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Medien : Im Informationskrieg

Die EU verbietet die Verbreitung der russischen Staatssender RT und Sputnik. Die Entscheidung ist nicht unumstritten.

07.03.2022
2024-02-29T10:58:25.3600Z
5 Min

Am vergangenen Montag wurde der europäische Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt, seit Mittwoch ist auch der europäische Kommunikationsraum für russische Staatsmedien gesperrt. RT (früher Russia Today) und Sputnik dürfen in der EU nicht mehr verbreitet werden. Jetzt müssen die Medienregulierer in den EU-Staaten das Verbot umsetzen, das alle Verbreitungswege per Kabel, Satellit oder Internet betrifft. Allein Russia Today operiert mit einem geschätzten Etat von einer Milliarde Euro, ist in rund hundert Ländern verfügbar, hat 22 Korrespondentenbüros, beschäftigt rund tausend Journalistinnen und Journalisten.

Vorwurf: "Kriegspropaganda"

Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen", begründete EU-Kommissionsvize Vera Jourova den Schritt nach einem Gespräch mit Vertretern der Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA). "Wir alle stehen für die Redefreiheit, aber sie darf nicht zur Verbreitung von Kriegspropaganda missbraucht werden. Der Kreml hat Informationen zur Waffe gemacht."

Foto: picture-alliance/Russian Look/Victor Lisitsyn

"Banned": Lettland hat es 2020 vorgemacht - jetzt hat die gesamte EU angesichts des Ukrainekrieges die Verbreitung des russischen Staatssenders RT verboten.

Die EU-Medienregulierer betonten, dass man geschlossen stehe und sich dazu verpflichte, zu einer schnellen Umsetzung der Maßnahmen durch alle Beteiligten beizutragen. Die Journalistinnen und Journalisten von RT und Sputnik selbst sollen nicht daran gehindert werden, ihrer Arbeit nachzugehen, wie EU-Beamte betonten. Zudem sollen die Sanktionen gegen die Sender nur so lange andauern, "bis die Aggression gegen die Ukraine beendet ist und die Russische Föderation und ihre Medien ihre Propagandaaktionen gegen die Union und ihre Mitgliedstaaten eingestellt haben", sagte ein EU-Beamter.

Google: Youtube blockiert alle mit RT und Sputnik verbundenen Kanäle in Europa

Der "Informationskrieg" umfasst nicht nur Fernsehen, sondern auch das Netz und hier insbesondere die Sozialen Medien. Der Verantwortliche für die Integrität von Twitter, Yoel Roth, sagte, pro Tag gebe es auf der Plattform mehr als 45.000 Tweets, die Links zu diesen Medien teilen. Jetzt unternehme man die notwendigen Schritte, "um die Verbreitung dieser Inhalte deutlich zu reduzieren". Die Video-App Tiktok teilte mit, sie habe den Zugang russischer Staatsmedien zu ihrer Plattform in der EU eingeschränkt. Microsoft wird RT aus seinem App-Store entfernen. Ein Google-Sprecher erklärte, die Video-Plattform Youtube blockiere alle mit RT und Sputnik verbundenen Kanäle in Europa mit sofortiger Wirkung.

Nun ist das Internet längst nicht so einfach zu kontrollieren wie Satelliten oder Kabelnetze. Stopft man an einer Stelle eine Lücke, kann sich an anderer schon eine neue aufgetan haben. Natürlich gibt es Netzsperren, was bedeutet, dass bestimmte Domain-Adressen nicht mehr zur entsprechenden Webseite führen, obwohl diese unter ihrer IP-Adresse noch erreichbar ist. "Solche Sperrmaßnahmen sind das äußerste Mittel der Netzpolitik und dürfen daher nur in absoluten Ausnahmesituationen zur Anwendung kommen", hieß es vom Branchenverband Bitcom. Ziemlich sicher sei, so ein Sprecher des Chaos Computer Clubs, dass Russia Today mittels VPN-Diensten oder so genannter Tor-Netzwerke (mit anonymisierten Verbindungsdaten) die Sperren umgehen könnte.

