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Erdgas-Versorgung : Die offene Flanke der Versorgung

Deutschland setzt auf russisches Gas. Der größte Speicher gehört dem russischen Konzern Gazprom.

07.03.2022
2023-10-05T17:39:07.7200Z
4 Min

Die eigene Energieversorgung Deutschlands bleibt die offene Flanke, vor allem beim Erdgas. 55 Prozent der hierzulande verbrauchten Gasmengen liefert Russland, und 25 Prozent der Gasspeicherkapazitäten in Deutschland gehören dem russischen Staatskonzern Gazprom oder Tochter- und Beteiligungsfirmen. Auch der größte Gasspeicher Westeuropas befindet sich im Besitz der Russen. Im niedersächsischen Rheden betreibt die Gazprom-Tochter Astora Speicher, die 3,9 Milliarden Kubikmeter fassen. Erdgas ist der wichtigste Energieträger der Industrie, und jeder zweite Haushalt heizt mit Erdgas.

Annexion der Krim änderte nichts

Wie konnte es dazu kommen? Die Sowjetunion und Russland galten über Jahrzehnte als verlässliche Energielieferanten. Selbst als Russland im Jahr 2014 die Halbinsel Krim annektierte und Gebiete im Osten der Ukraine besetzte, änderte sich daran nichts. Im Gegenteil, 2015 ließ es die damalige Bundesregierung zu, dass Gazprom seinen Geschäftsbereich in Deutschland weiter ausbaute. Der russische Staatskonzern wollte nicht nur Gaslieferant sein, sondern selber auch auf dem deutschen Markt tätig sein. So bekam das Unternehmen direkten Zugriff auf die Kunden. Der Umbau, die Entflechtung und die Neuaufstellung des deutschen Gasmarktes begünstigten diesen Prozess noch. Im Tausch zum Eintritt der Russen in den deutschen Markt erhielt die BASF-Tochter Wintershall Anteile an der Gasförderung in Sibirien. Und seit 2015 ist die Gazprom-Tochter Astora Besitzer des Gasspeichers in Rheden.

Auf den Seiten der Initiative Energie Speichern e.V. (INES), einem Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gasspeicher, die über 90 Prozent der deutschen Gasspeicherkapazitäten repräsentieren, ist einsehbar, wer die Firmen sind. Die meisten sind sehr eng mit Russland verbunden. Wie beispielsweise der Erdgasspeicher Peißen in Sachsen-Anhalt, der 2019 von einem Konsortium, bestehend aus Gazprom Germania und der VNG Leipzig, gegründet wurde und den beiden Gesellschaften je zur Hälfte gehört. Und auch die Gashändler, die die Speicher mit der Befüllung beauftragen, stehen in großer Nähe zu Russland. So betreibt Gazprom die größte Erdgashandelsgesellschaft Deutschlands, die frühere BASF-Tochter Wingas, seit 2015 vollständig.

"Die deutsche Energiewirtschaft blickt mit Bestürzung und großer Sorge auf die Situation in der Ukraine", schreibt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der über 1.900 Unternehmen vertritt, in einem Memo vom 28. Februar 2022. Zwar halten Gazprom und die Töchter ihre Lieferverträge ein, doch wie lange noch? Nicht erst nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und der Verhängung von Sanktionen durch die EU sind die Gasspeicher in Deutschland bedenklich leer. Der aktuelle Füllstand lag Anfang März bei knapp 30 Prozent. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will deshalb eine nationale Gasreserve in Deutschland aufbauen und hat dazu nun einen Gesetzentwurf vorgelegt. Bisher gibt es eine solche Reserve nur für Erdöl, bei Lieferunterbrechungen würden die Reserven rund 90 Tage ausreichen.

Keine Vorgaben für Mindesfüllstände

Die privatwirtschaftlich betriebenen Gasspeicher und die Händler unterliegen bislang keinen gesetzlichen Verpflichtungen, was Mindestfüllstände angeht. "Für zuständige Behörden gibt es derzeit keine ausreichenden Instrumente, um die Füllstände der Gasspeicher zu beeinflussen. Hierüber entscheiden allein die privaten Betreiber", heißt es in dem Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

In einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes soll nun unter anderem geregelt werden, zu welchem Stichtag die Speicher welche Menge eingelagert haben müssen. So sollen zum 1. August die Speicher zu 65 Prozent gefüllt sein, am 1. Dezember zu 90 Prozent und Anfang Februar zu 40 Prozent. Zudem soll auch die Durchsetzung der Befüllung festgelegt werden. Das Gesetz soll zeitnah in den Bundestag eingebracht und spätestens im April beschlossen werden, damit es zum 1. Mai 2022 in Kraft treten kann. Das sei nötig, damit das komplette Sommerhalbjahr zur Befüllung der Speicher zur Verfügung stehe.

Die INES hält das Gesetz "für ungeeignet, um den verfolgten Zweck (Mindestbefüllung) zu erreichen", schreibt die Vereinigung. Es bestünden keine Verpflichtungen für Händler, Speicherkapazitäten zu buchen. "Bleiben die Speicherkapazitäten ungebucht oder werden sie aufgekündigt, läuft das Gesetz ins Leere".

Von der Astora heißt es: "Wir als Speicherbetreiber können keine Aussage darüber treffen, wie unsere Speicherkunden ihre gebuchten Speicherkapazitäten künftig bewirtschaften". Grundsätzlich setze der Markt in Form des Gaspreises den Anreiz dafür. Im bald endenden Speicherjahr handele es sich primär um "ein Marktversagen, weil Händler in der klassischen Einspeicherperiode (Sommer 2021) auf sinkende Gaspreise gehofft hatten und keine Anreize zur Einspeicherung vorlagen".

Minister will Energieversorgung breiter aufstellen

Doch Minister Habeck will die Energieversorgung nun breiter aufstellen. Er veranlasste Mitte vergangener Woche den Kauf von Erdgas im Wert von 1,5 Milliarden Euro. Sollten die Lieferungen wegen des Ukrainekriegs ausfallen, könnten gerade einmal 40 Prozent der europäischen Erdgasnachfrage selbst bei kompletter Auslastung aller verfügbaren Flüssigerdgas-Terminals gedeckt werden. "Wenn man alle Gasspeichermengen und Flüssiggas-Importe kombiniert, kann Deutschland bis zum Sommer durchhalten. Im folgenden Winter wird allerdings notgedrungen ein Engpass entstehen", sagte Energieexperte Andreas Schröder dem "Handelsblatt". Und so wird die eigene Energieversorgung Deutschlands auch in den nächsten Jahren die offene Flanke bleiben..