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Kraftakt : Die Krise macht es möglich - die Energie-Wende kommt

So will die Regierung die extreme Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland überwinden.

07.03.2022
True 2024-07-11T09:55:34.7200Z
5 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Julian Stratenschulte

Wie geht es weiter: Mit mehr Kohle oder mehr Windenergie? Vorerst wohl mit beidem.

Mit brutalstmöglicher Deutlichkeit führt Russlands Krieg gegen die Ukraine der Welt vor Augen, wie abhängig sie von Wladimir Putin ist. Am Wollen und Tun des Potentaten im Kreml hängt die Sicherheit Europas. Die der Menschen - und die der Energieversorgung.

Vor allem Deutschland ist in höchstem Maße auf Lieferungen aus Russland angewiesen. Der Anteil russischer Importe an den Rohöleinfuhren liegt bei rund 35 Prozent, der an den fossilen Gasimporten bei rund 55 und der an Kohle bei 50 Prozent.

Versorgungsicherheit auch ohne Russland gewährleistet?

Das soll sich ändern, je schneller, desto besser, sagte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) in einer Sondersitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie, am vorvergangenen Freitag.

Die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, versicherte Habeck. Selbst dann, wenn die Lieferungen aus Russland als Reaktion auf Sanktionen und das vorläufige Ende der Ostseepipeline Nord Stream 2 gestoppt würden, was bisher nicht der Fall ist: Deutschland werde gut durch den Sommer und Herbst kommen - aber, schränkte Habeck ein, mit Blick auf den kommenden Winter und darüber hinaus, müsse "die Resilienz deutlich erhöht" werden.


„Die Atomkraftwerke könnten nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen weiter betrieben werden.“
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Inzwischen debattiert die ganze Republik darüber, wie das aussehen könnte. Ausbau der Erneuerbaren? Andere Lieferanten fossiler Rohstoffe? Ein verzögerter Kohle- oder Atomausstieg? Es dürfe keine "Denktabus" geben, sagt Habeck. Bei der Energiepolitik gehe es jetzt nicht mehr nur um den Kampf gegen den Klimawandel, sondern um eine Frage "der nationalen Sicherheit". In der Praxis bedeutet das: Langfristig könnte die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag ausgerufene "Zeitenwende" sich als Turbo für die Energiewende erweisen - kurzfristig aber werden fossile Energieträger boomen. Und die Preise steigen.

Diversifizierung der Lieferer

Habecks Plan fußt nun auf drei Säulen. Erstens: Weg von Russlands Gas. Das hat höchste Priorität: In den vergangenen Monaten habe Russland seine Lieferungen gedrosselt, die deutschen Gasspeicher "systematisch" entleert, ist Habeck überzeugt und will, damit Deutschland auch außenpolitisch souveräner weil unabhängiger agieren kann, eine nationale Gasreserve aufbauen - bei gleichzeitiger Diversifizierung der Bezugsquellen.  Eine solche Diversifizierung der Lieferer und eine Verringerung der Importabhängigkeit soll es auch bei der Kohle geben.

Gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern sollen Beschaffung und Reservebildung vorangetrieben werden. Zwar hat sich das Ampelbündnis im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, den für 2038 vereinbarten Ausstieg aus der Kohle-Verstromung "idealerweise" bereits 2030 zu schaffen.

Inzwischen heißt es aber selbst in Habecks Ministerium, dass in den kommenden Monaten vor allem Kohlekraftwerke die Stromproduktion übernehmen sollen - und nicht auszuschließen sei, dass die in Deutschland länger laufen müssen, um das Land energiepolitisch unabhängiger von Russland zu machen. "Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein", sagte der Grünen-Politiker.

Aufbau einer nationalen Gasreserve

In den vergangenen Monaten habe Russland seine Lieferungen gedrosselt, die deutschen Gasspeicher "systematisch" entleert, ist Habeck überzeugt und will, damit Deutschland auch außenpolitisch souveräner weil unabhängiger agieren kann, eine nationale Gasreserve aufbauen - bei Parallel zum Aufbau der Reserven soll die noch fehlende Infrastruktur für den Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) geschaffen werden - auch wenn es dabei um klimaschädliches Frackinggas aus den USA gehe.