RT Deutschland geht gerichtlich gegen das Verbot vor

Deutsche Medienregulierer haben gegen das deutschsprachige Live-Fernsehprogramm von RT unabhängig von der EU-Entscheidung ein Zwangsgeld von 25 000 Euro angedroht, wie die Medienanstalt Berlin-Brandenburg mitteilte. Die Regulierer wollen damit erreichen, dass die RT DE Productions GmbH mit Sitz in Berlin das Live-TV-Programm von RT DE einstellt. Die Medienanstalten hatten Anfang Februar ein Sendeverbot erteilt,, weil für das Programm keine Rundfunklizenz in Deutschland vorliege. Bislang ignoriert RT DE das Verbot und geht gerichtlich dagegen vor.


„Solche Sperrmaßnahmen sind das äußerste Mittel der Netzpolitik.“
Branchenverband Bitcom

Wer die russische Propagandamaschine aus der Nähe kennenlernen will, muss nicht nach erst nach Moskau fliegen. Es reicht ein BVG-Ticket nach Berlin-Adlershof. Dort arbeitet RT DE Productions GmbH, 24/7 werden das Fernsehprogramm und die Homepage RT.DE hergestellt. Wer Moderator Stefan Pollak verfolgt, der muss sich an den "Schwarzen Kanal" von Karl-Eduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen erinnert fühlen. Im "Roten Kanal" fallen Begriffe wie "Sonderoperationen" oder "Militärische Operationen", die Prädikate wie "Krieg", "Invasion" oder "Einmarsch" dürfen nach den Vorgaben der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor von den russischen Medien nicht mehr benutzt werden.

Mitarbeiterschwund durch Selbstkündigungen

In Berlin hat auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Ruptly ihren Sitz. Seit dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine laufen die Mitarbeiter weg. Einige beschwerten sich in einer Telefonkonferenz, dass sie die Invasion nicht als solche bezeichnen dürften, geht aus einer der Agentur Reuters vorliegenden Aufzeichnung hervor. "Einige unserer Kollegen verlassen uns", sagte Geschäftsführerin Dinara Toktosunowa. Bis auf Weiteres werde der Betrieb von Ruptly so weit wie möglich aufrechterhalten. Toktosunowa sagte, das Unternehmen habe Geld, um die Mitarbeiter bis zum Jahresende zu bezahlen. Sie bot ihnen an, nach Russland zu ziehen, falls es für das Unternehmen unmöglich werden sollte, in Deutschland zu arbeiten. Nach Informationen der Deutschen Journalistenunion Verdi Berlin Brandenburg ist auch RT DE von Mitarbeiterschwund durch Selbstkündigungen betroffen, wenn auch in geringerem Maße als Ruptly. Insgesamt sind beide Unternehmen von einem Mitarbeiterschwund im mittleren zweistelligen Bericht betroffen.

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Nicht überall wird das Verbot von RT und Sputnik begrüßt. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) befürchtet beispielsweise, dass "die negativen Auswirkungen eines solchen Verbots auf die Berichterstattung aus Russland schwerer wiegen als die kurzfristig beabsichtigten Effekte". Ein Verbot sei nicht zielführend. Dass es Gegenmaßnahmen der russischen Seite geben werde, habe nicht zuletzt der Umgang mit der Deutschen Welle bewiesen, sagte RSF-Geschäftsführer Christoph Mihr.

Kritik kam auch von Deniz Yücel, Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Yücel schrieb am Tag nach der EU-Entscheidung in der "Welt": "Wer 'Russia Today' und 'Sputnik' verbietet, wird künftig ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen, die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in, zum Beispiel, Russland zu kritisieren." Selbst wenn manche Menchen auf Russlands Propaganda hereinfielen, fragt Yücel, "besteht die Stärke liberaler Gesellschaften nicht genau darin, auch - pardon my French - allerlei Scheißdreck aushalten zu können?"

Medienfreiheit wird zum Guerillakampf

RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan sagte, der Sender werde "sicherlich andere Wege finden, um mit unserem Publikum auf andere Art und Weise und ohne direkte Ausstrahlung zu kommunizieren." Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle, die als Reaktion auf das Sendeverbot für RT DE in Russland nicht senden darf, sagte: "Wir finden immer einen Weg, Zensur zu umgehen." Die Medienfreiheit in Europa wird zum Guerillakampf.