsch, etwas zu bewegen, sich für ein Thema einzusetzen. Ein interessantes Ergebnis der Studie war, dass der Hintergrund eines politisch interessierten Elternhauses als Motiv etwas stärker bei den FDP-Frauen ausgeprägt war und die thematische Motivation besonders stark bei Grünen und Linken.

Studie zu Frauen in Parteien

Befragung: Die Studie „Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen“basiert auf der Befragung von 800 Politikerinnen und Politikern sowie auf 34 qualitativen Interviews. 

Fragen: Gefragt wurde nicht nur nach der Integration und Förderung von Frauen. Untersucht wurden auch sexistische Einstellungen in Politik und Parteien.

Ziel: Den Autorinnen geht es nicht nur um eine kritische Zustandsbeschreibung, sondern auch um konkrete Handlungsempfehlungen für die Akteure.



DP:Was ist mit einer langfristigen Art der Karriereplanung? Wie geradlinig sind die Wege von Frauen durch die Parteistrukturen?

Für Frauen sind sie deutlich weniger geradlinig, analog zu vielen Berufsbiografien. In der Phase, wo beruflicher Einstieg, Familiengründung und politisches Engagement zusammenkommen, haben Frauen größere Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit all dessen. Während Männer bei ihrer Karriereplanung an ihre Netzwerke aus den Jugendorganisationen nahtlos anknüpfen können, müssen Frauen nach einer, vielleicht familienbedingten Pause, oft von vorn anfangen. Bereits in den Jugendorganisationen aber werden jene Netzwerke geknüpft, die sehr verlässlich sind und die in späteren Konkurrenzsituationen dabei helfen, die Spannung von Konkurrenz und Loyalität auszuhalten. Das ist bei den Frauen noch sehr viel weniger ausgeprägt.

DP: Reicht es, Sitzungszeiten familienfreundlicher zu gestalten, damit die Parteien mehr Frauen gewinnen?

Das wäre auf jeden Fall ein ganz grundlegender Schritt. Auf dem Papier steht das alles schon lange und ich frage mich: Warum wird es denn nicht durchgesetzt? Erstens könnten die Parteien Erfahrungen mit Digitalformaten stärker nutzen. Sie ersetzen nicht den politischen Austausch, aber in bestimmten Situationen erleichtern sie die Partizipation ganz erheblich. Zweitens müssen sie sich fragen: Wie ist die Redekultur, welche Themen werden priorisiert? Viele der von uns befragten Frauen haben berichtet: Unsere Themen stehen eben nicht unbedingt ganz oben auf der Agenda. Das Verständnis dafür, dass das ein wichtiger Bestandteil des politischen Geschehens ist, ist noch ausbaufähig.

DP: Gerade jüngere Frauen haben oft das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Gleichzeitig berichten sie von einer grundsätzlich guten Willkommenskultur. Ist das nicht ein Widerspruch?

Klar wollen die Parteien junge Leute und insbesondere junge Frauen gewinnen und natürlich ist das Bild nicht überall gleich. Aber fast alle befragten Frauen und Männer haben gesagt: Es gibt Luft nach oben in meiner Partei, wir sollten proaktiver auf Neue zugehen, sie ermuntern, sie nach ihren Wünschen fragen. Man möchte also einerseits neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinnen, verlangt aber meist, dass diese sich einfügen. Dass man sich auch selbst verändern kann, wenn neue Menschen dazukommen, diese Erkenntnis fehlt oft. Stattdessen gibt es einen großen Anpassungsdruck.

DP: Nun werden Frauen den Kampf für Gleichberechtigung nicht allein gewinnen. Sind reine Frauen-Netzwerke überhaupt erfolgversprechend?

Das ist in der Tat ein Dilemma. Ich finde es absolut richtig, und das wird auch von den Befragten gefordert, dass Frauen zu den bestehenden Netzwerken, die eben oft männlich geprägt sind, besseren Zugang haben sollen und dort gleichberechtigt agieren können. Aktuell ist es so, dass manche Frauen sagen: "Mir macht das nichts aus, ich gehe mit den Männern abends ein Bier trinken, das ist Teil meines Jobs." Aber viele sehen es eben anders und fühlen sich dort überhaupt nicht wohl. Insofern ist es beides: Man muss sowohl versuchen, diese männlich dominierten Netzwerke zu verändern. Dabei sind vor allem jene Männer gefragt, die selber eine andere Kultur möchten. Andererseits ist es dennoch wichtig, auch Frauen-Netzwerke zu stärken.

