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Gastkommentare : Pro und Contra: Abschreckung mit 100 Milliarden?

Was bedeuten die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr? Dazu haben Julia Weigelt und Ulrike Winkelmann verschiedene Ansichten.

07.03.2022
2024-03-15T11:30:11.3600Z
3 Min

Pro

Nicht einsatzfähig

Foto: Inga Sommer
Julia Weigelt
freie Journalistin
Foto: Inga Sommer

Wer wünschte nicht, sich in Europa weiterhin so sicher fühlen zu können wie vor dem, was Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung als "Zeitenwende" beschrieben hat? Ohne dass wir die 100 Milliarden Euro Sondervermögen brauchten, die die Bundeswehr wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine bekommen soll. Aber die Realität ist eine andere: Der Krieg ist nach Europa zurückgekommen. Und diese Realität erfordert eine einsatzfähige Bundeswehr. Doch das ist sie nicht, wie zuletzt gar der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, einräumte. Das Heer, beklagte er, stehe mehr oder weniger blank da.

Die Bundesregierung hat das Zwei-Prozent-Ziel der Nato lange eher als Option denn als Zusage verstanden. Nun also die Kursumkehr. Es ist richtig, dass der Bund das Geld ausgibt. Doch das allein reicht nicht: Der Beschaffungsprozess muss verbessert werden. Außer dem Abbau bürokratischer Hürden zählt dazu auch der Abschied von deutschen Goldrand-Lösungen bei Anforderungen an militärisches Gerät. Neue Waffensysteme müssen zudem zukunftsfähig sein, also technologisch leicht nachrüstbar. Denn die Digitalisierung, darunter Vernetzung und künstliche Intelligenz, entwickelt sich immer schneller.

Das Geld muss weiterhin nicht nur in Gerät, sondern auch in Personal fließen: Die Truppe muss als Arbeitgeber attraktiver werden. Das fängt bei WLAN in Kasernen an und reicht bis zu einem Dienstklima, in dem sich jede Soldatin und jeder Soldat wirklich willkommen und wertgeschätzt fühlen. Denn viel zu viele erleben derzeit einen anderen Dienstalltag und verlassen die Truppe wieder.

Contra

Für Putin zu spät

Foto: Kathrin Windhorst
Ulrike Winkelmann
"Die Tageszeitung", Berlin
Foto: Kathrin Windhorst

Wladimir Putin wird seinen Angriff auf die Ukraine nicht abbrechen, weil Deutschland 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Verteidigung schüttet. Putin wird sein imperiales Projekt auch auf mittlere Sicht nicht beenden, weil die Bundeswehr Mittel für die Tornado-Nachfolge-Flieger, die Eurodrohne und Hubschrauber erhält.

Denn bekanntermaßen dauert Rüstungsbeschaffung viele, viele Jahre - und dann immer noch länger. Putin aber muss von seinem monströsen Zerstörungswerk sehr bald abgebracht werden. Das geht entweder nur von innen - oder, wenn sein Vernichtungswille über die Ukraine hinausreicht, mit den aktuell verfügbaren Waffen. Vermutlich sind die Herrscher, die mit den 100 Milliarden abgeschreckt werden sollen, noch gar nicht im Job.

Offenbar lag dem Kanzler eine Wunschliste des Verteidigungsministeriums über 100 Milliarden Euro vor, als er seine Aufrüstungs-Ankündigung machte. Dennoch erweckt die Summe den Anschein, dass mit vielstelligen Zahlen wettgemacht werden soll, was zuvor verbockt wurde: Deutschland hatte etwas zu lange gezögert, Russland von Swift auszuschließen, und der Ruf als Bündnispartner war auch wegen North Stream 2 lädiert.

Die Berichte, dass die Bundeswehr Ausrüstung braucht, überzeugen. Nur ist der Verteidigungshaushalt zuletzt ja bereits steil gewachsen. Weniger am Geld selbst schien es zu haken, als dass durch jede Geräteauswahl auch politische Verwerfungen drohen. Mit der enormen Aufstockung des Wehretats aber dürfte das Beschaffungswesen der Bundeswehr erst einmal überfordert sein. Kurzfristig könnten in der Nato gar falsche Erwartungen an die deutsche Einsatzfähigkeit geweckt werden.