Dafür will Habeck den Bau eines deutschen Terminals vorantreiben, "damit wir auf eigenem Staatsterritorium über die Energieversorgung und Energiesouveränität bestimmen können". Die Anlage, die LNG verflüssigt speichere und bei Bedarf in gasförmiges Erdgas umwandele, müsse allerdings so gebaut werden, dass sie "wasserstoffready" sei. Soll heißen: Die Anlage soll künftig auch genutzt werden können, um klimafreundlichen Wasserstoff umzuschlagen.

Finanzminister Linder spricht von "Freiheitsenergien"

Ausbau des Ökostroms Das ist die zentrale Aufgabe, der Dreh- und Angelpunkt: mehr Strom aus Wind und Sonne. Die Herausforderung dabei ist: Jetzt erst einmal schnell Gas, Öl und Kohle in ausreichender Menge besorgen - und zugleich den Abschied von diesen fossilen Energien zu organisieren. Und das am besten auch schneller als bisher geplant und ohne soziale Verwerfungen."Freiheitsenergien", nannte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner die erneuerbaren Energien im Bundestag. Weil sie die Antwort sind auf die Frage, wie Deutschland unabhängiger - nicht nur, aber vor allem - von Russland werden kann.

Am vergangenen Montag stellte das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium ein Paket neuer Gesetzentwürfe vor. Ihr Kern ist der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien, mehr Windräder zu Land und auf See, mehr Solarpanels auf den Dächern und Freiflächen. Die Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien soll nicht mehr irgendwann "vor 2050", sondern schon bis 2035 möglich gemacht werden.

Die Ökostromproduktion soll verdreifacht werden

"Damit richtet Deutschland den Zubau der erneuerbaren Energien konsequent auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad aus", heißt es in dem Entwurf, der eine Verdreifachung der Ökostrom-Produktion innerhalb von acht Jahren vorsieht und zugleich alle Energieverbraucher entlasten soll. Der Ökostrom-Anteil soll von heute rund 42 Prozent auf 80 Prozent bereits 2030 verdoppelt werden. Da die Bundesregierung davon ausgeht, dass der Strombedarf insgesamt stark steigt, muss die Ökostrom-Produktion insgesamt sogar mehr als verdreifacht werden, um das Planziel zu erreichen.

Um den Windkraft-Ausbau zu beschleunigen, soll juristischer Widerstand durch ein umfassendes Ökostrom-Privileg deutlich erschwert werden. So soll im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der Grundsatz verankert werden, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient.

Es gibt von mancher Seite Zweifel daran, dass die Ziele mit den vorgesehenen Mitteln in der nötigen Zeit erreicht werden können. Was, wenn Russland seine Öl-, Gas- und Kohlelieferungen doch stoppt? Und lohnt es nicht doch, mit Blick auf das CO2-Reduktionsziel über einen späteren Atomausstieg nachzudenken?

Atomausstieg Einige Wirtschaftsminister der Bundesländer haben sich bereits für eine Prüfung längerer Laufzeiten ausgesprochen. Selbst Habeck schließt nicht kategorisch aus, die Laufzeit der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland über 2022 hinaus zu verlängern. Man werde das prüfen. Er wolle eine weitere Nutzung der Atomenergie nicht "ideologisch abwehren", sagte er - machte aber zugleich klar, dass er sie für ungeeignet hält: Die Vorprüfung seines Ministeriums habe ergeben, dass die Atomkraft für den Winter 2022/23 keine Hilfe wäre.

Die Vorbereitungen für die anstehenden Abschaltungen seien so weit fortgeschritten, dass die Atomkraftwerke "nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen" weiter betrieben werden könnten.gleichzeitiger Diversifizierung der Bezugsquelleeines deutschen Terminals vorantreiben, "damit wir auf eigenem Staatsterritorium über die Energieversorgung und Energiesouveränität bestimmen können".