DP: Die Studie ergab auch: Fast alle Politiker erleben Angriffe im Internet, bei Frauen finden diese aber viel stärker in sexualisierter Form statt. Zeigt das, wie gängig diese Form der Abwertung von Frauen in weiten Teilen immer noch ist?

Ja. Und ich muss sagen, ich hatte nicht mit dem Ausmaß gerechnet. Bei den Bundestagsabgeordneten geben fast 100 Prozent an, solchen Angriffen ausgesetzt zu sein. Das finde ich schon sehr krass. Es ist auch krass bei den Männern, aber bei Frauen hat es eine andere Dimension. Während bei Männern kritisiert wird, was sie für eine unsinnige Politik machen, ist es bei Frauen oft das Aussehen, die Figur. Das geht bis hin zu wüstesten Beschimpfungen.

DP: Hält dies Frauen von der Politik ab?

Unsere Ergebnisse zeigen: Jene, die sich politisch engagieren wollen, werden sich davon nicht abhalten lassen. Aber: Es werden sich erstens viele Frauen abhalten lassen, soziale Medien zu nutzen. Das gilt insbesondere für die Kommunalpolitik, weil man dort nicht diese Unterstützungsstruktur hat wie in einer großen Bundestagsfraktion. Zweitens werden sich weniger Frauen deutlich positionieren, also weniger sichtbar sein. Das ist ein ganz großes Thema, dem man sich gesetzgeberisch widmen sollte. Zudem haben 40 Prozent der Politikerinnen und 60 Prozent der unter 45-Jährigen sexuelle Belästigung erlebt, also unangemessene Berührungen, Bemerkungen, Blicke. Auch das ist ein deutlicher Befund. Es ist sehr wichtig, dass erstens offen darüber gesprochen wird und dass zweitens entschieden etwas dagegen getan wird, zum Beispiel in Form von Ombudsstellen. Die neue Bundestagspräsidentin will hier ja auch tätig werden.

DP: Sie kritisieren, dass Frauen von Parteien auch als "Aushängeschild" instrumentalisiert werden. Woran kann man das festmachen?

Durchaus an den Selbstbeschreibungen. In den Interviews haben uns das einige Frauen so geschildert. Das heißt nicht, dass sie das nicht selbst für sich nutzen und auch nutzen sollten. Aber es ist eben wichtig, die Mechanismen zu durchschauen, um zu erkennen: Ändert sich etwas in strukturellen Fragen? Und es ist wichtig, dass Frauen sich dazu austauschen, um gut damit umgehen zu können und nicht gegeneinander ausgespielt zu werden.

DP: Inwiefern gibt es bei der Teilhabe eigentlich Unterschiede zwischen der Kommunal- und der Bundespolitik?

Im Großen und Ganzen gibt es nicht so große Unterschiede. Unter anderem stellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Privatleben, Beruf und Engagement auf kommunaler Ebene nochmals anders, weil Kommunalpolitik in der Regel eine ehrenamtliche Sache ist. Kommunalpolitik ist aber sehr oft auch das Sprungbrett, schon dort entscheidet sich, ob und wie es mit der Parteikarriere weitergeht. Von daher ist das Vereinbarkeitsthema schon entscheidend. Gleichzeitig haben Frauen auf kommunaler Ebene bessere Chancen als auf Landes- und Bundesebene, was aber auch heißt, diese Posten sind nicht ganz so attraktiv.

Zur Person:

Helga Lukoschat studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Geschichte. Anschließend war sie als Journalistin und Publizistin tätig und promovierte mit einer Studie über Frauen in Führungspositionen. Sie ist Mitbegründerin der EAF (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft) Berlin und heute deren Vorstandsvorsitzende. Darüber hinaus engagiert sie sich in zahlreichen nationalen und internationalen Projekten für die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen.